Jean-Pierre Ponnelle

Jean-Pierre Ponnelle, 1980

Jean-Pierre Ponnelle (* 19. Februar 1932 in Paris; † 11. August 1988 in München) war ein französischer Theater- und Opernregisseur sowie Bühnen- und Kostümbildner. Seine über 300 Inszenierungen sowie seine zahlreichen Opernverfilmungen fanden international Anerkennung.

Leben und Werk

Ponnelle wuchs in Beaune bei seinem Großvater auf, ehe die Familie 1945 nach Baden-Baden übersiedelte. Dort ging Ponnelle bis 1948 auf das französische Gymnasium in Oos und erhielt Musikunterricht von Hans Rosbaud. Zum Studium ging Ponnelle zunächst nach Straßburg, dann an die Sorbonne, wo er Philosophie, Literaturwissenschaft und Kunstgeschichte studierte und Zeichenstunden bei Fernand Léger nahm.[1][2] Aus dieser Zeit datierte seine Freundschaft mit Hans Werner Henze, mit dem er mehrmals zusammenarbeitete, unter anderem an Henzes Oper Boulevard Solitude in Hannover, die 1952 Ponnelles Durchbruch als Bühnenbildner wurde. Im Folgenden arbeitete er an den Münchner Kammerspielen und am Schauspielhaus Düsseldorf, wo Karl-Heinz Stroux zu seinem Mentor wurde. International bekannt wurde Ponnell 1958 durch sein Bühnenbild der Carmina Burana an der San Francisco Opera.[1]

Kreuzabnahme, Triptychon von Jean-Pierre Ponnelle, 1960

Im März 1959 wurde Ponnelle zum französischen Militärdienst eingezogen, der ihn für zwei Jahre nach Algerien führte.[1] Da er pazifistisch eingestellt war, verzichtete er auf eine Nutzung der privilegierten Offizierslaufbahn, die ihm als Abiturienten offengestanden hätte. Der Dienst im Algerienkrieg wurde von zwei Malaufträgen unterbrochen: ein Fresko in der Turnhalle der Kaserne von Rabat und, auf Veranlassung von General Paul Vanuxem, ein Kreuzabnahme-Triptychon für die katholische Militärkapelle „Notre-Dame de la Paix“ in Baden-Oos. Das 265 × 657 Zentimeter große Bild befindet sich seit 1968 in der Militärkapelle von Évreux.

Nach seiner Rückkehr gab Ponnelle 1961 in Düsseldorf sein Regiedebüt mit Albert Camus’ Theaterstück Caligula. Zwei Jahre später folgte die erste Opernregie mit Richard Wagners Oper Tristan und Isolde an der Deutschen Oper am Rhein.[1] In die oberrheinische Region wurde er wieder 1965 von seinem Freund Germain Muller zu einer Opernproduktion eingeladen. Dieser Inszenierung von Benjamin Brittens Sommernachtstraum sollten noch elf weitere Engagements in Straßburg folgen.

1968 feierte er mit Gioachino Rossinis Der Barbier von Sevilla mit Dirigent Claudio Abbado bei den Salzburger Festspielen den internationalen Durchbruch. 20 Jahre in Folge arbeitete er nun für diese Festspiele, wovon besonders seine Mozartzyklen hervorzuheben sind: Così fan tutte (1969, Dirigent Seiji Ozawa), Le nozze di Figaro (1972, Dirigent Herbert von Karajan), Don Giovanni (1977, Dirigent Karl Böhm), La clemenza di Tito (1976, Dirigent James Levine), Die Zauberflöte (1978, Dirigent James Levine) und Idomeneo (1983, Dirigent James Levine). Außerdem inszenierte Ponnelle in Salzburg Les contes d’Hoffmann (1980, Dirigent James Levine), und Moses und Aron (1987, Dirigent James Levine) und schuf die Ausstattung zu Il Sant’Alessio (1977).

Ende der 70er Jahre erarbeitete er zusammen mit Nikolaus Harnoncourt den Claudio-Monteverdi-Zyklus am Opernhaus Zürich, womit er eine neue Blüte der Barockoper entfachte.[3][4] Wichtige Arbeiten Ponnelles entstanden auch an der Mailänder Teatro alla Scala – etwa 1973 La Cenerentola – sowie an der Wiener Staatsoper, dort beispielsweise 1971 Manon, 1985 Cavalleria rusticana / Pagliacci und 1987 L’italiana in Algeri (wurde auch in München gezeigt).

Catherine Malfitano, Traviata, 1980.

Für die Salzburger Festspiele entwickelte er die sogenannte Kinder-Zauberflöte: Dabei wurde nicht nur die Handlung der Mozart-Oper erklärt und dargestellt – Conferencier war Papageno –, sondern auch die Theaterarbeit erläutert, indem Ponnelle selbst auf der Bühne der Felsenreitschule als Regisseur auftrat. Als Schauspielregisseur war er auch später gelegentlich aktiv, etwa 1973 am Akademietheater in Wien mit Man spielt nicht mit der Liebe von Alfred de Musset (u. a. mit Paul Hörbiger).

Seit Anfang der 1970er Jahre produzierte Ponnelle mit Unterstützung von Leo Kirch zahlreiche Verfilmungen seiner Operninszenierungen.[5] Besonders bekannt geworden sind die Verfilmungen der szenischen Werke Claudio Monteverdis, seiner Inszenierungen von Wolfgang Amadeus Mozarts Opern bei den Salzburger Festspielen und der Carmina Burana von Carl Orff, ausgezeichnet mit dem Regiepreis des Prix Italia.

Im Sommer 1988 fiel Ponnelle bei Proben in Tel Aviv in den ungesicherten Orchestergraben.[1] Nur kurz darauf, am 11. August 1988, verstarb er in einem Münchner Krankenhaus. Sein Grabstein wurde von dem Bildhauer Ulrich Rückriem gestaltet, das Grab befindet sich auf dem Friedhof Père-Lachaise in Paris. Insgesamt schuf er über 300 Inszenierungen und Ausstattungen.[6]

Sein Archiv befindet sich heute in der Berliner Akademie der Künste, Fotos sind im Bestand des Deutschen Theatermuseums in München.[2][1]

Privatleben und Familie

Ponnelle entstammte einer musischen Familie, Richard Strauss, Gustav Mahler, Karlheinz Stockhausen und Ginette Neveu gehörten zu Freunden der Familie.[7] Sein Vater Pierre († 1977) war Weinhändler und Journalist, ab 1945 war er als Offizier für kulturelle Angelegenheiten am Aufbau des Südwestfunks in Baden-Baden beteiligt.[1] Ponnelles Mutter Camille „Mia“ Reiter war eine ungarisch-tschechische Opern- und Operettensängerin. Die Familie besaß ein eigenes Weingut in Beaune.[7]

1957 heiratete Ponnelle die Schauspielerin und Regisseurin Margit Saad, im selben Jahr wurde der gemeinsame Sohn Pierre-Dominique Ponnelle geboren. Mit Dagmar Friedrich, mit der er seit 1976 neben seiner Ehe liiert war, bekam er 1985 seinen zweiten Sohn Jean Philippe.[1]

Jean-Pierre Danel ist Ponnelles Neffe.[7]

Mitgliedschaften

Opernverfilmungen (Auswahl)

Literatur (Auswahl)

  • Fabian, Imre: Imre Fábián im Gespräch mit Jean-Pierre Ponnelle. Ein Opernwelt-Buch. Zürich: Orell Füssli, 1983.
  • Willaschek, Wolfgang (1989): Jean-Pierre Ponnelle – Arbeiten für Salzburg, 1968 – 1988. Anlässlich der Ausstellung Jean-Pierre Ponnelle – das Salzburger Werk, 1968–1988 [27. Juli – 31. August 1989]. Salzburg: Salzburger Festspiele, 1989.
  • Bendikas, Kristina: Opera productions of Jean-Pierre Ponnelle. The American years. Toronto: University of Toronto, Diss., 1999.
  • Lo, Kii-Ming: Der Opernfilm als Erweiterung der Bühne. Versuch einer Theorie anhand von Jean-Pierre Ponnelles »Rigoletto«, in: Jürgen Kühnel/Ulrich Müller/Oswald Panagl (Hrsg.), Das Musiktheater in den audiovisuellen Medien. »…ersichtlich gewordenen Taten der Musik…«, Anif/Salzburg: Müller-Speiser 2001, S. 264–275.
  • Busch, Max W.: Jean-Pierre Ponnelle 1932 – 1988 [anlässlich der Ausstellung: Jean-Pierre Ponnelle – „Ich spreche durch die Augen“ zum 70. Geburtstag des Künstlers, Akademie der Künste, Berlin, 20. Januar bis 3. März 2002] hrsg. von der Stiftung Archiv der Akademie der Künste, Berlin. Berlin: Henschel, 2002.
  • Bendikas, Kristina: The opera theatre of Jean-Pierre Ponnelle. Lewiston, N.Y.: Edwin Mellen Press, 2004, ISBN 0-7734-6485-9.
  • Lo, Kii-Ming: Sehen, Hören und Begreifen: Jean-Pierre Ponnelles Verfilmung der „Carmina Burana“ von Carl Orff. In: Thomas Rösch (Hrsg.): Text, Musik, Szene – Das Musiktheater von Carl Orff. Schott, Mainz etc. 2015, S. 147–173, ISBN 978-3-7957-0672-2.
  • Lo, Kii-Ming: »Im Dunkel du, im Lichte ich!« ─ Jean-Pierre Ponnelles Bayreuther Inszenierung von »Tristan und Isolde«, in: Naomi Matsumoto et al. (Hrsg.), The Staging of Verdi & Wagner Operas, Turnhout: Brepols 2015, S. 307–321.
Commons: Jean-Pierre Ponnelle – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Zitate

  • Edita Gruberová: „Ponnelle hat Seelen erkundet. Das Faszinierende an seiner Arbeit war die Präzision, mit der er uns Sänger zu einem Rollenverständnis geführt hat. Jedes kleinste Detail wurde dabei akribisch erarbeitet. Vom Visuellen her betrachtet, schuf er eine sehr individuelle Ästhetik, die von Voreiligen und Kurzsichtigen manchmal als konservativ abgetan wurde. In Wahrheit lag seine Arbeit immer an der vordersten Spitze psychologischer Tiefenschau.“ (in: Busch 2002, 40)
  • Hans Werner Henze im Frühling 1947 oder 1948: „Der Vater [Ponnelles] war ein hoher Offizier der französischen Besatzungsarmee, was nicht daran hinderte, daß ich bei meinen Baden-Badener musikalischen Entdeckungsreisen in einem Gästezimmer der Familie Ponnelle wohnen durfte. Heute, an diesem wundervollen badischen Frühlingstag, war die Vorfreude auf ein Wochenende in der Zivilisation besonders groß. Draußen standen die badischen Obstbäume in herrlicher Blüte. […] …doch dann in die Freiheit mit Rossini, Mozart, und Abbado an der Scala, in Salzburg, Monteverdi mit Harnoncourt, mit dem Ring. Das Fernsehen kam dazu und reizte seinen baskisch-burgundischen Blick, seine Ästhetik entwickelte sich hier nochmals auf neuen Wegen. Und Jean-Pierre arbeitete und arbeitete, pausenlos, manchmal an mehreren Inszenierungen gleichzeitig. Ob er gewußt hat, daß seine Uhr schneller ablaufen würde als die des Normalen?“ (in: Busch 2002, 48)
  • Claus Helmut Drese: „Das Besondere an seinem theatralischen Genie war es, daß er Bild, Szene und Musik in seiner Arbeit zu vereinen wußte. Er beherrschte das Musiktheater als Gesamtkunstwerk wie nur wenige vor ihm. Sein Stil leitete sich ab aus der Suche nach der Identität eines historischen Sujets; er bediente sich nicht der heute üblichen Aktualisierung, Brechung oder Verlagerung der Handlung in andere Zeiten. Die Kunst des Zitats, der Variation, der manieristischen Übertreibung oder Vereinfachung ist kein Historismus wie man ihm vorgeworfen hat, sondern sein autonomer Weg aus der Tradition in die Jetztzeit… Ich persönlich bin sehr dankbar und auch ein wenig stolz darauf, über zwanzig Jahre lang seinen Weg geteilt zu haben.“ (in: Claus Helmut Drese, …aus Vorsatz und durch Zufall… 1999, 469f.)
  • Yvonne Kenny: „Ich bewahre und hüte diese Erinnerungen an einen der größten Opernregisseure, mit denen ich je arbeiten durfte. Er war einzigartig, weil seine Konzepte künstlerisch so umfassend waren. Er entwarf Ausstattungen und führte Regie mit gleicher Brillanz. So erlebten die Augen ein Fest der Schönheit, es gab dramatische Entwicklungen und eine bezwingende Kraft der Charakterisierung. Jean-Pierre verlangte von mir, in die Tiefe zu gehen, die Wahrheit einer Gestalt ohne Hemmungen und Kunstgriffe herauszufinden und die Extreme menschlicher Gefühle völlig offen und ehrlich auszudrücken. Er gab uns Nahrung für die Seele im Überfluß.“ (in: Busch 2002, 49)
  • Anja Silja: „Die Arbeit mit Ponnelle unterschied sich sehr von der, die ich mit Wieland Wagner gewohnt war und in dessen Inszenierungen ich viele Jahre fast ausschließlich gesungen hatte. Ponnelles Stil war sehr viel realistischer, kulinarischer, ständig geschah etwas auf der Bühne. Es war nicht mein Stil, er ist es bis heute nicht. Doch seine unglaubliche Energie und sein großes Können machten diese Inszenierungen auch für mich unvergeßlich und inspirierend. Er erfand Lösungen, die außergewöhnlich waren durch ihre optische Schönheit, aber auch durch ihre oft überraschende Einfachheit und Wirkung.“ (in: Busch 2002, 62)

Quellen

  1. a b c d e f g h C. Bernd Sucher, Stefan Jordan: Ponnelle, Jean-Pierre. In: Deutsche Biographie. 2001, abgerufen am 5. Februar 2023.
  2. a b Jean-Pierre-Ponnelle-Archiv. In: archiv.adk.de. Abgerufen am 5. Februar 2023.
  3. Bernard Gasser: Ponnelle, Jean-Pierre. In: Historisches Lexikon der Schweiz. 2012, abgerufen am 4. Februar 2023.
  4. Brug, Manuel: „Keine Schaulust mehr, nirgends. Die Akademie der Künste zeigt den Nachlass des bildmächtigen, bühnenverliebten Opernregisseurs Jean-Pierre Ponnelle“, Die Welt, 1. März 2002.
  5. Ponnelles Opernfilme (Memento vom 6. August 2002 im Internet Archive). Abgerufen am 5. Februar 2023.
  6. Pressetext zur Ponnelle-Ausstellung der AdK (Memento vom 23. Juni 2002 im Internet Archive) vom 20. Januar 2002 bis 3. März 2002. Abgerufen am 5. Februar 2023.
  7. a b c Jean Pierre Danel - Retrospective. In: jeanpierredanel.com. Abgerufen am 4. Februar 2023 (französisch).