Maurice Ravel

Joseph-Maurice Ravel (* 7. März 1875 in Ciboure, Département Pyrénées-Atlantique; † 28. Dezember 1937 in Paris) war ein französischer Komponist und neben Claude Debussy Hauptvertreter des Impressionismus.

Maurice Ravel

Herkunft

Maurice Ravel wurde als erster von zwei Söhnen geboren. Sein Vater stammte aus Versoix. Von Beruf Ingenieur war sein Lieblingsprojekt die Weiterentwicklung eines Mineralöldampfmotors, in das er viel Zeit und Geld investierte. Mit dem Deutsch-Französischen Krieg zerschlugen sich jedoch seine Hoffnungen, das Projekt jemals vollenden zu können. Er hielt sich zeitweilig in Spanien auf, wo er Marie Delouart, eine Baskin kennenlernte. Das Paar heiratete 1873. Kurz nachdem Maurice geboren war, siedelte die Familie noch 1875 nach Paris über. Sein Bruder Edouard (dieser wurde übrigens Ingenieur wie sein Vater) kam 1878 auf die Welt.

Jugendjahre

Den ersten Klavierunterricht erhielt Ravel mit 7 Jahren. Die Idee, eine Laufbahn als Musiker anzustreben, kam früh und wurde von den Eltern unterstützt. Mit 13 erhielt er an einer privaten Musikschule Klavierunterricht und Einweisung in die Harmonielehre. Sein Lehrer Émile Descombes war Schüler bei Frédéric Chopin gewesen. 1888 lernte Ravel den Mitschüler Ricardo Viñes kennen, ein junges Pianistentalent. Zwischen beiden entwickelte sich eine tiefe Jugendfreundschaft, die ein Leben lang halten sollte.

Am 4. November 1889 traten Ravel und Viñes zur Aufnahmeprüfung beim Pariser Konservatorium an. Von 46 Kandidaten wurden nur 19 zu den Klavierklassen zugelassen: Viñes kam in die Klasse der Fortgeschrittenen, bei Ravel reichte es für die Vorbereitungsklasse. Mit der 1891 erreichten Auszeichnung eines Vortrags bei den Zwischenprüfung qualifizierte er sich für die Klasse bei Charles de Bériots, in der auch Viñes unterrichtet wurde.

Lange Zeit spielte Ravel mit dem Gedanken, eine Pianistenlaufbahn einzuschlagen. Aber die Voraussetzungen dafür waren bei ihm nicht optimal ausgeprägt. Wärme, Gefühl und Temperament wurden seinem Spiel zwar bescheinigt, die Bravour anderer Mitschüler erreichte er indessen nicht. Das schien sich auf seine Motivation auszuwirken: Ravel war der sprichwörtliche „faule Hund“. Seine Lehrer nahmen es ihm übel, das schien seine Haltung nur noch weiter zu verstärken. 1893, 1894 und 1895 versagte er in den obligatorischen Zwischenprüfungen und musste die Meisterklasse wieder verlassen. Sein Interesse, Pianist zu werden, war nun endgültig auf dem Nullpunkt angelangt. In späteren Jahren sollte er sich nur noch ans Klavier setzen, um eigene Kompositionen zu Gehör zu bringen – und selbst das nur widerwillig.

Im Januar 1897 trat Ravel in die Kompositionsklasse von Gabriel Fauré ein, daneben studierte er Kontrapunkt, Fuge und Orchestration bei André Gédalge (Lehrer von Jacques Ibert, Arthur Honegger und Darius Milhaud). Für die Rückkehr ans Konservatorium erfüllte er die Minimalvoraussetzungen: Nicht älter als 22 Jahre und ein zweijähriges Studium der Harmonielehre. Fauré war es auch, der Ravel Zutritt zu den mondänen Salons des damaligen Paris ermöglichte. Über die Erlebnisse spottete Ravel zwar gemeinsam mit Viñes, aber als mittlerweile ausgeprägter Dandy konnte er den Abenden dort auch etwas abgewinnen. Ob seine schmächtige Statur (Ravel maß 1,58 Meter bei einem Körpergewicht von gerade einmal 48 Kilogramm) die Lust an Arroganz und Affektiertheit gefördert hat, mag dahinstehen. Seine im Salon kultivierten blasierten, zynischen Auftritte mit plissiertem Hemd und Monokel irritierten sogar seinen besten Freund Viñes. Auf die Frage, welcher Schule oder Strömung er angehöre, pflegte Ravel zu antworten: „Überhaupt keiner, ich bin Anarchist“.

Prix de Rome

Erste Anläufe

Zu den größten Enttäuschungen Ravels zählt die Tatsache, dass er sich fünf Mal für den Prix de Rome beworben hatte, doch immer scheiterte. Der „Prix de Rome“ war zu seiner Zeit die höchste Auszeichnung, die einem französischen Komponisten widerfahren konnte. Im Januar eines jeden Jahres gab es eine Zulassungsprüfung, war diese bestanden, mussten sich die Aspiranten im Mai einer Vorrunde stellen. Vorzulegen war eine vierstimmige Fuge und nach verbindlich vorgegebenem Text ein Chorwerk, die in sechs Tagen in Klausur zu fertigen waren. Nur maximal sechs Teilnehmer wurden zur Schlussrunde zugelassen. In dieser bestand die Aufgabe in der Vertonung eines ebenfalls vorgegebenen Textes als zwei- oder dreistimmige Kantate. Der Gewinner des „Prix de Rome“ – der erste Preis wurde aber nicht zwingend vergeben – erhielt ein vierjähriges Stipendium für den Besuch der "Académie des Beaux-Arts".

Im Jahr 1900 bewarb Ravel sich zum ersten Mal.

“Ich bereite mich derzeit auf den Rompreis-Wettbewerb vor und habe mich ganz ernsthaft an die Arbeit gemacht. Mit der Fuge klappt es inzwischen ziemlich leicht, was mir freilich einige Sorgen macht, ist die Kantate.“

schrieb er im März 1900 einem Freund. Doch er schied in der Vorrunde aus, der Preis ging an seinen Freund Florent Schmitt.

“Gédalge hielt meine Orchestration für geschickt und elegant. Und das alles für einen Reinfall auf ganzer Linie. Als Fauré sich für mich einzusetzen versuchte, versicherte ihm Monsieur Dubois (Direktor des Konservatoriums), er mache sich über meine musikalische Begabung Illusionen.“

resümierte Ravel resigniert.

Eine im gleichen Jahr angegangene Teilnahme an einem weiteren Fugenwettbewerb scheiterte mit null Punkten noch verhehrender, Dubois urteilte: „Unmöglich, wegen schrecklicher Nachlässigkeiten in der Schreibweise.“ In Konsequenz wurde Ravel aus der Kompositionsklasse Faurés relegiert.

Da aber auch Nicht-Studenten am „Prix de Rome“ teilnehmen durften, nahm Ravel 1901 einen neuen Anlauf. Er schaffte es in die Schlussrunde, musste sich den zweiten Preis aber mit einem Kommilitonen teilen (der Sieger hieß André Caplet, den Ravel wiederum als mittelmäßig bezeichnete).

“Fast das ganze Auditorium hätte mir den Preis gegeben.“

notierte er später. So sah es wohl auch Camille Saint-Saëns, der an einen Kollegen schrieb:

“Der dritte Preisträger, ein gewisser Ravel, scheint mir das Zeug zu einer ernsthaften Karriere zu haben.“

1902 und 1903 versuchte Ravel es erneut – und ging leer aus.

Der Eklat

Seine vor Ablauf des Bewerbungsalters letzte Teilnahme ging er 1905 an. Zahlreiche Verstöße gegen Satz- und Kompositionsregeln katapultierten ihn schon in der Vorrunde aus dem Wettbewerb. Sein „Fall“ löste eine heftige Diskussion aus, weniger um seine vorgelegten Kompositionen denn vielmehr über die Frage, wie Konservatoriums- und Wettbewerbsbetrieb eigentlich gehandhabt werden. Der Schriftsteller und Musikkritiker Romain Rolland schrieb am 26. Mai 1905 an den Direktor der Académie des Beaux-Arts, Paul Léon:

“Ich vertrete in dieser Affäre absolut keine Interessen. Ich bin kein Freund Ravels. Ich kann sogar behaupten, dass ich persönlich seiner subtilen und raffinierten Kunst keine Sympathie entgegenbringe. Aber der Gerechtigkeit halber muss ich sagen, dass Ravel nicht nur ein vielversprechender Schüler ist, er ist heute schon einer der meistbeachteten jungen Meister unserer Schule, die nicht viele davon aufzuweisen hat. (…) Ravel bewirbt sich um den Rompreis nicht als Schüler, sondern als ein Komponist, der sein Können bereits unter Beweis gestellt hat. Ich bewundere die Komponisten, die es gewagt haben, über ihn zu urteilen. Wer wird nun über sie urteilen?“

Claude Debussy

Distanzierte Freundschaft

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Claude Debussy

Wann Ravel Claude Debussy begegnet ist, ist nicht bekannt. Es dürfte um 1901 gewesen sein. Ravel hegte durchaus Bewunderung für die Werke des 12 Jahre älteren Debussy, dieser indessen zeigte umgekehrt kein besonderes Interesse. Beide hatten aber regelmäßigen – wenn auch distanziert höflichen – Kontakt und bei einem neuen Streichquartett Ravels, zu dem Fauré noch gemeint hatte, er solle es dringend überarbeiten, beschwor Debussy ihn wohlwollend, keine Note daran zu ändern.

Den Bruch zwischen beiden initiierte der mächtige Musikkritiker Pierre Lalo, der erstmals am 30. Januar 1906 und nachfolgend in weiteren Kritiken sich in Andeutungen erging, Ravel täte nichts anderes, als Debussy zu kopieren. Er behauptete es nicht, aber setzte den Namen Ravel so häufig in einen bestimmten Kontext, dass keine andere Schlussfolgerung möglich war. Schließlich sah Ravel sich zu einer Gegendarstellung veranlasst, die der Herausgeber von „Les Temps“ auch abdruckte, doch in der gleichen Ausgabe der Zeitung erschien ein weiterer höhnischer Artikel von Lalo unter der Überschrift „Monsieur Ravel verteidigt sich, ohne angegriffen worden zu sein“. In der Folgezeit ließen Ravel und Debussy ihren Kontakt – offensichtlich ohne persönliche Aussprache – fallen. Beide haben später hierüber unabhängig voneinander ihr Bedauern ausgedrückt.

Duplizität der Ereignisse

Zweifelsohne lässt sich bei der Auswahl ganz bestimmter Themen eine auffällige Ähnlichkeit bei Debussy wie bei Ravel feststellen und wegen des Altersunterschieds von 12 Jahren liegen zwischen dem Zeitpunkt der das gleiche Thema behandelnden Kompositionen häufig einige Jahre. So schrieb Debussy 1892/93 seine „Quatour à cordes“, unter dem gleichen Titel tat es Ravel 1902/03. Seine „Trois Chansons pour chœur mixte" mit dem dritten Stück als „Ronde“ erschienen 1915, Debussy hatte bereits 1904 seine „Trois Chansons de France" (mit der Satzbezeichnung „Rondel“ für den ersten und dritten Satz) veröffentlicht. Aber die Reihenfolge des Aufgreifens bestimmter Themen war oft genug auch umgekehrt. Geradezu erstaunlich ist eine Parallelität im Jahr 1909: Ravel veröffentlichte sein „Menuet sur le nom de Haydn“; ohne davon zu wissen, brachte Debussy im gleichen Jahr seine „Hommage à Joseph Haydn“ heraus. Den Vogel schossen beide 1913 ab: Unter dem gleichlautenden Titel „Trois Poémes de Stéphane Mallarmé vertonten sowohl Ravel wie Debussy drei Gedichte des Poeten, von denen zwei („Soupir“ und „Placet futile“) bei beiden Werken thematisiert wurden. Da Ravel vorab die Erlaubnis zur Vertonung bei den Erben des Dichters eingeholt hatte, sah es so aus, dass er das stärkere Urheberrecht an einer musikalischen Bearbeitung der Texte inne habe. Debussy klagte in einem Brief an einen Freund vom 8. August 1913:

“Die Geschichte mit der Mallarmé-Familie und Ravel ist alles andere als lustig. Und ist es nicht außerdem merkwürdig, dass Ravel ausgerechnet dieselben Gedichte ausgewählt hat wie ich? Ist das ein Phänomen von Auto-Suggestion, das es wert wäre, der medizinischen Akademie mitgeteilt zu werden?“

Ravel intervenierte schließlich schriftlich bei dem Verleger, der Debussy eine Absage erteilt hatte. Bei aller Themengleichheit jedoch, musikalisch sind nach Plagiaten suchende Vergleiche müßig. Debussy und Ravel haben sehr individuell komponiert.

Vorbilder und Musikerkollegen

Ein großes Vorbild für Ravel war der Komponist Emmanuel Chabrier. 1893 hatten Ravel und Viñes die Gelegenheit erhalten, ihm vorzuspielen. Von dieser Begegnung sprach Ravel auch später immer wieder voll Stolz und Rührung. Chabrier gehört zu den Musikern, die Ravel in der Anfangszeit stark beeinflusst haben. Ravel schreibt in seinen autobiographischen Skizzen von 1928:

“Meine ersten, unveröffentlicht gebliebenen Werke stammen aus der Zeit um 1893. (…) Die „Sérénade grotesque“ war deutlich von Emmanuel Chabrier beeinflusst, während die „Ballade de la reine morte d’aimer“ unter dem Einfluss Saties stand.“

In diesem Zitat fällt schon der zweite Name, dem Ravel unbegrenzte Bewunderung entgegen brachte: Erik Satie. Dessen archaische Akkord-Rückungen, sein karger Stil, der im diametralen Gegensatz zu den überladenen Klängen des hochaktuellen „Wagnerianisme“ standen, faszinierten ihn. Über ihn schreibt Ravel:

“Satie war eher ein Neuerer und ein Pionier – wenn nicht gar ein Extremist – als ein Komponist unvergänglicher Meisterwerke. Er nahm den Impressionismus à la Debussy vorweg, ging durch ihn hindurch und war einer der ersten, der sich wieder von ihm entfernte.“

Was Wagner anbetraf, so heißt das nicht, dass Ravel diesen nicht geschätzt hätte. Von vielen Aufführungen hat er sich mitreißen lassen, beeinflusst haben sie sein Schaffen indessen nicht.

Von großer Bedeutung für Ravels Kompositionen war auch die spanische Musik. Ravel hatte zu Lebzeiten stets betont, dass er ja auch Baske sei und sich seiner zweiten Heimat verbunden fühle. Zu den Werken, die diesen Einfluss widerspiegeln, gehören u.a. die Oper L’Heure espagnole, der Bolero, die Rapsodie espagnole, die Habanera der Sites auriculaires, das Alborada del gracioso aus den Mirroirs, die Vocalise-Étude en forme de Habanera, einige Lieder aus den Chants populaires, das Konzertstück für Klavier und Orchester Zaspiak-Bat und das Triptychon Don Quichotte à Dulcinée. Der Komponist Manuel de Falla schrieb:

“Die Rapsodie espagnole überraschte mich durch ihren spanischen Charakter. (…) Wie aber sollte ich mir diesen so subtil authentischen Hispanismus des Komponisten erklären (…)? Ich fand rasch die Lösung des Rätsels: Ravels Spanien war ein idealisiertes Spanien, wie er es durch seine Mutter kennengelernt hatte. (…) Das erklärt wohl auch, weshalb sich Ravel seit seiner frühesten Kindheit von diesem Land angezogen fühlte, von dem er so oft geträumt hatte.“

Ravel hat in seinem Leben eine Reihe von Musikern kennengelernt, die auch heute namhaft geblieben sind: Neben Debussy waren dies u.a. Igor Strawinski, Arthur Honegger, Bela Bartok, Arnold Schönberg. Zu den heute vielleicht weniger bekannten zählte der Pianist Paul Wittgenstein. Gleichwohl hat Wittgensteins Schicksal der Nachwelt ein außergewöhnliches Werk beschert, das Ravel eigens für ihn geschrieben hatte: Das „Klavierkonzert für die linke Hand“.

Wittgenstein hatte im ersten Weltkrieg seinen rechten Arm verloren und seine Karriere als Pianist schien damit besiegelt, aber er bauftragte zahlreiche Komponisten, Werke für einhändig gespieltes Klavier zu schreiben. Ausgerechnet das von Ravel eigens für ihn komponierte Werk läutete den Bruch zwischen Komponist und Künstler ein: Das „Klavierkonzert für die linke Hand“ wurde am 5. Januar 1932 in Wien mit Wittgenstein am Klavier aus der Taufe gehoben. Da Ravel nicht bei der Aufführung dabei war, organisierte Wittgenstein für ihn eine Soirée, bei welcher Ravel das Stück (an zwei Klavieren) zu Gehör gebracht wurde. Nachdem Wittgenstein geendet hatte, rief Ravel: „Aber das stimmt doch alles gar nicht!“. Seiner Auffassung nach hatte der Pianist das Stück nicht in seinem Sinne dargeboten. Der Streit eskalierte in einem anschließenden Briefwechsel, in welchem Wittgenstein einwendete, die Interpreten dürften keine Sklaven sein und Ravel kurz und bündig antwortete: „Die Interpreten sind Sklaven!“

Resonanz beim zeitgenössischen Publikum

Das zeitgenössische Publikum reagierte auf Ravels Werke höchst unterschiedlich. Die Zuhörer, die Konzerte nicht als Fachleute, sondern als Musikliebhaber besuchten, bevorzugten konservative, harmonisch gefällige Werke und war mit den ungewohnten Harmonien und rhythmischen Wechseln in den Kompositionen Ravels häufig überfordert. Dementsprechend fiel die Resonanz auf Neuaufführungen aus. Anders verhielt es sich bei einigen der sachverständigen Kritiker, die für manche neue Idee Ravels Sympathie bekundeten.

Histoires naturelles

Die Uraufführung der „Histoires naturelles“, einem Werk mit Gesang und Orchester, war am 12. Januar 1907. Die musikalische Darbietung wie auch die Artikulation der Gesangtexte waren so ungewöhnlich, dass das Publikum die Interpreten in Buh-Rufen und Pfiffen untergehen ließ. Doch: Einer erwartungsgemäßen Anfeindung durch Pierre Lalo in „Les Temps“ folgten prompt Kritiken, die das Werk in den Himmel lobten. Ravel hingegen sah sich durch die einst von Saint-Saëns gegründete „Societé Nationale de Musique“, die sich eigentlich die Förderung französischer Musik auf die Fahne geschrieben hatte, im Stich gelassen. Er trat aus und gründete eine eigene Gesellschaft, die „Societé Musicale Independante“.

Rhapsodie espagnole

Am 15. März 1908 kam die „Rhapsodie espagnole“ erstmals zur Aufführung. Den Rahmen bildeten die von Edouard Colonne geleiteten „Concerts Colonne“. Das Abonnement-Publikum hatte wohl angesichts des Musiktitels eine Darbietung in der Art von Saint-Saëns „Havannaise“ oder Nikolai Rimski-Korsakows „Capriccio espagnol“ mit pseudo-folkloristischen, schmissigen Effekten erwartet und sah sich enttäuscht. Unruhe kam auf, Pfiffe ertönten nach der „Malagueña“, da rief der im Rang sitzende Florent Schmitt:

„Noch einmal für die da unten, die nichts kapiert haben.“

Tatsächlich wiederholte Colonne das Stück noch einmal, auch der Rest wurde vom Publikum schließlich wohlwollender aufgenommen.

L’Heure espagnole

Das einaktige Bühnenstück „L’Heure espagnole“ wurde am 19. Mai 1911 uraufgeführt und mit Ablehnung seitens des Publikums quittiert. Die Musikkritik sprach von „Musikalischer Pornographie“, Lalo setzte noch eins drauf und erklärte, dass die „mechanische Kälte“ Ravels überhaupt kennzeichnend für alle seine Werke sei.

Daphnis et Chloé

Die Konzeption des Balletts „Daphnis et Chloé“ begann Ravel 1909 im Auftrag von Sergei Djagilew, des Impressarios der „Ballets russes“. Wie bei vielen seiner Werke schien die Arbeit daran nicht recht vorangehen zu wollen. Am 8. Juni 1912 wurde es im „Théatre du Châlet“ erstmals einem Publikum vorgestellt und zum Misserfolg gestempelt.

Bolero

Das bekannteste Werk Ravels dürfte sein Bolero sein. Als es am 22. November 1928 als Ballett mit der Tänzerin Ida Rubinstein, die den Anstoß für das Stück gegeben hatte, uraufgeführt wurde, wurde es mit donnerndem Beifall belohnt. Der Weltruhm des Werks war Ravel indessen zeitlebens suspekt, er ging damit distanziert und fast abschätzig um:

„Mein Meisterwerk? Der Bolero natürlich. Schade nur, dass er überhaupt keine Musik enthält.“

Der Erste Weltkrieg

Als der Erste Weltkrieg ausbrach, hielten viele Franzosen dies für eine Angelegenheit von wenigen Wochen. Ravels Bruder Edouard war eingezogen worden, Ravel wiederum, den man als jungen Mann wegen seiner Körpergröße als dienstuntauglich eingestuft hatte, bemühte sich, ebenfalls zum Militär zu kommen. 1915 wurde er als Kraftfahrer dem 13. Artillerieregiment zugeteilt. In Paris konstituierte sich eine „Liga zur Verteidigung französischer Musik“, Werke deutscher und österreichischer Komponisten sollten geächtet und nicht mehr aufgeführt werden. Ravel hielt davon nichts. Er äußerte:

“Es wäre meiner Meinung nach sogar gefährlich für die französischen Komponisten, systematisch die Produktion ihrer ausländischen Kollegen zu ignorieren und so eine Art nationaler Clique zu formieren. Unsere derzeit so reiche Tonkunst würde unweigerlich degenerieren und sich in schablonenhaften Formeln einschließen. Mich kümmert es wenig, dass zum Beispiel Monsieur Schönberg Österreicher ist. (…)“

Verlust

Am 5. Januar 1917 starb Ravels Mutter 76jährig, ein für Ravel unersetzbarer Verlust. Er, der unverheiratet und kinderlos geblieben ist, hatte mit ihr bis dahin immer unter einem Dach zusammengelebt. Aber auch ihr Tod konnte ihn nicht dazu bewegen, ein eigenes Domizil aufzuschlagen. Stattdessen zog er nach dem Krieg mit seinem Bruder Edouard zusammen. Als dieser aber 1920 überraschend heiratete, war das Zusammenleben auch nicht mehr möglich. 1921 kaufte Ravel schließlich 30 Kilometer von Paris entfernt in Montfort-L’Amaury die Villa „Le Belvédere“, in der er bis zu seinem Tod lebte.

Der Dickkopf

Am 15. Januar 1920 wurde Ravel mit der Meldung konfrontiert, als Aspirant für die Auszeichnung „Ritter der Ehrenlegion“ („Chevalier de la Légion d’honneur“) nominiert worden zu sein. Ravel wollte das gar nicht und meinte erbost:

“Was für eine lächerliche Geschichte. Wer mag mir wohl diesen Streich gespielt haben?“

Die unwillkommene Ehrung bügelte er gegen den Rat seiner Freunde gleich auf seine Weise ab: Er bezahlte einfach die mit der Nominierung anfallenden Gebühren nicht. So wurde er automatisch von der Kandidatenliste entfernt. Das ungebührliche Verhalten löste indessen eine aufgeregt geführte öffentliche Diskussion aus, an der er sich aber nicht beteiligte. Warum er sich der Auszeichnung verweigerte, ist nicht geklärt. Anderen Ehrungen hatte er sich nicht entzogen. Und im Oktober 1928 nahm er gern die Ehrendoktorwürde der Universität Oxford entgegen. Manche halten seine Weigerung in Bezug auf den Titel „Ritter der Ehrenlegion“ für eine späte Rache wegen des ihm nie zuerkannten Rompreises.

Tod auf Raten

Wann genau Ravels nie diagnostizierte Krankheit, die seinen Tod herbeigeführt hat, zeitlich begonnen hat, ist nicht gesichert. Schon Mitte der 20er Jahre hatte er wiederholt über langanhaltende, unerträgliche Kopfschmerzen geklagt. Erschöpfungszustände, bei deren Anblick die Ärzte ihm rieten, eine längere Pause einzulegen, überspielte er mit einer geradezu hektischen Aktivität, die in zahlreichen Konzertreisen durch Europa mündeten, bei welchen er seine Werke als Dirigent betreute.

Ein Autounfall am 8. Oktober 1932, den er als Fahrgast eines Taxis in Paris mit Brustkorbquetschung und Schnittwunden überlebte, bedeutete für sein Leben eine Zäsur. Ein Zusammenhang zwischen dem Vorfall und seinem Leiden scheint es zwar nicht zu geben, doch verschlimmerten sich die bedenklichen Anzeichen eines Verfalls. Störungen in der Bewegungsmotorik machten es ihm bald nicht einmal mehr möglich, seinen Namen zu schreiben – geschweige denn, Noten. Auch die sprachlichen Fähigkeiten ließen stark nach. Eine Demenzerkrankung ist allen Hinweisen nach auszuschließen, Ravel war bis zuletzt bei klarem Verstand und beobachtete seinen Verfall, als stecke ein Fremder in ihm. Verzweifelt äußerte er:

“Ich habe noch so viel Musik im Kopf. Ich habe noch nichts gesagt. Ich habe noch alles zu sagen.“

Im Dezember 1937 begab Ravel sich ins Krankenhaus zu einer Schädeleröffnung, er wollte dem Verdacht auf einen Gehirntumor nachgehen (der sich nicht bestätigt hat). Stattdessen stellten die Chirurgen am Tag der Operation, dem 19. Dezember fest, dass bei Ravel die linke Hälfte des Gehirns zusammengefallen war. Ein medizinischer Eingriff wurde versucht. Ravel erwachte später aus der Narkose, fragte nach seinem Bruder, versank aber bald darauf ins Koma, aus dem er nicht mehr erwachte. Am Morgen des 28. Dezember 1937 hörte sein Herz auf zu schlagen.

Zitate

  • Romain Rolland: „Ich habe nie aufgehört, Ravel als den größten Meister der französischen Musik neben Rameau und Debussy anzusehen – einen der größten Musiker aller Zeiten. Was er in Musik ausdrückt, berührt mich seltsam. Schon seine Aussagekraft ist von einer Klarheit, einem Raffinement und einem so unvergleichlichen Glanz, dass alle Musik nach ihm unvollkommen erscheint.“ (Aus: „Revue Musicale“ vom 1. Dezember 1938)
  • Sergej Prokofjew: "Mit Maurice Ravel starb einer der letzten großen Komponisten unserer Zeit. Ich bin überzeugt, dass sich im Augenblick noch keineswegs die gesamte Musikwelt seiner Größe und Meisterschaft bewusst ist. In gewissem Grade den Weg der schöpferischen Eigenart Debussys weiterbeschreitend, steuerte er doch außerodentlich viel Eigenes und Originelles dazu bei.“ (Aus: „Sowjetskoje iskusstwo“ vom 4. Januar 1938)

Werkauswahl

  • Bühnenwerke
    • L'Heure Espagnole (Die Spanische Stunde), Oper, 1909
    • Daphnis et Chloé, Ballet, 1912
    • L'enfant et les sortilèges, Oper, 1925
    • Bolero, Ballet/Orchesterstück, 1928
  • Orchesterwerke
    • Rhapsodie Espagnole, Orchesterstück, 1907
    • Alborada del Gracioso (Aus dem Klavierzyklus Miroirs), 1918
    • Le Tombeau de Couperin, Orchesterfassung, 1919
    • Orchesterfassung des Klavierzyklus Bilder einer Ausstellung von Modest Mussorgski, 1922
  • Konzerte und Konzertstücke
    • Tzigane, Version für Violine und Orchester, 1924
    • Klavierkonzert D-Dur für die linke Hand, 1930
    • Klavierkonzert G-Dur, 1931
  • Kammermusik
    • Streichquartett F-Dur, 1903
    • Introduktion und Allegro für Flöte, Klarinette, Harfe und Streichquartett, 1905
    • Klaviertrio a-Moll, 1914
    • Sonate für Violine und Violoncello, 1922
    • Tzigane, Konzertrhapsodie für Violine und Klavier, 1924
    • Sonate für Violine und Klavier, 1927
  • Klaviermusik
    • Pavane pour une infante défunte (auch als Orchesterversion), 1899
    • Jeux d'eau, Klavierstück, 1901
    • Sonatine fis-moll für Klavier, 1905
    • Miroirs, Klavierzyklus, 1905
    • Gaspard de la Nuit, drei Klavierstücke, 1908
    • Ma Mère L'Oye (Die Geschichten der Mutter Gans) Klavier vierhändig, später auch Bearbeitung für Orchester, 1910
    • Valses nobles et sentimentales für Klavier (auch als Orchesterversion), 1911
    • Le Tombeau de Couperin, Klavierzyklus, 1914
  • Vokalmusik
    • Shéhérazade, Orchesterlieder, 1903
    • Chansons madécasses, Lieder mit Ensemble, 1926

Literatur

  • Michael Stegemann: Maurice Ravel, rororo Monographie, Reinbek 1996, ISBN: 3 499 50538 X
  • Theo Hirsbrunner: Maurice Ravel, Laaber-Verlag 1989, ISBN: 3890071430
  • Vladimir Jankélévitch, Willi Reich, Paul Raabe: Maurice Ravel in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten, Rowohlt Verlag Reinbek 1958, ISBN: B0000BJQ62