Staatsverschuldung Deutschlands

Die Staatsverschuldung Deutschlands besteht aus den zusammengefassten Schulden von Bund, Ländern, Gemeinden, Gemeindeverbänden, gesetzlicher Sozialversicherung und Sondervermögen des Bundes bei in- und ausländischen Kreditgebern.

Veröffentlicht werden die „Schulden beim nicht öffentlichen Bereich gemäß Finanzstatistik“ im Rahmen der Schuldenstatistik vom Statistischen Bundesamt und der Maastricht-Schuldenstand, der auf Basis des Europäischen System Volkswirtschaftlicher Gesamtrechnungen von der Deutschen Bundesbank ermittelt wird. Zusätzlich werden unter anderem sogenannte Zuweisungs- oder Reroutinggeschäfte für die Europäische Finanzstabilisierungsfazilität und die Kreditanstalt für Wiederaufbau als langfristige Kredite beinhaltet.[1]

Entsprechend der Deutschen Bundesbank betrug die Staatsverschuldung Deutschlands im Jahr 2021 etwa 2500 Milliarden Euro und damit 70 % des Bruttoinlandsprodukts von etwa 3600 Milliarden Euro für 2021.[2][3][4] Das Statistische Bundesamt berichtet für das Jahr 2021 eine Staatsverschuldung der Bundesrepublik Deutschland von 2300 Milliarden Euro für Bund und Länder mit Überleitung der erforderlichen Werte zum Schuldenstand der Deutschen Bundesbank.[5]

Überblick

Die Höhe der Staatsverschuldung hängt davon ab, welche Schuldenarten sowie welche öffentlichen Einheiten in die Betrachtung einbezogen werden. Für die Rechnungslegung der öffentlichen Haushalte werden zwei verschiedene Rechenwerke verwendet: die Finanzstatistik und die Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen. Diese Rechenwerke unterscheiden sich vor allem hinsichtlich der Periodisierung und Abgrenzung der Einnahmen und Ausgaben des öffentlichen Sektors:

Staat nach Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen öffentlicher Gesamthaushalt nach Finanzstatistik
Bund, Länder, Gemeinden, Gemeindeverbände,
Zweckverbände, Sondervermögen, Sozialversicherung
Bund, Länder, Gemeinden, Gemeindeverbände,
Zweckverbände, Sondervermögen, Sozialversicherung
Periodisierung nach Entstehungszeitpunkt
z. B. Lohnsteueraufkommen Januar wird zurückgebucht auf Dezember
Bauinvestitionen werden nach Baufortschritt berücksichtigt
Periodisierung nach Kassenwirksamkeit
z. B. Lohnsteueraufkommen Januar bleibt dem Januar zugeschlagen
Bauinvestitionen werden im Jahr der Zahlung berücksichtigt
Einnahmen aus Verkauf von Beteiligungen bleiben unberücksichtigt Einnahmen aus Verkauf von Beteiligungen werden kassenwirksam

Staatsschulden können nach folgenden Kriterien unterschieden werden:

  • nach den Gläubigern: inländische Gläubiger, ausländische Gläubiger
  • nach den Schuldnern: Bund, Land, Gemeinde, Gemeindeverband, Sozialversicherung, Extrahaushalt
  • nach Art der Schulden: Kreditmarktschulden, Kassenkredite, u. a.
  • nach volkswirtschaftlicher Abgrenzung (erfasst Einnahmen und Ausgaben nach dem Entstehen der Forderungen und Verbindlichkeiten und ist (weitgehend) methodische Grundlage für die Ermittlung der Haushaltsdefizite und der öffentlichen Schulden nach dem Vertrag von Maastricht und dem Europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt)
  • nach Abgrenzung der Finanzstatistik (erfasst Einnahmen und Ausgaben einschließlich der Sondervermögen und Sozialversicherung nach ihrer Kassenwirksamkeit und ist relevant für die Schuldenbegrenzung nach Artikel 115 Grundgesetz sowie für die entsprechenden Bestimmungen in den Verfassungen der Länder)
  • nach Maastricht-Kriterien

Staatsverschuldung in Deutschland

Deutschland (Gesamtverschuldung Ende 2022 in Maastricht-Abgrenzung: 2,56 Bill. Euro) ist zu rund 59 % bei inländischen Gläubigern (Ende 2022 in Maastricht-Abgrenzung: 1,52 Bill. Euro) verschuldet, die übrigen rund 41 % sind Auslandsschulden (Ende 2022 in Maastricht-Abgrenzung: 1,04 Bill. Euro). Die inländischen Gläubiger sind zu circa 49 % die Deutsche Bundesbank (Ende 2022 in Maastricht-Abgrenzung: 0,74 Bill. Euro) und zu circa 51 % inländische Kreditinstitute sowie Nichtbanken (Versicherungen, Unternehmen, Privatpersonen).[6]

Ende des Jahres 2023 war der Öffentliche Gesamthaushalt (Bund, Länder und Gemeinden einschließlich aller Extrahaushalte) mit 2.445,1 Milliarden Euro verschuldet. Das entspricht einer Pro-Kopf-Verschuldung von 28.943 Euro, 778 Euro mehr als im Vorjahr.[7] Für 2023 waren im Bundeshaushalt 37,6 Milliarden Euro für Zinszahlungen eingeplant.[8]

Volkswirtschaftliche Bedeutung der Staatsverschuldung

Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung geht davon aus, dass steigende und hohe Schuldenstandsquoten – unabhängig davon, wie sie entstanden sind – langfristig mit Wachstumsverlusten verbunden sind. Zudem belasten sie zukünftige Generationen über die zur Finanzierung des Schuldendienstes erforderlichen höheren Steuern.

Eine dauerhafte Staatsverschuldung könne aber im Zusammenhang mit öffentlichen Investitionen gerechtfertigt sein, die das Vermögen kommender Generationen erhöhen oder künftige Erträge hinterlassen und diese somit „reicher“ machen. Die intergenerative Umverteilungswirkung der Staatsschuld sei hier ein gewünschtes Ergebnis, um auch die künftigen Nutznießer der heutigen Ausgaben an den Finanzierungslasten zu beteiligen.[9]

Kennziffern der Staatsverschuldung

Staatsverschuldung 2000 – 2019 in % des BIP für die EU und Deutschland

Das Verhältnis des Schuldenstands zum nominalen Bruttoinlandsprodukt (Staatsschuldenquote) und das Finanzierungsdefizit (Nettokreditaufnahme) bezogen auf das nominale Bruttoinlandsprodukt sind wichtige Verschuldungskennziffern, die herangezogen werden, um das Vorliegen einer Haushaltskrise oder Notlage festzustellen.

Entwicklung der Staatsverschuldung

Entsprechend dem zunehmenden Schuldenstand waren die Zinslasten über Jahrzehnte gewachsen. Die Zinslastquote (Zinsausgaben in % der staatlichen Gesamtausgaben) lag für den Bund im Jahr 2001 bei 16,2 %; in einigen Bundesländern noch deutlich darüber. Gemessen am Bruttoinlandsprodukt liegt die Zinslastquote etwa bei 3 %. Die deutliche Senkung des Leitzinses in der Eurozone auf ein historisch niedriges Niveau von 0,0 %[10] sowie die große Nachfrage nach den als sichere Anlage geltenden Bundesanleihen senkte in den Jahren vor 2022 die Zinsen von Neuemissionen deutlich, weshalb auch die Zinslast insgesamt rückläufig war.[11] Für Neuemissionen von Staatsanleihen ein- und zweijähriger Laufzeit konnte Deutschland zeitweise negative Zinsen verlangen.[12] Am 8. September 2022 beschloss die Europäische Zentralbank die mit 0,75 Prozent stärkste Zinserhöhung seit Einführung des Euro-Bargelds im Jahr 2002.[13] Die Verzinsung von zehnjährigen Bundesanleihen stieg danach mit 2,42 Prozent auf das höchste Niveau seit dem Jahr 2011. Mittelfristig wurden daher deutlich höhere Belastungen des deutschen Staatshaushalts durch Kreditzinszahlungen erwartet.[14]

Erstmals im Jahr 2013 sank der Schuldenstand in Deutschland, bei einer rückläufigen deutschen Staatsschuldenquote von 81,0 % auf 78,4 % des Bruttoinlandsprodukts.

Die Schulden der öffentlichen Haushalte von Bund, Ländern und Gemeinden zusammen (ab 2010 inkl. aller Extrahaushalte und Schulden der deutschen Sozialversicherung), haben sich seit 1950 wie folgt entwickelt:

Schulden des öffentlichen Gesamthaushalts von 1950 bis 2022
Jahr in Millionen Euro
1950
  
9.574
1951
  
10.747
1952
  
12.276
1953
  
14.775
1954
  
18.311
1955
  
21.357
1956
  
22.362
1957
  
23.158
1958
  
23.991
1959
  
25.463
1960
  
28.998
1961
  
32.215
1962
  
33.129
1963
  
36.026
1964
  
39.797
1965
  
44.697
1966
  
50.294
1967
  
58.018
1968
  
62.402
1969
  
62.982
1970
  
64.210
1971
  
71.661
1972
  
79.392
1973
  
86.421
1974
  
97.368
1975
  
130.008
1976
  
150.904
1977
  
167.119
1978
  
188.579
1979
  
210.950
1980
  
238.897
1981
  
278.221
1982
  
313.733
1983
  
343.279
1984
  
366.682
1985
  
388.436
1986
  
409.300
1987
  
433.788
1988
  
461.525
1989
  
474.704
1990
  
538.334
1991
  
599.511
1992
  
686.356
1993
  
769.898
1994
  
848.057
1995
  
1.018.767
1996
  
1.082.970
1997
  
1.132.442
1998
  
1.165.414
1999
  
1.199.582
2000
  
1.210.918
2001
  
1.223.503
2002
  
1.277.271
2003
  
1.357.723
2004
  
1.429.749
2005
  
1.489.853
2006
  
1.545.364
2007
  
1.552.371
2008
  
1.577.881
2009
  
1.694.368
2010
  
2.011.677
2011
  
2.025.438
2012
  
2.068.289
2013
  
2.043.344
2014
  
2.043.918
2015
  
2.020.704
2016
  
2.009.310
2017
  
1.969.104
2018
  
1.915.767
2019
  
1.899.061
2020
  
2.172.850
2021
  
2.320.961
2022
  
2.368.026
2023
  
2.453.788
Datenquelle: Statistisches Bundesamt (Daten für 2023 vorläufig)[15][16]

Der Verlauf zeigt, dass das Schuldenwachstum (also die Änderungsrate des Schuldenstandes) zum Teil stark schwankt. So erhöhte es sich nach der Deutschen Wiedervereinigung im Jahre 1990 stark, verringerte sich von 1995 bis 2000. Seit dem Jahr 2001 wuchsen die Schulden jedoch wieder stärker.

Konsolidierter Bruttoschuldenstand des Staates in Prozent des Bruttoinlandsprodukts[17]
Jahr 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020 2021 2022 2023
Schuldenquote 59,2 58,1 59,8 63,3 65,0 67,1 66,4 63,7 65,2 72,3 81,0 78,5 79,8 77,4 74,5 71,2 68,3 64,0 60,8 58,7 68,0 68,1 65,0 62,9

Im Zeitraum von 1979 bis 2010 liegt der jährliche Finanzierungssaldo in Relation zum BIP bei −2,7 %. Insofern ist sogar der Anstieg der Jahre 2007 bis 2010 „im normalen Bereich“, bei einem mittleren Finanzierungssaldo von −2,3 % und somit deutlich unter dem langjährigen Mittel. Zuletzt im Zuge der mit der Finanzkrise ab 2007 einhergehenden Bankenrettung stieg der Schuldenstand (brutto) bis 2009 um knapp 100 Mrd. Euro.[18] Die COVID-19-Pandemie führte 2019 bis 2020 ebenfalls zu einem sprunghaften Anstieg des Schuldenstands um etwa 273 Mrd. Euro.

Der Bundeshaushalt wurde zwischen 1970 und 2014 jeweils mit einer Netto-Neuverschuldung abgeschlossen.

Verdeckte Staatsverschuldung

Neben der vorliegenden Verschuldung, die sich aus den in aller Regel verbrieften Staatsverbindlichkeiten (Bundesanleihen, -schatzbriefe, Kommunalanleihen, Kommunalkrediten etc.) ergibt, spricht man auch von der impliziten Verschuldung (engl. implicit debt; in der Politik und den Medien auch Schattenverschuldung), die sich aus der Höhe der zukünftigen staatlichen Verpflichtungen, wie z. B. Renten- und Pensionszahlungen, ergibt. Die Berechnung der impliziten Verschuldung wird kontrovers diskutiert, da sie unter anderem von Annahmen über die Höhe der Zahlungsströme (Cash-Flow) der künftigen Zinsstruktur abhängt. Eine Änderung der Sozialversicherungssysteme oder der Bevölkerungsverteilung hätte beispielsweise Auswirkungen auf die zukünftigen Zahlungsströme und damit auf deren Kapitalwert. Aus diesem Grund beziehen sich die veröffentlichten Zahlen auf die explizite Verschuldung. Es gibt Vorschläge, die implizite Verschuldung in eine Generationenbilanz zu integrieren. Verdeckte Staatsverschuldung beschreibt eine Staatsverschuldung, bei der der Schuldner nicht der Staat selbst ist, sondern eine ausgelagerte Einheit. wie z. B. der Fonds Deutsche Einheit. Auch wenn diese Schulden nicht als Schulden des Staates bilanziert werden, sind sie doch wirtschaftlich diesem zuzurechnen. Extrahaushalte mit ihren Forderungen und Schulden zählen zum öffentlichen Gesamthaushalt.[19]

Verschuldung der Bundesländer

Pro-Kopf-Verschuldung der Bundesländer auf Kreisebene 2019.

Die Pro-Kopf-Verschuldung der Einwohner ist in den drei Stadtstaaten und im Saarland am höchsten. Von den Flächenstaaten ist das Saarland pro Kopf am höchsten verschuldet, die wirtschaftsstarken Südstaaten Bayern und Baden-Württemberg sowie Sachsen haben weniger Schulden.

In der untenstehenden Tabelle ist die Inflation unberücksichtigt. Rechnet man mit einer jährlichen Inflation von etwa 2 Prozent, würden die dort angegebenen Zahlen für 2022 verglichen zu 2010 um einen Wert von mehr als −20 Prozent negativer (= günstiger) ausfallen.

Entwicklung des Pro-Kopf-Schuldenstands in Euro in den deutschen Bundesländern beim nichtöffentlichen Bereich 2010 bis 2022[20]
Bundesland 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020 2021 2022
Baden-Württemberg 5.416 5.873 5.885 6.029 4.928 4.928 4.880 4.202 3.982 4.003 4.313 4.243 3.851
Bayern 2.330 2.315 2.223 2.083 1.866 1.671 1.514 1.308 1.121 987 1.359 1.512 1.425
Brandenburg 7.890 7.979 7.994 7.658 7.431 7.356 7.262 6.740 6.432 6.615 7.368 7.505 7.198
Hessen 6.090 6.512 6.719 6.673 7.267 6.968 6.923 6.581 6.463 6.449 7.296 7.013 6.289
Mecklenburg-Vorpommern 6.233 6.321 6.378 6.204 6.101 5.942 5.293 4.973 4.755 4.687 5.247 5.300 5.096
Niedersachsen 6.839 7.233 7.145 7.254 7.319 7.731 7.564 7.486 7.359 7.279 8.123 8.047 7.713
Nordrhein-Westfalen 9.792 10.265 11.871 10.810 10.598 10.459 10.199 9.744 9.332 9.492 9.957 10.108 9.903
Rheinland-Pfalz 7.623 7.992 8.262 8.246 8.188 8.198 8.207 7.804 7.513 7.295 7.539 6.954 6.747
Saarland 11.560 12.268 12.957 13.592 13.982 14.205 14.156 14.127 13.920 13.989 14.737 14.811 13.651
Sachsen 1.543 1.387 1.228 1.018 777 566 453 381 346 279 1.244 1.554 1.352
Sachsen-Anhalt 8.762 9.040 9.092 8.979 9.068 9.297 9.054 9.325 9.003 9.496 9.705 10.081 10.486
Schleswig-Holstein 9.732 9.970 10.067 9.840 9.897 9.736 10.262 10.121 10.686 10.609 11.002 11.391 11.188
Thüringen 7.340 7.566 7.482 7.394 7.304 7.263 7.065 7.372 6.827 6.822 7.363 7.740 7.386
Berlin 17.490 18.619 18.213 17.799 17.347 16.831 16.486 15.744 15.008 14.773 16.307 16.897 16.564
Bremen 27.372 29.051 30.155 30.615 31.299 33.037 31.756 30.987 31.928 43.921 58.035 53.834 33.264
Hamburg 14.119 14.560 14.273 14.393 16.148 16.307 17.415 17.885 18.734 18.279 19.181 19.106 17.731

Staatsschulden und Staatsvermögen

Den Staatsschulden in Deutschland stehen beträchtliche Staatsvermögen gegenüber. Die Staatsvermögen bestehen aus Sachvermögen (Gebäude, Bauland, Infrastruktur etc.) und Geldvermögen. Insgesamt ist das Vermögen größer als die Staatsschulden. Die Differenz bildet das Reinvermögen des Staates. Nach Berechnungen des DIW auf Basis von Daten des Statistischen Bundesamtes und der Deutschen Bundesbank ergibt sich gegen Ende der 2010er Jahre ein Reinvermögen (auch Nettovermögen oder Eigenkapital) von unter 10 % des BIP. 1991 lag das staatliche Reinvermögen noch bei 52 % des BIP.[21] Inzwischen ist das Reinvermögen des Staates wieder gestiegen von 275 Mrd. Euro 2011 auf 895 Mrd. Euro 2018.[22]

Während sich das private Gesamtvermögen in Deutschland von 1992 bis 2012 mehr als verdoppelte (von 4,6 auf 10 Billionen Euro), ist das Staatsvermögen im gleichen Zeitraum um 800 Milliarden Euro gesunken.[23]

Rechtliche Grenzen der Staatsverschuldung

Kreditaufnahmen zu Lasten des Staates bedurften im Alten Reich in den Territorien mit Landständen deren Zustimmung. Im 19. Jahrhundert ging dieses Recht auf die Parlamente über, die im Rahmen ihres Budgetrechts die Höhe der Schuldenaufnahme bestimmten. Die massive Ausweitung der Staatsverschuldung durch Kriegsanleihen im Ersten Weltkrieg führten zu den ersten verfassungsrechtlichen Begrenzungen der Staatsverschuldung in Deutschland. Die Weimarer Verfassung regelte in Art. 87 „Im Wege des Kredits dürfen Geldmittel nur bei außerordentlichem Bedarf und in der Regel nur für Ausgaben zu werbenden Zwecken beschafft werden.“[24] Wirksam wurde diese Regelung nicht: Die Kreditaufnahme des Staates wurde in extremer Weise ausgeweitet und führte zur Hyperinflation (siehe Deutsche Inflation 1914 bis 1923). Das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland übernahm diese Regelung in Art. 115 GG (1949)[25]. 1969 wurde diese Regelung völlig neu geregelt. Nun regelte Art. 115 dass die neu aufgenommenen Kredite die Ausgaben für Investitionen nicht überschreiten dürfen. Ausnahme: Zur Abwehr einer „Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts“ war auch eine höhere Verschuldung zulässig. Daneben wurden Sondervermögen als Schattenhaushalte eingeführt.[26] 2009 wurde Art. 115 erneut neu gefasst und damit die Schuldenbremse eingeführt.

Außerdem sollten vor der Einführung des Euro gemäß den im Maastricht-Vertrag festgelegten EU-Konvergenzkriterien und seit seiner Einführung gemäß Art. 126 des AEU-Vertrags u. a. die folgenden Kriterien erfüllt sein:

  • Das Haushaltsdefizit darf maximal 3 % des BIP betragen.
  • Die Gesamtverschuldung darf 60 % des BIP nicht überschreiten. Hierbei werden die Schulden des Bundes, der Länder und der Gebietskörperschaften zusammengezählt. Dabei zählen als Schulden z. B. nicht Schulden aus Lieferungen und Leistungen.

Diese als Maastricht-Kriterien bezeichneten Grenzen sind politisch gesetzt worden und wurden seitens Deutschlands und auch anderer Länder seit 2002 mehrfach überschritten. Deutschland hat beim Staatsdefizit 2006 erstmals seit fünf Jahren wieder die Vorgaben des Euro-Stabilitätspaktes erfüllt. Der Wirtschaftsaufschwung und höhere Einnahmen ließen das deutsche Haushaltsloch auf 1,7 % des Bruttoinlandsprodukts schrumpfen nach 3,2 % im Jahr 2005. Die 60-%-Grenze stellte den zum Zeitpunkt der Maastricht-Verhandlungen (1991) durchschnittlichen Verschuldungsgrad der damaligen Beitrittskandidaten dar. Man unterstellte dabei ein durchschnittliches nominales Wachstum der Sozialprodukte von etwa 5 %, das heißt 3 % reales Wachstum und 2 % Inflation. Danach dürfte die Nettokreditaufnahme nur bei 60 % der Sozialproduktzunahme (also 3 %) liegen, wenn der Schuldenstand gleich bleiben sollte.

2009 beschlossen Bundestag und Bundesrat die Einführung einer Schuldenbremse, die ab 2016 dem Bund höhere strukturelle Defizite als 0,35 % des nominalen Bruttoinlandsproduktes und ab 2020 den Ländern außer in besonders schweren Rezessionen oder Katastrophen die Aufnahme neuer Schulden verbietet.

Öffentliche Schulden im Vergleich mit privatem Vermögen

Den öffentlichen Schulden steht in Deutschland ein weitaus größeres privates Nettovermögen gegenüber, so dass die Staatsverschuldung aus makroökonomischer Sicht durchaus entspannt ist, allerdings besitzen die reichsten zehn Prozent der Bevölkerung fast zwei Drittel dieses Vermögens. Die deutsche Volkswirtschaft hat ein per Saldo positives Auslandsvermögen.

Nach Berechnungen des DIW bestand das private Nettovermögen im engeren Sinne 2009 aus 7370 Milliarden Euro, was 307 % des BIP entspricht. Zusammen mit dem übrigen Nettovermögen beträgt das gesamte Nettovermögen der privaten Haushalte 9700 Milliarden Euro, 405 % des BIP. Laut dem Volkswirt Stefan Bach nahm sich „demgegenüber … die Staatsschuldenquote (2009) in Höhe von 73 % des BIP (1760 Milliarden Euro) noch recht moderat aus. […] Insgesamt stellt sich die intergenerative Belastungswirkung des öffentlichen Gesamthaushalts in Deutschland aus makroökonomischer Sicht durchaus entspannt dar. […] Allerdings sind die Betroffenheit von künftigen Steuererhöhungen oder Kürzungen von Staatsleistungen einerseits und der Nettovermögensbesitz andererseits deutlich unterschiedlich verteilt. Das private Nettovermögen im engeren Sinne ist sehr stark konzentriert […] die reichsten zehn Prozent besitzen über 60 % des Vermögens“ (2007).[21] Das Vermögen der reichsten zehn Prozent ist demnach mehr als dreimal größer als die gesamte Staatsverschuldung.

Sonderkonto zur Tilgung

Die Bundeskasse Halle (Saale) unterhält seit 2006 bei der Bundesbank Leipzig ein Sonderkonto (IBAN DE17 8600 0000 0086 0010 30), auf das Bürger ohne die Möglichkeit der steuerlichen Absetzbarkeit Geld unter dem Betreff „Schuldentilgung“ überweisen können.[27] Von 2006 bis Ende November 2022 wurden 1,38 Mio. €[28] eingezahlt, davon alleine im Mai 2018 durch 16 Einzahlungen die Summe von 600.218,39 €.[29] Als Ursache der insgesamt verhältnismäßig geringen Einzahlungen machten einzelne Politiker eine „stiefmütterliche Behandlung“ des Kontos durch das Finanzministerium aus. Dieses solle mehr auf das Konto aufmerksam machen, beispielsweise mit einem Hinweis auf der Internetseite des Ministeriums. Außerdem sei ein Dankesschreiben des Ministeriums an die Einzahler geboten. In einer Antwort des Finanzministeriums hieß es, dass das Konto „auf vielfachen Wunsch von engagierten Bürgerinnen und Bürgern“ eingerichtet worden sei. Der Staat solle aber nicht durch aktives Werben um Spenden beispielsweise wohltätigen Organisationen Konkurrenz machen. Dankesschreiben seien aufgrund der entstehenden Verwaltungskosten nicht sinnvoll.[30]

Siehe auch

Literatur

  • Daniel Buscher: Der Bundesstaat in Zeiten der Finanzkrise. Ein Beitrag zur Reform der deutschen Finanz- und Haushaltsordnung (Föderalismusreform). Duncker & Humblot, Berlin 2010, ISBN 978-3-428-13166-2.
  • Sebastian Finsterbusch: Staatsverschuldung in der Bundesrepublik Deutschland. 1. Auflage. polisphere library, 2005, ISBN 3-938456-04-3.
  • Hans-Peter Ullmann: Staat und Schulden. Öffentliche Finanzen in Deutschland seit dem 18. Jahrhundert. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2009, ISBN 978-3-525-36385-0.

Einzelnachweise

  1. Deutsche Bundesbank: Die Maastricht-Schulden: methodische Grundlagen sowie die Ermittlung und Entwicklung in Deutschland, Monatsbericht April 2018, S. 59 ff.
  2. Deutsche Bundesbank. In: Verschuldung gem. Maastricht-Vertrag – Deutschland – Gesamtstaat. Abgerufen am 4. April 2022.
  3. General government – General government debt – OECD Data. In: OECD Organisation for Economic Co-operation and Development. Abgerufen am 4. April 2022 (englisch).
  4. Bruttoinlandsprodukt in Deutschland 1950-2021. In: Statista.com. Abgerufen am 4. April 2022.
  5. Schulden, Finanzvermögen. Statistisches Bundesamt, abgerufen am 4. April 2022.
  6. | Deutsche Bundesbank. Abgerufen am 4. Oktober 2023.
  7. Manfred Schäfers, Offizielle Statistik: Schulden des deutschen Staates steigen auf 28.943 Euro je Kopf, faz.net vom 29. Juli 2024
  8. Ingo Nathusius, Schuldendienst des Bundes: Wo Christian Lindner plötzlich Geld fand, Tagesschau.de vom 5. Juli 2024
  9. Staatsverschuldung wirksam begrenzen – Expertise des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, März 2007.
  10. Aktuelle Leitzinsen der Notenbanken | Leitzinsen EZB / FED. In: Online-Broker LYNX. LYNX B.V. Germany Branch, abgerufen am 4. Mai 2020.
  11. Bundesbank: Staat spart 120 Milliarden Euro durch Niedrigzinsen. In: Der Spiegel. 11. August 2014, abgerufen am 1. Januar 2020.
  12. Negativzins – Bund verdient erstmals Geld mit Staatsanleihe. In: manager magazin. 18. Juli 2012, abgerufen am 1. Januar 2020.
  13. EZB beschließt historische Zinserhöhung. In: tagesschau.de. 8. September 2022, abgerufen am 12. November 2022.
  14. Till Bücker: Wie teuer Schuldenmachen schon geworden ist. In: tagesschau.de. 13. Oktober 2022, abgerufen am 12. November 2022.
  15. Statistischer Bericht - Schulden des Öffentlichen Gesamthaushalts 2022 (xlsx)
  16. Vorläufiger Schuldenstand des Öffentlichen Gesamthaushalts beim nicht-öffentlichen Bereich1 am 30.09.2023. Abgerufen am 14. Juli 2024.
  17. Öffentlicher Bruttoschuldenstand. Eurostat, abgerufen am 25. September 2023.
  18. Bundestagsdrucksache 17/1522. (PDF; 106 kB) bundestag.de, 26. April 2010, abgerufen am 4. August 2012.
  19. Statistisches Bundesamt: „Was beschreibt die Statistik über die Schulden des öffentlichen Gesamthaushalts?“
  20. Statistischer Bericht: Schulden des Öffentlichen Gesamthaushalts Berichtszeitraum 2022. Statistisches Bundesamt, abgerufen am 31. Dezember 2023 (Tabelle "71321-04: Entwicklung der Schulden des Öffentlichen Gesamthaushalts der Länder nach Ländern und Art der Schulden, Millionen EUR / EUR).
  21. a b Stefan Bach: Wochenbericht. (PDF; 615 kB) DIW, 15. Dezember 2010, abgerufen am 4. August 2012.
  22. Sektorale und gesamtwirtschaftliche Vermögensbilanzen, Hrsg. Statistisches Bundesamt (Destatis) (Sachvermögen) und Deutsche Bundesbank (Geldvermögen), erschienen im Dezember 2019.
  23. Thomas Öchsner: Neuer Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung: Reiche trotz Finanzkrise immer reicher. In: Süddeutsche Zeitung. 18. September 2012, abgerufen am 15. Januar 2020.
  24. Artikel 87 der Verfassung des Deutschen Reichs („Weimarer Reichsverfassung“) vom 11. August 1919. Im Reichsgesetzblatt, Nr. 152 vom 14. August 1919, S. 1383 ff., Digitalisat.
  25. Art. 115 GG (1949)
  26. Art. 115 GG (1969)
  27. Christoph Schäfer: Spendenkonten: Almosen für Deutschland. Die Bundesregierung und Thüringen haben Spendenkonten angelegt, um ihre Schulden zu senken. Die freiwilligen Geldgeber erhalten allerdings keine Spendenquittung – und auch keinen Dank. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 17. Januar 2012, abgerufen am 24. November 2017.
  28. tagesschau.de: Bürger spenden 51.200 Euro zur Schuldentilgung an den Staat. Abgerufen am 11. November 2024.
  29. Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Markus Herbrand, Christian Dürr, Dr. Florian Toncar, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP. (PDF) In: Drucksache 19/6637. Deutscher Bundestag, 19. Dezember 2018, abgerufen am 17. November 2022.
  30. Mauritius Kloft: Kaum jemand überweist der Bundesregierung freiwillig Geld. In: t-online.de. 24. April 2022, abgerufen am 17. November 2022.