Historiker
Ein Historiker oder Geschichtsforscher ist ein Wissenschaftler, der sich mit der Erforschung und Darstellung der Vergangenheit bzw. Geschichte beschäftigt. Neben den Vertretern der Geschichtswissenschaft werden auch die antiken, mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Geschichtsschreiber als Historiker bezeichnet, obgleich sie nicht als Wissenschaftler im heutigen Sinne gelten – zur besseren Abgrenzung wird hier auch oft lediglich von „Geschichtsschreibern“ oder „Historiografen“ bzw. „Historiographen“ gesprochen, was aber nicht zwingend ist. Eine Form der Geschichtsschreibung ist die Chronik. Die Bezeichnung Historiker leitet sich von altgriechisch ἱστορία [ ] („Erkundung“, „Erforschung“) ab.
Ausbildung
Historiker ist in Deutschland keine rechtlich geschützte Berufsbezeichnung und Forschung und Lehre sind dem Grundgesetz nach frei. Dementsprechend kann sich jeder als Historiker bezeichnen, der sich wissenschaftlich oder publizistisch mit historischen Fragen befasst. Der Verband der Historiker und Historikerinnen Deutschlands (VHD) akzeptiert allerdings nur solche Mitglieder, die einen entsprechenden Universitätsabschluss oder der Geschichtswissenschaft gewidmete literarische Arbeiten vorweisen können. Viele Historiker – sofern sie in ihrem eigentlichen Fach arbeiten – wirken als Lehrer an Schulen sowie an Museen oder in Archiven, als Journalisten und Fachbuchautoren oder als Wissenschaftler an Universitäten und Forschungsinstituten. Aufgrund der begrenzten Budgets der öffentlichen Einrichtungen arbeiten etliche Geschichtsabsolventen heutzutage in der Wirtschaft. Dort sind sie vor allem im Marketing und der Unternehmensberatung tätig. Der Einstieg in die Wirtschaft, zunehmend aber auch im öffentlichen Bereich, kann teilweise nur durch Zusatzqualifikationen und Spezialisierungen erreicht werden.
Die im Studium erlernten Schlüsselqualifikationen – recherchieren, analysieren und präsentieren – sind hierbei für viele Arbeitgeber von großer Bedeutung.
An deutschen Universitäten kann das Geschichtsstudium mit den akademischen Graden Bachelor und Master abgeschlossen werden. Diese haben die alten Magister-Abschlüsse und das Staatsexamen für das Lehramt bereits weitgehend abgelöst. Die Promotion zum Dr. phil. gilt auch bei Geschichtswissenschaftlern als Nachweis der Fähigkeit zur selbstständigen wissenschaftlichen Arbeit. Nach den Richtlinien der Deutschen Forschungsgemeinschaft gelten auch Historiker ab der Promotion als ausgebildete, eigenständige Wissenschaftler. Voraussetzung für die Bekleidung einer Professur ist in Deutschland heute in den Geschichtswissenschaften in der Regel (trotz der Einführung der Juniorprofessur) allerdings nach wie vor die Habilitation.
Untergruppen
Historiker sind häufig spezialisiert und heißen dann
- nach Epochen: Althistoriker, Mediävisten, Neuzeithistoriker, Zeithistoriker/Zeitgeschichtler usw.
- nach Themen: Sozialhistoriker, Mentalitätshistoriker, Kulturhistoriker, Militärhistoriker, Wirtschaftshistoriker usw.
- oder nach Regionen: Byzantinisten, Amerikanisten usw. – hier gibt es oft eine Überschneidung mit den entsprechenden Sprach- und Kulturwissenschaften; Regionalhistoriker.
Außerdem gibt es die Historischen Hilfswissenschaften mit Disziplinen wie der Diplomatik, Paläografie, Chronologie, Heraldik, Numismatik, Epigraphik, Genealogie usw. Etwas außerhalb der eigentlichen Geschichtswissenschaft stehen die Archäologen mit ihrem naturwissenschaftlichen Ansatz und auch die Ur- und Frühgeschichtler, da hier die schriftlichen Quellen noch keine Rolle spielen. Der Beginn der „eigentlichen“ Geschichte wird oft mit dem Einsetzen einer Schriftkultur definiert, daher ist die Geschichtswissenschaft zum großen Teil eine Buchstabenwissenschaft. Dennoch sind Historiker auch für die Erkenntnisse anderer Disziplinen offen.
Historiker der Antike
Die folgenden Zuordnungen zur griechischen oder römisch-lateinischen Geschichtsschreibung richten sich bis 300 n. Chr. nach der in den jeweiligen Werken verwendeten Sprache, nicht nach der Herkunft der Autoren.
Griechischsprachige Geschichtsschreiber bis ca. 300 n. Chr.
Die folgende Liste ist alphabetisch geordnet. Für eine zeitlich geordnete Übersicht vgl. Liste der griechischsprachigen Geschichtsschreiber der Antike.
Name | geboren | gestorben |
---|---|---|
Akusilaos von Argos | 2. Hälfte des 6. Jahrhunderts v. Chr. | 1. Hälfte des 5. Jahrhunderts v. Chr. |
Antiochos von Syrakus | um 423 v. Chr. | |
Appianos von Alexandria | 2. Jahrhundert | |
Aristobulos von Kassandreia | 1. Hälfte des 4. Jahrhunderts v. Chr. in Kassandreia | 301 v. Chr. |
Arrianus von Nikomedien | um 95 | 175 |
Cassius Dio | 155 in Nikaia (Nicaea) in Bithynien | nach 229 |
Charon von Lampsakos | ca. 480 v. Chr.–477 v. Chr. | 2. Hälfte des 5. Jahrhunderts v. Chr. |
Dinon von Kolophon | 4. Jahrhundert v. Chr. | |
Diodor | 1. Jahrhundert v. Chr. | |
Dionysios von Halikarnassos | 1. Jahrhundert v. Chr. | |
Ephoros von Kyme | um 400 v. Chr., Kyme | 330 v. Chr. |
Hekataios von Milet | 550 v. Chr. (?) | ca. 485 v. Chr.–475 v. Chr. |
Hekataios von Abdera | 2. Hälfte des 4. Jahrhunderts v. Chr. | 3. Jahrhundert v. Chr. |
Hellanikos von Lesbos | ca. 490 v. Chr./480 v. Chr. Mytilene (Lesbos) | um 400 v. Chr. Perperene (Mysien) |
Herodianos | ca. 178, vielleicht Syrien | ca. 250 |
Herodot | ca. 484 v. Chr., Halikarnassos | ca. 425 v. Chr. |
Hieronymos von Kardia | um 360 v. Chr. | nach 272 v. Chr. |
Hippys von Rhegion | ||
Ion von Chios | um 480 v. Chr. | um 422 v. Chr. |
Kallisthenes von Olynth | um 370 v. Chr. | um 327 v. Chr. |
Kleitarchos | 4./3. Jahrhundert v. Chr. | |
Ktesias von Knidos | 2. Hälfte des 5. Jahrhunderts v. Chr. | 1. Hälfte des 4. Jahrhunderts v. Chr. |
Lukas | 1. Jahrhundert | |
Megasthenes | ca. 350 v. Chr. | ca. 290 v. Chr. |
Pausanias | ca. 115 (Kleinasien) | ca. 180 |
Pherekydes von Athen | 2. Hälfte des 6. Jahrhunderts v. Chr. | 1. Hälfte des 5. Jahrhunderts v. Chr. |
Quintus Fabius Pictor | um 254 v. Chr. | um 201 v. Chr. |
Philinos von Akragas | 3. Jahrhundert v. Chr. | |
Plutarch | um 45 in Chaironeia | um 125 |
Polybios | um 201 v. Chr. in Megalopolis auf der Peloponnes | um 120 v. Chr., Ort unbekannt |
Strabon | ca. 63 v. Chr. in Amaseia in Pontos (Amasya) | nach 23 (26?) n. Chr. |
Theopompos von Chios | um 378 v. Chr./377 v. Chr. auf Chios | zwischen 323 v. Chr. und 300 v. Chr. in Alexandria |
Thukydides | um 460 v. Chr. | zwischen 399 v. Chr. und 396 v. Chr. |
Timaios von Tauromenion | ca. 345 v. Chr. (Tauromenion) | ca. 250 v. Chr. |
Xanthos der Lyder | 5. Jahrhundert v. Chr. | |
Xenophon von Athen | um 426 v. Chr. | nach 355 v. Chr. |
Römische Geschichtsschreiber bis ca. 300 n. Chr.
Name | geboren | gestorben |
---|---|---|
Gaius Iulius Caesar | 13. Juli 100 v. Chr. in Rom | 15. März 44 v. Chr. |
Cremutius Cordus | 25 n. Chr. | |
Marcus Porcius Cato Censorius | 234 v. Chr. in Tusculum | 149 v. Chr. in Rom |
Publius Annius Florus | 2. Jahrhundert | |
Flavius Josephus | 37/38 in Jerusalem | ca. 100 |
Junianus Justinus | ||
Titus Livius | vermutlich 59 v. Chr. in Patavium, dem heutigen Padua | ca. 17 n. Chr. in Patavium |
Marius Maximus | ca. 165 n. Chr. | 230 n. Chr. |
Cornelius Nepos | um 100 v. Chr. | um 25 v. Chr. |
Pamphila | ||
Velleius Paterculus | um 19 v. Chr. | um 31 |
Quintus Curtius Rufus | vermutlich 1. Jahrhundert | |
Gaius Suetonius Tranquillus | zwischen 70 und 75 n. Chr. | ca. 130–140 n. Chr. |
Gaius Sallustius Crispus | 1. Oktober 86 v. Chr. in Amiternum | 13. Mai 35 v. Chr. oder 34 v. Chr. in Rom |
Tacitus | um 55 | nach 115 |
Pompeius Trogus | 1. Jahrhundert v. Chr. |
Spätantike Geschichtsschreiber (ca. 300 bis 600 n. Chr.)
Name | geboren | gestorben |
---|---|---|
Agathias | um 536 in Myrina | um 582 in Konstantinopel |
Ammianus Marcellinus | um 330 Antiochia am Orontes/Syrien | um 395 wahrscheinlich in Rom |
Aurelius Victor | vermutlich um 320 in einer der nordafrikanischen römischen Provinzen | vermutlich um 390, möglicherweise in Rom |
Cassiodor | um 490 in Scylaceum | um 583 |
Eunapios von Sardes | 345 | 420 |
Eusebius von Caesarea | 260 bis 264 | 337 bis 340 |
Eutropius | 4. Jahrhundert | |
Historia Augusta | spätes 4./frühes 5. Jahrhundert | |
Johannes Malalas | um 490 in Antiochia | um 570 in Konstantinopel |
Jordanes | vermutlich 552 | |
Marcellinus Comes | nach 534 | |
Menander Protektor | 6. Jahrhundert | |
Olympiodoros von Theben | 5. Jahrhundert | |
Philostorgios | um 368 in Borissos | wohl nach 433 |
Priskos | um 474 | |
Prokopios von Caesarea | um 500 | um 562 |
Theophylaktos Simokates | frühes 7. Jahrhundert | |
Zosimos | 2. Hälfte 5. Jahrhundert | 1. Hälfte 6. Jahrhundert |
Name | geboren | gestorben |
---|---|---|
Theophanes Homologetes | um 760 in Konstantinopel | 817/18 in Samothrake |
Georgios Monachos | spätes 9. Jahrhundert | |
Johannes Skylitzes | 2. Hälfte 11. Jahrhundert | |
Michael Psellos | 1017/18 in Konstantinopel | 1078 |
Nikephoros Bryennios | 1062 in Orestias (Adrianopel) | 1137 in Konstantinopel |
Anna Komnena | 1083 in Konstantinopel | ca. 1154 |
Niketas Choniates | um 1150 in Chonai | um 1215 in Nikaia |
Vom Mittelalter bis zur frühen Neuzeit
Historiker des 18. und 19. Jahrhunderts
Historiker des 20. und 21. Jahrhunderts
Historiker außereuropäischer Kulturkreise
Auch andere Kulturkreise haben Formen der umfassenden Geschichtsschreibung entwickelt, insbesondere in der islamischen Welt und in der heutigen Volksrepublik China. Die älteste Tradition der Geschichtsschreibung ist über 3000 Jahre alt und stammt aus China. Hierbei sind die ältesten Geschichtsschreiber jedoch nicht namentlich bekannt, ihre Werke verfügen aber bereits über eine Dokumentation der verwendeten Quellen; erst mit Sima Guangs Zizhi Tongjian von 1084 liegt dann eine präzise Beschreibung der historiografischen Methoden vor.
Die islamische Geschichtsschreibung (ilm at-tarich) ist religiösen Ursprungs. Geschichte galt als Traditionswissenschaft, deren Auftrag die unverfälschte Überlieferung zentraler religiöser Inhalte war. Dazu bedienten sich die arabischen Historiker ausgefeilter Methoden der Quellenkritik, die auf so genannten „Überliefererketten“ (Isnad) aufbaut. In späterer Zeit findet man zunehmend auch Werke säkularen Inhalts.
Arabische Historiker
- Tabari (Al-Tabari, 839–923)
- al-Balādhurī († ca. 892)
- al-Mas'udi (um 895–957)
- Usama ibn Munqidh (1095–1188)
- Ibn al-Athīr (1160–1233)
- Ibn Challikan (1211–1282)
- Ibn Chaldun (Ibn Chaldun, 1332–1406)
- Al-Maqrīzī (Maqrizi, 1364–1442)
- Ibn ʿAsākir (1105–1176)
Chinesische Historiker
- Sima Qian (Han-Dynastie) (um 145 v. Chr. bis um 90 v. Chr.)
- Ban Gu (Han-Dynastie) (32–92)
- Faxian (Jin-Dynastie um 337 bis um 422)
- Sima Guang (Song-Dynastie) (1019–1086)
Indische Historiker
- Kalhana (12. Jh.)
- Abu 'l-Fazl (1551–1602)
Japanische Historiker
- Ishimoda Shō (1912–1986)
- Inoue Kiyoshi (1913–2001)
Phönikische Historiker
Siehe auch
Allgemein:
- Geschichte der Geschichtsschreibung
- Geschichte der Geschichtswissenschaft
- Geschichtsschreibung (Historiografie)
Jeweils beispielhaft
a) nach Epochen:
- Liste von Altertumswissenschaftlern und Archäologen
- Ur- und Frühgeschichte
- Alte Geschichte
- Mediävistik, Mittelalter
- Neuzeit
- Zeitgeschichte
b) nach Sachthemen:
- Agrargeschichte
- Bevölkerungsgeschichte
- Diplomatie
- Kirchenhistoriker, Religionsgeschichte
- Kulturgeschichte
- Kunsthistoriker
- Liste von Literaturhistorikern
- Landesgeschichte
- Geschichte der Luftfahrt
- Medizingeschichte
- Militärhistoriker
- Philosophie, Ideengeschichte
- Public History und Geschichtsdidaktik
- Rechtsgeschichte
- Politische Geschichte
- Sozialgeschichte
- Technikgeschichte
- Umweltgeschichte
- Unternehmensgeschichte
- Wirtschaftsgeschichte
- Wissenschaftsgeschichte
c) nach Weltregionen und Kulturen:
- Ägyptologie
- Afrikastudien
- Altamerikanistik
- Anglistik
- Arabistik
- Byzantinistik
- Germanistik
- Globalgeschichte
- Gräzistik
- Hispanistik
- Indologie
- Iranistik
- Japanologie
- Judaistik
- Latinistik
- Orientalist
- Romanistik
- Sinologie
- Skandinavistik
- Slawistik
- Turkologie
d) Archäologie und Historische Hilfswissenschaften:
- Archäologie
- Diplomatik
- Epigraphik
- Genealogie
- Heraldik
- Numismatik
- Paläografie
- Papyrologie
- Phaleristik
- Sphragistik
Literatur
- Kelly Boyd (Hrsg.): Encyclopedia of historians and historical writing. Fitzroy Dearborn, London u. a. 1999, ISBN 1-88496-433-8.
- Ahasver von Brandt: Werkzeug des Historikers. Eine Einführung in die historischen Hilfswissenschaften (= Kohlhammer-Urban-Taschenbücher. Band 33). Kohlhammer, Stuttgart 1958. 11. ergänzte Auflage. Kohlhammer, Stuttgart u. a. 1986, ISBN 3-17-009340-1.
- Rüdiger vom Bruch, Rainer A. Müller: Historikerlexikon. Von der Antike bis zum 20. Jahrhundert. 2. Auflage. Beck, München 2002, ISBN 3-406-47643-0.
- Ruth Dölle-Oelmüller, Rainer Piepmeier, Willi Oelmüller: Philosophische Arbeitsbücher. Band 4: Diskurs Geschichte. Paderborn 1983.
- Fritz Fellner, Doris A. Corradini: Österreichische Geschichtswissenschaft im 20. Jahrhundert. Ein biographisch-bibliographisches Lexikon (= Veröffentlichungen der Kommission für Neuere Geschichte Österreichs. Band 99). Böhlau, Wien u. a. 2006, ISBN 3-205-77476-0.
- Hiram Kümper (Hrsg.): Historikerinnen. Eine biobibliographische Spurensuche im deutschen Sprachraum. Mit einem Geleitwort von Angelika Schaser (= Schriften des Archivs der deutschen Frauenbewegung. Band 14). Stiftung Archiv der deutschen Frauenbewegung, Kassel 2009, ISBN 978-3-926068-15-6.
- Anne Kwaschik, Mario Wimmer (Hrsg.): Von der Arbeit des Historikers: Ein Wörterbuch zu Theorie und Praxis der Geschichtswissenschaft. Bielefeld 2010, ISBN 978-3-8376-1547-0.
- Wolfgang Weber: Priester der Klio. Historisch-sozialwissenschaftliche Studien zur Herkunft und Karriere deutscher Historiker und zur Geschichte der deutschen Geschichtswissenschaft 1800–1970 (= Europäische Hochschulschriften. Reihe 3, Band 216). Lang, Frankfurt am Main u. a. 1984, ISBN 3-8204-7435-8.
- Wolfgang Weber: Biographisches Lexikon zur Geschichtswissenschaft in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Die Lehrstuhlinhaber von den Anfängen des Faches bis 1970. Lang, Frankfurt am Main u. a. 1984, ISBN 3-8204-8005-6.
- Dieter Wolf: Geschichtsvermittlung fern vom Elfenbeinturm. Historiker im kleinen Museum. In: Margot Rühl (Hrsg.): Berufe für Historiker. Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt 2004. S. 119–129.