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ADB:Sartorius von Waltershausen, Georg Freiherr

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Artikel „Sartorius von Waltershausen, Georg Freiherr“ von Ferdinand Frensdorff in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 30 (1890), S. 390–394, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Sartorius_von_Waltershausen,_Georg_Freiherr&oldid=- (Version vom 22. Dezember 2024, 15:36 Uhr UTC)
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Sartorius: Georg S., seit 1827 Freiherr v. Waltershausen, deutscher Geschichtsforscher, geboren zu Kassel am 25. August 1765, † zu Göttingen am 24. August 1828. Sein Vater war erster Prediger der lutherischen Gemeinde in Kassel; seine Mutter die Tochter des dortigen Accisschreibers Rothe. Nach dem Besuche des Collegium Carolinum der Vaterstadt bezog S. die Universität [391] Göttingen, um sich der Theologie zu widmen und unter Michaelis, mit dem der Vater in Verbindung stand, orientalische Studien zu treiben. Am 11. Oct. 1783 immatriculirt, gehörte er der Universität bis Ostern 1788 an, wandte sich aber mit dem Fortgang seiner Studien von der Theologie ab und nach schwer erlangter Zustimmung des Vaters der Geschichte zu, in der Spittler und Heeren seine Führer wurden. Seit 1786 als Accessist an der Bibliothek thätig, erhielt er 1788 eine Stelle als Secretär, 1794 als Custos und las zugleich seit 1792 als Privatdocent der philosophischen Facultät über Geschichte des 18. Jahrhunderts und über Politik. Mit dem jungen Göttingen jener Tage hing er durch mehr als eine Verbindung zusammen. Der Göttinger Musenalmanach von 1789, 1790, 1792 und 1793 enthält Beiträge von ihm, die schon damals keiner sonderlichen Werthschätzung begegneten. Zu Bürger hielt er engere Beziehungen aufrecht, „so lange dessen häusliche Verhältnisse es gestatteten“. Ein fleißiger Mitarbeiter der Göttinger Gelehrten Anzeigen, hatte er an deren Verdienst, die Lehre des Adam Smith in Deutschland am frühesten zugänglich gemacht zu haben, Antheil. Wie früher Feder das englische Originalwerk besprochen hatte (s. A. D. B. VI, 596), so S. 1793 und 1794 die deutschen Uebersetzungen. 1796 ließ er einen Auszug aus Smith’s „Unsterblichem Werke“ unter dem Titel: „Handbuch der Staatswirthschaft zum Gebrauch bei akademischen Vorlesungen“ folgen, dessen Grundsätze schon seit fünf Jahren von ihm, früher als auf irgend einer andern Universität, vorgetragen waren. Die Arbeit ist nicht ohne selbständiges Verdienst, macht vom historischen Standpunkte einzelne Zusätze zu Smith und kritisirt einzelne seiner Lehren. Die zweite Ausgabe des Buches von 1806 schließt sich enger an das Original und verweist die Abweichungen in die gleichzeitig erscheinenden „Abhandlungen, die Elemente des Nationalreichthums und die Staatswirthschaft betreffend“. Früher als das nationalökonomische Gebiet hatte S. das der Geschichte betreten. Sein „Versuch einer Geschichte des deutschen Bauernkrieges“ (1795) benutzt keine neuen Quellen, behandelt auch die ganze „ärmliche, kurz dauernde und wirkungslose Empörung“ nur wegen gewisser ähnlicher Zeitverhältnisse und um Mäßigung nach beiden Seiten hin zu empfehlen, trifft aber doch in der Erkenntniß das Richtige, daß die allgemeine demokratische Strömung der Zeit, nicht bloß die Unzufriedenheit der Bauern hier zum Ausbruch kam. Auf Grund dieser Arbeiten wurde S. 1797 außerordentlicher Professor in der philosophischen Facultät, nachdem er eine Zeitlang wegen seiner jugendlichen Sympathien für die französische Revolution, die ihn 1791 zu einem mit den beschränktesten Geldmitteln ausgeführten längern Aufenthalte in Paris veranlaßt hatten, unter ungünstiger Beurtheilung hatte leiden müssen. Zum Antritt des neuen Amtes schrieb er: „De libera Rheni navigatione in congressu Rastadiensi obtinenda“. Am 5. Juni 1802 wurde er zum ordentlichen Professor befördert. Kurz zuvor war ein neues historisches Werk von ihm ausgegeben, die „Geschichte des Hanseatischen Bundes“ Bd. I (1802); der zweite folgte 1803, der dritte 1808. Ein seit langer Zeit nicht mehr und nachher nicht wieder in diesem Umfange behandeltes Thema war hier von einem geschichtlich und volkswirthschaftlich geschulten Bearbeiter mit Hülfe des damals bekannten Materials gründlich und einsichtig durchforscht und dargestellt. Die lebhafte Anerkennung der Zeitgenossen, obenan Johannes v. Müller’s, wurde dem Buche zu Theil, das den Ruf des Verfassers befestigte. Im März 1803 bewilligte ihm die Regierung einen halbjährlichen Urlaub und eine Unterstützung von 500 Thlr. zu einer Reise nach Berlin, Wien und womöglich Petersburg, die der Stärkung seiner Gesundheit und zugleich den Aufgaben seiner politisch-statistischen Vorlesungen zu Gute kommen sollte. Nach Ablehnung von Berufungen nach Helmstedt und Würzburg in den Jahren 1803 [392] und 1804 erhielt er 1806 den Charakter eines Hofraths; die ihm nach Schlözer’s Tode zugedachte Nominalprofessur der Politik erst 1814. Die bei Begründung der Universität Berlin ihm durch den Staatsrath Uhden angetragene Professur der Statistik und Cameralwissenschaften und die Stelle eines Staatsraths in der Section des öffentlichen Unterrichts mit einem Gesammtgehalte von 2500 Thlr. lehnte er ab, ebenso wie den 1811 ihm durch den Oberhofprediger Reinhard eröffneten Ruf als Professor der Geschichte in Leipzig. Als Ersatz in Göttingen wurde ihm die durch den Tod des Technologen Beckmann erledigte Stelle in der Honorenfacultät zu Theil und eine Gehaltserhöhung, so daß er 1812 eine Besoldung von 4300 Francs genoß. Auffallenderweise war er bisher noch nicht Doctor: erst am 22. Februar 1811 verlieh ihm die philosophische Facultät honoris causa unter dem Decanat Heeren’s die Würde. Litterarische Arbeiten dieser Zeit sind die Besorgung einer neuen Ausgabe von Spittler’s Entwurf einer Geschichte der europäischen Staaten, die er bis 1807, später nochmals bis 1822 fortführte, und die Preisschrift über die Regierung der Ostgothen in Italien, die durch eine Aufgabe des Instituts hervorgerufen, 1811 in französischer und deutscher Sprache erschien. Wollte man schon früh an ihm eine Hinneigung zu den höhern Ständen, das Streben, den Tact der feinen Welt zu treffen, wahrnehmen, so hat er durch Verkehr mit hervorragenden Fremden seine Kenntniß der politischen und gesellschaftlichen Zustände Frankreichs und Englands zu bereichern gesucht. Benj. Constant, der sich unter der napoleonischen Herrschaft eine Zeitlang in Göttingen aushielt, ist er besonders nahe getreten und hat sich der Vertheidigung seines politischen Charakters nachher warm angenommen. Seitdem sich Goethe im J. 1801 längere Zeit in Göttingen aufgehalten hatte, um den historischen Theil der Farbenlehre vorzubereiten, war S. und nachher auch seine Frau zu ihm in freundschaftliche Beziehung gekommen. Wiederholte Besuche in Weimar, Besorgungen von Büchern aus der Göttinger Bibliothek, kleine Geschenke, empfohlene Fremde belebten den Zusammenhang. S. berichtete über den Fortgang der Hansischen Studien, Briefe und Bücher gingen herüber und hinüber. 1814 wiederholt in Weimar anwesend, legte er Pläne einer neuen deutschen Reichsverfassung vor, die er auf Anregung der Großfürstin Katharina aufgesetzt hatte, und wurde auf Goethe’s Vorschlag als eine Art politischen Beiraths der von Karl August zum Wiener Congreß abgeordneten Gesandtschaft beigegeben. Eine Flugschrift: „Ueber die Vereinigung Sachsens mit Preußen. Von einem Preußischen Patrioten“ stellt unter dieser Maske zusammen, was das Herz eines Particularisten gegen die Vergrößerung Preußens bewegte. Die mancherlei Züge von komischer Wichtigthuerei, welche man ihm nacherzählt, stammen meist aus dieser Zeit; schon Heyne sprach 1808 von seiner precieusen Eitelkeit, die immer auf geradem Wege erhalten werden müsse. Vor Beendigung des Congresses kehrte er heim, um an der ersten hannoverschen Ständeversammiung als Abgeordneter der Stadt Einbeck theilzunehmen. Von den Aufgaben des Landtages interessirte ihn besonders die Steuerfrage. Seine Schrift „Ueber die gleiche Besteuerung der verschiedenen Landestheile des Königreichs Hannover“ (Hannover 1815) redet der gleichen Besteuerung, der Beseitigung der Exemtionen und der indirecten Steuern das Wort, rief eine Gegenschrift des Landdrosten von Wersebe hervor und erhielt 1817 einen Nachtrag, der einige Recensionen Sartorius’ mit Auszügen aus neuern steuerpolitischen Werken zusammenfaßte. Rehberg, dessen Politik S. unterstützte, war er in warmer Freundschaft verbunden, seitdem er für dessen hart angegriffene Schrift über den Adel (s. A. D. B. XXVII, 575) in den Göttinger gelehrten Anzeigen in die Schranken getreten war. 1817 trat S. aus dem Landtage, um sich seiner akademischen Thätigkeit uneingeschränkt widmen [393] zu können, die in dieser Zeit eine Erweiterung dadurch erfuhr, daß er von der nassauischen Regierung, welche Göttingen zur Landesuniversität bestimmte, beauftragt wurde, über nassauische Statistik Vorlesungen zu halten. In einer Schrift vom Jahre 1820: „Ueber die Gefahren, welche Deutschland bedrohen und die Mittel ihnen mit Glück zu begegnen“, suchte er der Aufregung der Parteien durch wohlgemeinte Rathschläge eines Mannes der Mitte zu begegnen. Bedeutender als seine schriftstellerische Thätigkeit muß seine akademische Lehrwirksamkeit gewesen sein. Zwei Stimmen so entgegengesetzter Art wie die Heinrich Heine’s und des Frankfurters Joh. Friedr. Böhmer, sind einig in dem Lobe seines Vortrages. Gegenüber der akademischen Tradition, welche allzu geneigt ist, die Schattenseiten festzuhalten, ist es Pflicht hervorzuheben, welch nachhaltigen Eindruck S. durch seine Lehre wie durch seine Persönlichkeit auf einen Charakter wie Böhmer hervorgebracht hat. Er bezeichnet geradezu die Vorlesungen Sartorius’ und den Umgang mit ihm als das größte Glück seines akademischen Lebens. Mochten seine Vorlesungen vorzugsweise der neuern Geschichte und Politik zugewandt sein – er hielt auch ein politisches Practicum, in dem die Zuhörer über moderne Themata, wie Steuerfragen, Zweikammersystem u. dgl. referirten – so bekennt sich ihm Böhmer doch auch dankbar für die Hinweisung auf das Mittelalter, die ihm Richtung für das ganze Leben gegeben habe. Nach dem Jahre 1820 nahm S. die Arbeit über die Hanse wieder auf und sammelte durch Bereisung der Archive der Hansestädte und Kölns ein die frühere Untersuchung erheblich vertiefendes Material. Das Werk erhielt dadurch ein ganz anderes Ansehen als zuvor. Ein darstellender Theil wurde von einem urkundlichen getrennt und letzterm eine Fülle neu entdeckter Urkunden zur ältern Geschichte der Hanse zugeführt. Nicht mehr wie in der ersten Ausgabe ist die ganze Geschichte des Bundes Ziel der Darstellung, sondern nur die des Ursprunges. Es war dem Verfasser nicht vergönnt, das Erscheinen seines Werkes zu erleben; der erste, die Abhandlung enthaltende Band war zu einem Drittel, der zweite dem Urkundenbuch bestimmte, zu einem Viertel gedruckt, als er nach kurzer Krankheit abberufen wurde. Die Vollendung des Werkes übernahm der junge hamburger Archivar Lappenberg, der dem Verfasser durch Mittheilung von Urkunden die werthvollste Beihülfe geleistet hatte, so daß 1830 die beiden Bände erscheinen konnten, mit denen Sartorius’ Namen in der Geschichte der Wissenschaft verknüpft bleiben wird. Seine in den Abhandlungen der königl. Gesellschaft der Wissenschaften, deren Mitglied er seit 1810 war, niedergelegten Arbeiten schließen sich theils an die Untersuchung über die Ostgothen, theils an die über die Geschichte der Hanse. Durch eine Erbschaft, die seiner Frau von einem in Leipzig ansässigen kaufmännischen Verwandten zu Theil geworden, war er in den Stand gesetzt, das in Unterfranken gelegene Gut Waltershausen (Bezirksamt Königshofen) von den Herren v. Kalb, den Nachfolgern der Marschall v. Ostheim, zu erwerben, das als adeliges Lehn adeligen Stand des Erwerbers erforderte. Durch einen Erlaß vom 29. Mai 1827 ertheilte ihm und seinen Erben König Ludwig I. von Baiern die freiherrliche Würde, nicht ohne in dem Adelsbriefe hervorzuheben, wie er „ein eigener Zeuge der ausgebreiteten Gelehrsamkeit und der im Fache der Statistik, Staatswirthschaft, der Geschichte und der Politik, sowie überhaupt im Gebiete der Litteratur sich erworbenen vielfältigen Verdienste“ des Professors an der hohen Schule zu Göttingen gewesen sei. Da eine königliche Verordnung vom 18. März 1816 hannoverschen Unterthanen untersagte, Standeserhehungen von fremden Potentaten anzunehmen, so gestattete König Georg IV. unterm 8. Januar 1828 „in gnädigster Berücksichtigung der Persönlichkeit des Hofraths S. und der besonderen bei der Verleihung eingetretenen Umstände als Ausnahme von der gedachten Verordnung die Annahme [394] der verliehenen baierischen Freihermwürde. – S. hinterließ drei Kinder; der ältere Sohn übernahm das Gut, der zweite Wolfgang, wie er nach seinem Pathen Goethe hieß, widmete sich dem gelehrten Stande (s. unten). Die Tochter heirathete den Obergerichtsdirector v. Bobers in Göttingen. – Caroline S. geb. v. Voigt, Schwester des 1828 verstorbenen Celler Oberappellationsgerichtsraths v. Voigt, seit Juni 1805 mit S. verheirathet, nahm lebhaften Theil an dem regen geistigen Leben der Zeit und zeigte Sinn und Verständniß für die Wirksamkeit ihres Mannes. Die nach Form und Inhalt vortreffliche Charakteristik, die sie ihrem Manne widmete, liefert dafür einen vollgültigen Beweis. Die Briefe J. F. Böhmer’s enthalten schöne Zeugnisse ihres Wesens und reiche Beweise ihrer Verehrung für Goethe. Sie überlebte ihren Mann nur um wenige Jahre († am 24. November 1830).

Pütter, Gel.-Gesch. III, 352; IV, 290. – Neuer Nekrolog der Deutschen 1828, II, 670. – (Caroline Sartorius) Zum Andenken an Georg Sartorius, Freiherrn von Waltershausen, Prof. der Politik in Göttingen. Gött. 1830. 4° (wiederabgedruckt im N. vaterl. Archiv 1831, I, 185). – Strodtmann, Briefe an und von Bürger IV, 54. – Strieder, Hess. Gel.-Lexikon. – Roscher, Gesch. der N. Oek. S. 597, 601, 615 ff. – Wegele, Gesch. der deutschen Historiographie, S. 920. – Strehlke, Goethe’s Briefe II, (1884), S. 140. – Goethe, Tag- und Jahreshefte z. 1801, 1802, 1809. – Goethe’s Briefe an Eichstädt S. 187, 316, 322. – F. Kohlrausch, Erinnerungen S. 113. – Joh. v. Müller, Werke XI, 1 ff. -– Ritter Lang, Memoiren I, 241. – Briefe an Joh. v. Müller, hsg. von Maurer-Constant II, 66, 155, 162. – J. Fr. Böhmers Leben, Briefe und kl. Schriften, hrsg. von Janssen I, 36 ff, 122 ff.; II, 3, 13, 17, 99, 117. – Acten des Univ.-Curatoriums. – Hannov. Gesetzsammlung von 1828.