Starrer Gang
Der Begriff starrer Gang (auch „starre Nabe“, „Starrlauf“, "Steifnabe, "Ewigtreter" oder "Fixie" genannt) bezeichnet das Nichtvorhandensein eines Freilaufs an einem Fahrrad. Meist verfügen Fahrräder mit starrem Gang über keine Gangschaltung, dies ist aber nicht die definierende Eigenschaft.
Historisch waren die ersten, ab den 1860er Jahren verwendeten Tretkurbelfahrräder Fahrräder mit starrem Gang, um 1900 setzte sich der Freilauf rasch gegen die starre Nabe durch.
Im Radsport werden Fahrräder ohne Freilauf heute im Bahn- und Hallenradsport, verwendet. Straßenradrennfahrer setzen Räder mit starrem Gang fallweise beim Training ein.
Ab den 1980er Jahren hatten Fahrradkuriere in New York begonnen, Bahnfahrräder auf der Straße zu verwenden. Bilder und Videofilme von diesen Fahrten verbreiteten sich weltweit, das Fahren mit den als "Fixies" bezeichneten Rädern ohne Freilauf erlangte dadurch Kultstatus, die deutliche Mehrheit der Radfahrer verwendet aber weiterhin Fahrräder mit Freilaufnabe.
Fahrradtechnik
Fahrräder mit starrem Antrieb werden üblicherweise als Eingangrad ohne Gangschaltung eingesetzt. Eine Kettenschaltung ist wegen des dafür nötigen federnden Kettenspanners nicht praktikabel. Nabenschaltungen verfügen üblicherweise entweder über eine Rücktrittbremse oder einen integrierten Freilauf. Speziell für Fahrräder mit starrem Antrieb wird die Nabenschaltung SunRace bzw. Sturmey-Archer S3X angeboten. In den 1950er Jahren war die 3-Gang-Nabenschaltung ASC ohne Freilauf erhältlich. Alternativ ist auch die Verwendung eines im Innenlager integrierten Getriebes möglich.[1] Fahrräder mit starrem Gang können nicht mit Rücktrittbremse ausgestattet werden.
Da die Verwendung eines federnden Kettenspanners zu einem großen „Spiel“ im Antrieb und dem häufigen Abspringen der Kette führen würde, muss die Kettenspannung entweder durch Drehung eines exzentrisch gelagerten Innenlagers (überwiegend nur bei Tandems üblich) oder durch das Verschieben des Hinterrads in einem waagerechten oder schrägen Ausfallende eingestellt werden. Sportliche Fahrradrahmen zur Verwendung mit Kettenschaltung verfügen heute meist über senkrechte Ausfallenden und sind daher für einen starren Antrieb nicht geeignet.
Falls das Fahrrad nicht über zwei zusätzliche Handbremsen verfügt, ist die sorgfältige Einstellung der Kettenspannung sicherheitsrelevant. Denn sollte die Kette abspringen, so ist es nicht mehr möglich, das Fahrrad über die Antriebskurbeln abzubremsen. Üblicherweise bestehen am Kettenblatt leichte Abweichungen zum genauen Rundlauf. Dadurch ist es oft nicht möglich, eine Einstellung zu finden, bei welcher die Kette weder zu stark durchhängt, noch sich beim Drehen der Kurbeln an anderer Stelle verspannt. Falls das Kettenblatt nicht fest vernietet ist, empfiehlt es sich, die vier oder fünf Befestigungsbolzen des Kettenblatts etwas zu lösen und durch Spannen der Kette und anschließendes Drehen der Kurbeln herauszufinden, an welcher Stelle der Antrieb verspannt. An diesem Punkt kann durch leichte Schläge auf die Kette mit einem Schraubenschlüssel erreicht werden, dass sich das Kettenblatt leicht verschiebt. Nun dreht man die Kurbeln weiter, bis sich die Kette erneut spannt und fährt so fort, bis das Kettenblatt zentriert ist.[2]
Bremsen
Ein Fahrrad mit starrem Gang kann über die Antriebskurbeln auch abgebremst werden. Falls keine Fahrradbremsen verbaut sind, ist dies die einzige Möglichkeit der Bremsverzögerung. Dazu gibt es spezielle Techniken:
- “Skid”-Manöver: Zusammen mit Gegenbewegung der Beine auf die Pedale wird eine Gewichtsverlagerung nach vorn mit dem kurzen, leichten Anheben des Hinterrades eingesetzt. Dieses wird so zum Blockieren gebracht, wobei das Fahrrad leicht schräg zur Fahrtrichtung gestellt werden kann und mit blockiertem Hinterrad bremsend weiterhin lenkbar bleibt.
- "Hop Stop": Auch hier erfolgt eine Gewichtsverlagerung nach vorn zusammen mit einer Gegenbewegung über die Pedale, wobei das Hinterrad aber nicht vollständig blockiert, sondern wiederholt, bis zur gewünschten Bremsverzögerung, aufgesetzt wird.
Beide Techniken erfordern Übung, Körperbeherrschung und eine vorausschauendere Fahrweise gegenüber einem Fahrrad mit regulären Bremsen an beiden Rädern.[3]
Geschichte
Bei den in den 1860er Jahren entwickelten ersten Tretkurbelrädern, den Michaulinen und den daraus weiter entwickelten Hochrädern waren die Antriebskurbeln fast ausnahmslos starr direkt mit dem Vorderrad verbunden. Auch zahlreiche andere vor 1900 verwendete Fahrradkonstruktionen hatten meist keinen Freilauf. Obwohl bereits 1869 der Freilauf für Fahrräder zum Patent angemeldet wurde[4] konnte sich dieser anfangs noch nicht durchsetzen. Um das Bergabfahren mit Fahrrädern ohne Freilauf zu erleichtern wurden schon Michaulinen mit Fußrasten ausgestattet. Die 1898 erfundene Rücktrittbremse hatte wesentlichen Anteil daran, dass sich der Freilauf um 1900 in kurzer Zeit durchgesetzt hat. Lediglich bei Kunst- und Bahnrädern blieb der starre Gang in Verwendung.
Bis in die 1950er Jahre waren Hinterradnaben, die auf einer Seite einen starr montierten Zahnkranz und auf der anderen Seite einen mit Freilauf hatten gebräuchlich. Durch Wenden des Hinterrads konnte das Fahrrad von Freilauf auf starren Gang umgestellt werden.
Die Rückkehr von Fahrrädern mit starrem Gang im Straßenverkehr begann damit, dass einige Fahrradkuriere in amerikanischen Großstädten seit Anfang der 1980er Jahre ausgediente Bahnrennräder verwendeten.[5] Diese führten Alleycat-Rennen auf der Straße durch, die ab 2000 in organisierten Veranstaltungen der Öffentlichkeit bekannt wurden. Ab der zweiten Hälfte der 2000er reagierten Hersteller auf die sich international ausbreitende Fixie-Subkultur und produzieren Straßenräder mit starrem Gang.[6]
Die bereits aus der 1. Hälfte des 20. Jahrhunderts bekannten Flip-Flop-Naben, die durch Wenden des Hinterrads von Freilauf auf Fixie umgestellt werden können werden wieder produziert. Alternativ kann an der speziellen Nabe „SRAM Torpedo-Singlespeed“ die Umschaltung zwischen Freilauf und starrem Gang mittels eines Schraubendrehers vorgenommen werden. Ein Umschalten während des Fahrens ist aus Sicherheitsgründen nicht vorgesehen.
Rechtliches
Deutschland
In Deutschland ist strittig, ob der starre Gang selbst als Fahrradbremse gilt.[7][8] Nach der deutschen Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung müssen Fahrräder über zwei unabhängige Bremseinrichtungen verfügen.[9]
Österreich
Im November 2017 wurde vom österreichischen Verwaltungsgerichtshof entschieden, dass der starre Gang nicht als Bremseinrichtung anzusehen ist. Daher entspricht ein Fahrrad, das neben dem starren Gang nur über eine eigenständige Vorderradbremse verfügt, nicht den Anforderungen der österreichischen Fahrradverordnung.[10]
Vor- und Nachteile
Vorteile
- Das Fahrrad kann über das Antriebssystem nicht nur beschleunigt, sondern auch verzögert werden.
- Im Gegensatz zu Fahrrädern mit Rücktrittbremse setzt die Bremswirkung spielfrei ein, was die, besonders beim Einrad fahren oder im Kunstradsport erforderliche Kontrolle über das Fahrrad verbessert.
- Rückwärtsfahren ist möglich.
- Ausbalancieren im Stand ist einfacher als bei Fahrrädern mit Freilauf.
- Geringere Anzahl an Bauteilen. Im Bahnradsport und anderen Bereichen, in denen keine starken Bremsen erforderlich sind, können neben dem Freilauf auch die Bremsbauteile entfallen.
Nachteile
- Der Fahrer muss während der Fahrt immer mit treten (außer er nimmt die Füße von den Pedalen, was jedoch die Stabilität verschlechtert).
- Beim Bergabfahren mit den Füßen auf den Pedalen ist die maximale Geschwindigkeit durch die Tretfrequenz eingeschränkt.
- In Kurven kann nicht das innenseitige Pedal angehoben und in dieser Position gehalten werden. Dadurch ist die Schräglage in Kurven eingeschränkt. Beim Aufsitzen eines Pedals in einer Kurve besteht ein hohes Sturzrisiko.
- Beim Überfahren von Hindernissen kann nicht eine günstige Pedalstellung eingenommen werden.
- Gangschaltungen sind nur eingeschränkt möglich.
- Erhöhte Unfall- und Verletzungsgefahr wenn sich ein Kleidungsstück in der Kette verfängt oder ein Defekt im Antriebssystem auftritt.
Sicherheit bei Wartungsarbeiten
Beim leer Durchdrehen des Antriebs wirkt das Hinterrad als Schwungmasse und treibt dabei Kette und Getriebe auch gegen große Widerstände weiter an. Deshalb muss bei Wartungsarbeiten wie zum Beispiel beim Reinigen und Schmieren der Kette besonders darauf geachtet werden, dass man nicht mit einem Finger etc. zwischen Kette und Zahnkranz kommt.[11]
Weblinks
Einzelnachweise
- ↑ Sheldon Brown: Articles about Fixed Gear and Singlespeed Cycling and Equipment
- ↑ Sheldon Brown: Fixed Gear Bicycles for the Road, Abschnitt „Centering Chainwheels“
- ↑ Codebike: Fahrrädern ohne Bremsen – Techniken und Tipps. In: Santafixie DE Blog. 20. Januar 2025, abgerufen am 26. Januar 2025 (britisches Englisch).
- ↑ Patent US88238A: Improvement in Velocipedes. Veröffentlicht am 23. März 1869, Erfinder: William van Andem.
- ↑ https://www.margotcycling.com/de/geschichte-fixies
- ↑ Andrew Edwards, Max Leonard: Fixed: Global Fixed-Gear Bike Culture. Laurence King Publishing, London 2009, ISBN 978-1-85669-645-6, S. 6.
- ↑ Zur rechtlichen Bewertung aus dem Blog eines Berliner Fahrradladens vom 6. August 2009
- ↑ Das Amtsgericht Bonn beurteilte 2009 in einem Fall den starren Gang als eine Bremse, vgl. Aktenzeichen: AG Bonn 337 Js 1152/09. Hierzu: Der Spiegel vom 6. August 2009
- ↑ § 65 Abs. 1 StVZO
- ↑ Österreichischer Verwaltungsgerichtshof – „Fixie“-Fahrrad nur mit „starrem Gang“ und Vorderbremse nach Fahrradverordnung unzulässig. Abgerufen am 4. Dezember 2017.
- ↑ Sheldon Brown: Fixed Gear Bicycles for the Road, Abschnitt „Catching Fingers, Trousers, Shoelaces“