Psychoonkologie

Psychoonkologie (aus Psychologie und Onkologie) bezeichnet die psychologische Betreuung von Krebspatienten (Krebsberatung). Eine weitere Bezeichnung ist Psychosoziale Onkologie. Die Psychoonkologie ist damit eine interdisziplinäre Form der Psychotherapie beziehungsweise der klinischen Psychologie, die sich mit den psychischen, sozialen und sozialrechtlichen Bedingungen, Folgen und Begleiterscheinungen einer Krebserkrankung befasst.

Psychoonkologie als Wissenschaft

Ronald Grossarth-Maticek betrachtet den Menschen als hochkomplexes System, das versucht, durch eigenaktive Selbstregulation seelisches und körperliches Wohlbefinden herzustellen. Krankheitsentstehung sei ein multifaktorielles Geschehen.[1][2] So könne beispielsweise ein rational-antiemotionales Verhalten, das in Verbindung mit anderen Risikofaktoren als Prädiktor für eine Krebserkrankung gilt, bei einem hohen Maß an Autonomie in Abwesenheit dieser Risikofaktoren sogar ein Positivfaktor für die Gesundheit sein.[3] „Die beste Krebstherapie ist eine Kombination der modernsten medizinischen Methoden in einer menschlichen und unterstützenden Weise angeboten – mit der bestmöglichen psychologischen Betreuung.“ (O. Carl Simonton)[4][5][6]

Die Frage, ob es eine krebsverursachende Persönlichkeit gäbe, wird als nicht sinnvoll betrachtet. Sie beruht auf der vergeblichen Suche nach monokausalen Zusammenhängen.[7]

Seit 1992 erscheint die Fachzeitschrift Psycho-Oncology.

Geschichte der Psychoonkologie

Die Psychoonkologie als Wissenschaft begann in den 1970er-Jahren zunächst mit der Untersuchung von psychosozialen Faktoren, die für die Entstehung einer Krebserkrankung mitverantwortlich sein könnten (siehe auch: Psychoimmunologie). Bekannt geworden ist in diesem Kontext die in den 1980er Jahren postulierte Behauptung, der zufolge das Krebsrisiko hoch mit bestimmten Persönlichkeitszügen korreliere, die sich im „Persönlichkeitstyp C“ verdichten. Der „Typ C“ repräsentiert unselbständige und überangepasste Menschen, die antriebsgehemmt, defensiv und depressiv erscheinen und nicht in der Lage sind, ihre Gefühle angemessen auszudrücken. Inzwischen wurde das Konstrukt der „Krebspersönlichkeit“ von der Wissenschaft weitgehend verworfen.[8][9][10] Die individuelle Lebensführung, beispielsweise Tabakrauchen, kann allerdings entscheidend zur Krebsentstehung beitragen und den Krankheitsverlauf beeinflussen. Da Verhalten durch psychische Zustände mit bedingt werden kann, könnten bestimmte Persönlichkeitsmerkmale die Entstehung von Krebs begünstigen, auch wenn das Konzept einer „Krebspersönlichkeit“ heute als unzulässige Vereinfachung gilt.[11] Das Konzept erfreut sich aber dennoch einer gewissen Popularität und wird nach wie vor von einzelnen Wissenschaftlern verfochten – allerdings ohne fundierte systematische Belege.

Psychische Belastungen infolge einer Krebserkrankung

Seit den 1990er Jahren wird zunehmend die Frage diskutiert, welche psychischen Belastungen oder manifesten Störungen sich infolge einer Krebserkrankung entwickeln können und in welcher Form diese sich auf die Lebensqualität der Betroffenen oder auf medizinisch-klinische Aspekte auswirken können. Ein wichtiger Aspekt hierbei betrifft die Konstruktion und Anwendung valider und krebsspezifischer Messinstrumente zur Erfassung der psychischen Komorbidität. Damit im Zusammenhang steht die Suche nach Faktoren, welche eine psychische Begleiterkrankung möglichst sicher prognostizieren können – was im Umkehrschluss die Möglichkeit eröffnet, sie rasch und frühzeitig psychosozial zu versorgen.

Einige Autoren gehen davon aus, dass bei etwa einem Drittel aller Krebspatienten infolge der schweren psychischen Belastung durch die Grundkrankheit auch eine psychische Störung im Sinne einer Komorbidität auftritt.[12] Heute ist eine psychologische Betreuung von Krebspatienten ein regulärer Bestandteil der medizinischen Therapien.[13][14][15] Dazu trugen Forschungen bei, die den Einfluss der psychosozialen Betreuung in der Nachsorge auf die Heilungs- und Besserungschancen nach einer Krebserkrankung aufzeigten.[16]

Siehe auch: Extinktion (Psychologie), Abschnitt Abgrenzung, Beispiel

Die Rolle des Psychoonkologen

Im praktischen Betreuungs- oder Therapiekontext obliegt es dem Psychoonkologen, den Patienten bei der Krankheitsverarbeitung mittels unterschiedlicher Techniken, beispielsweise durch Krisenintervention, ressourcenorientierte Interventionen oder durch imaginative Verfahren und Arbeit mit Metaphern[17], zu unterstützen. Ziel dabei ist, die Kompetenz des Patienten, mit der Krankheit zurechtzukommen, zu stärken. Hierbei wird – soweit möglich – auch das persönliche soziale Umfeld der betroffenen Person integriert. Eine psychoonkologische Versorgung sollte in allen Phasen der Erkrankung sichergestellt sein, also während der Akutbehandlung, der Rehabilitation und gegebenenfalls auch während des Sterbeprozesses.

Auf fachlicher Ebene organisiert sich die Psychoonkologie in Deutschland in der Deutschen Arbeitsgemeinschaft für Psychosoziale Onkologie e. V. (dapo), wissenschaftlich in der Arbeitsgemeinschaft für Psychoonkologie in der Deutschen Krebsgesellschaft e. V. (PSO). Entsprechende Gesellschaften sind auch in Österreich und in der Schweiz tätig.

Einzelnachweise

  1. Walter Weber: Gesundheit aus eigener Kraft
  2. Jun Nagano, Bojan Godina: Paradigmenwechsel in der Erforschung der Gesundheit und Krankheitsentstehung Seite 88
  3. Ronald Grossarth-Maticek: Systemische Epidemiologie und präventive Verhaltensmedizin De Gruyter Verlag 1999, Seite 12
  4. Psychoonkoloischer Dienst (Memento des Originals vom 28. April 2018 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.kmh-stadtlohn.de
  5. O. Carl Simonton: Auf dem Wege der Besserung – Schritte zur körperlichen und spirituellen Heilung
  6. Kathrin Burger: KREBS – KEINE SACHE DER PERSÖNLICHKEIT
  7. Ronald Grossarth-Maticek: Systemische Epidemiologie und präventive Verhaltensmedizin De Gruyter Verlag 1999, Seite 101.
  8. S. O. Dalton, L. Mellemkjaer u. a.: Depression and cancer risk: a register-based study of patients hospitalized with affective disorders, Denmark, 1969-1993. In: American journal of epidemiology. Band 155, Nummer 12, Juni 2002, S. 1088–1095, ISSN 0002-9262. PMID 12048222.
  9. I. R. Schapiro, L. F. Nielsen u. a.: Psychic vulnerability and the associated risk for cancer. In: Cancer. Band 94, Nummer 12, Juni 2002, S. 3299–3306, ISSN 0008-543X. doi:10.1002/cncr.10601. PMID 12115364.
  10. R. Schwarz: Die Krebspersönlichkeit. Mythos und klinische Realität. Schattauer, Stuttgart 1994, ISBN 3-7945-1639-7.
  11. Volker Tschuschke: Psyche und Krebsentstehung. In: Freerk Baumann, Wilhelm Bloch, Elke Jäger (Hrsg.): Sport und körperliche Aktivität in der Onkologie. Springer, 2012, ISBN 978-3-642-25065-1, S. 105 f.
  12. S. Singer, H. Bringmann, J. Hauss, R.-D. Kortmann, U. Köhler, O. Krauß, R. Schwarz: Häufigkeit psychischer Begleiterkrankungen und der Wunsch nach psychosozialer Unterstützung bei Tumorpatienten im Akutkrankenhaus. In: Deutsche Medizinische Wochenschrift. Band 132, 2007, S. 2071–2076.
  13. Deutsches Krebsforschungszentrum: Psychoonkologie als Fachgebiet
  14. Andrea Schneider: Psychoonkologie: Die seelische Haltung beeinflusst die Krebstherapie Aerzteblatt April 2003 Seite 175
  15. A. Sellschopp, M. Fegg, E. Frick: Psychoonkologie: Empfehlungen zur Diagnostik, Therapie und Nachsorge. 2. Auflage, Zuckschwerdt, Germering bei München 2005, ISBN 978-3-88603-870-1
  16. Almuth Sellschopp: Wege und Ziele psychosozialer Krebsnachsorge. Habilitationsschrift, 2. Bd. Ludwig-Maximilian-Universität, München 1991
  17. vgl. Agstner: Krebs und seine Metaphern in der Psychotherapie mit onkologischen Patientinnen und Patienten, Wien 2008.

Literatur

  • Irene Agstner: Krebs und seine Metaphern in der Psychotherapie mit onkologischen Patientinnen und Patienten. Mit einem Vorwort von Gerhard Benetka. Krammer, Wien 2008. ISBN 978-3-901811-29-6
  • Christa Diegelmann, Margarete Isermann (Hrsg.): Ressourcenorientierte Psychoonkologie: Psyche und Körper ermutigen. Kohlhammer, Stuttgart 2011, ISBN 978-3-17-020905-3
  • Pia Heußner u. a. (Hrsg.): Manual Psychoonkologie. Empfehlungen zur Diagnostik, Therapie und Nachsorge. 3. Auflage. Zuckschwerdt, München 2009, ISBN 978-3-88603-964-7
  • Sabine Lenz: Die Fähigkeit zu sterben. Meine psychologische Arbeit mit Krebskranken, Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 2014, ISBN 978-3-498-03803-8
  • Fritz Meerwein, Walter Bräutigam: Einführung in die Psychoonkologie. 5. Auflage. Huber, Bern 1998, ISBN 3-456-82916-7
  • Reinhold Schwarz, Susanne Singer: Einführung Psychosoziale Onkologie. Reinhardt, München 2008, ISBN 978-3-8252-3071-5
  • Volker Tschuschke: Psychoonkologie: Psychologische Aspekte der Entstehung und Bewältigung von Krebs. 3. Auflage. Schattauer, Stuttgart 2011, ISBN 978-3-7945-2750-2
  • Thomas Schopperth (Hrsg.): Psychoonkologie – Risiken und Chancen des Wandels. Dapo-Jahrbuch 2012. Pabst, Lengerich / Berlin / Bremen Miami / Fla / Riga / Viernheim / Wien / Zagreb 2013, ISBN 978-3-89967-869-7

Siehe auch

Dies ist die gesprochene Version des Artikels Psychoonkologie.