Deutsche Waggonbau

Deutsche Waggonbau AG

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Rechtsform Aktiengesellschaft
Gründung 1990
Auflösung 1998
Auflösungsgrund Verkauf an Bombardier Transportation und Betriebsübergang
Sitz Berlin, Deutschland
Leitung Peter Witt (Vorsitzender)
Mitarbeiterzahl 4434
Umsatz 914 Mio. DM
Branche Schienenfahrzeughersteller
Website www.bombardier.com
Stand: 31. Dezember 1996

Die Deutsche Waggonbau AG (DWA) war ein Schienenfahrzeughersteller in Deutschland, der an mehreren Standorten den Bau von Eisenbahnwagen betrieb. Er ging 1990 aus dem Kombinat Schienenfahrzeugbau der DDR hervor und wurde 1998 an Bombardier Transportation veräußert.[1] DWA galt zeitweise als der größte europäische Waggonhersteller und als „Flaggschiff der ostdeutschen Industrie“.

Geschichte

Erstes Logo der DWA

Das Unternehmen entstand als Folge der deutschen Einheit aus Teilen des KombinatsSchienenfahrzeugbau der DDR“, in dem die volkseigenen Schienenfahrzeughersteller der DDR zusammengefasst waren. Diese wiederum gingen aus den 1949 in der SBZ verstaatlichten Waggonbauanstalten hervor. Mit der Ausgliederung diverser Betriebe nach der Wende, darunter vor allem des VEB Lokomotivbau Elektrotechnische Werke „Hans Beimler“ (LEW) in Hennigsdorf bei Berlin und ihm angeschlossener Betriebe, fasste die Treuhandanstalt noch 1990 die verbliebenen Waggonbaubetriebe der DDR zur DWA zusammen.[2]

Zum Gründungstag 14. Juni 1990 beschäftigte die DWA 24636 Mitarbeiter. Folgende Tochterunternehmen gehörten bei der Gründung zur Deutschen Waggonbau AG[3]:

Bis Ende 1991 wurden acht Betriebe (Waggonbau Altenburg, Schloß- und Stahlbau Mühlhausen, Radsatzfabrik Ilsenburg, Spezialgeräte Schmölln, Stahlgießerei Chemnitz und Olbersdorf sowie INWAB und microWAC) mit ca. 1870 Mitarbeitern privatisiert. 1992 folgten Federnwerk Zittau und Fahrzeugsitze Bad Schandau. 1995 wurde das Achslagerwerk Staßfurt privatisiert. Die Privatisierung des Gesamtkonzerns scheiterte anfangs jedoch vor allem wegen kartellrechtlicher Bedenken. Als Interessenten für eine Übernahme waren die drei großen westdeutschen Schienenfahrzeughersteller Siemens, AEG und ABB im Gespräch. Auch die französische GEC-Alsthom bekundete ein ernsthaftes Interesse.

DWA LVT/S der Hanseatischen Eisenbahn mit DWA-Eigenwerbung und Slogan „Kompetenz mit Zugkraft“ in der Zugzielanzeige

Der Zerfall der Sowjetunion stellte das Unternehmen vor große Herausforderungen. Zwei Drittel aller Arbeitsplätze in den DWA-Werken waren abhängig von Exporten nach Russland. Erklärtes Ziel war deshalb die Abhängigkeit vom Ostmarkt abzusenken. Der erste große Erfolg auf einem neu gewonnenen Markt war die Bestellung von 75 Doppelstockwagen aus dem Werk Görlitz für die Deutsche Bundesbahn 1992. Im August 1993 erhielt DWA den Zuschlag für die Ausschreibung neuer S-Bahn-Züge für Berlin. Zudem übernahm die DWA die Führung des ICE-T-Konsortiums. Durch die Präsenz auf verschiedenen Messen machte das Unternehmen von sich reden. Im Frühjahr 1994 wurde auf der Hannover-Messe der Demonstrator des DWA Schienenbusses präsentiert.

Die Treuhandanstalt bot die DWA letztendlich auch international zum Kauf an und gewann das Interesse von ca. 30 potentiellen Käufern. Am 14. Dezember 1994, kurz vor Auflösung der Treuhandanstalt verkündete diese den Verkauf der Deutschen Waggonbau AG zum 1. Januar 1995 an den Private-Equity-Investor Advent International. In der Aufsichtsratssitzung am 17. Februar 1995 wurde beschlossen die wichtigsten DWA-Werke (Ammendorf, Bautzen, Dessau, Görlitz, Niesky und Vetschau) zu fusionieren um weitere Kosten zu sparen. In einer folgenden Sitzung beschließt der Aufsichtsrat die Einstellung der Produktion im Werk Dessau zum 30. Juni 1995. Es wurde damit argumentiert, dass der Serienbau an dem Standort keine Zukunft mehr habe, nicht zuletzt durch die gesunkene Nachfrage nach Kühlwagen. Dem Verkauf an Advent wurde durch die Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben am 26. Juni 1995 endgültig zugestimmt.

Ende 1997 wurde bekannt, dass Advent International einen Verkauf an die kanadische Bombardier Transportation beabsichtigt. Die Übernahme wurde am 2. Februar 1998 abgeschlossen.[4] Ebenfalls für das Jahr 1998 geplant war der Börsengang, der durch die Übernahme durch Bombardier allerdings nicht mehr realisiert wurde.[5]

Standorte und Beteiligungen

Endmontagehalle des Werks in Bautzen

Bautzen

Das Werk in Bautzen war unter anderem verantwortlich für die Produktbereiche Straßen-, Stadt- und U-Bahnen. Außerdem wurden dort Leichtverbrennungstriebwagen (DWA LVT/S), Gelenktriebwagen (GTW 2/6) und Reisezugwagen hergestellt. Ebenfalls wurden im Werk Kupplungen und Kunststoffteile gefertigt sowie Reisezugwagen und Straßenbahnen modernisiert. 1996 beschäftigte es 805 Mitarbeiter.

Bombardier nutzte das Werk weiterhin als Kompetenzzentrum für Straßen- und Stadtbahnen. Seit 2021 gehört der Standort zum Alstom-Konzern.

Dessau

Produziert wurden im Werk Dessau unter anderem Straßenbahnen für Magdeburg sowie der DWA Schienenbus.

1995 wurde das Werk in Dessau geschlossen. Auf dem Werksgelände siedelte sich die Fahrzeugtechnik Dessau an. Zuletzt befand sich die Molinari Rail Systems GmbH an dem Standort. Nach einer Insolvenz wurde das Werk im Sommer 2023 erneut geschlossen.[6]

Görlitz

Herstellerschild eines Doppelstockwagens aus Görlitz

In Görlitz wurden überwiegend Doppelstockwagen hergestellt. Ebenfalls im Portfolio befanden sich aber auch weitere Reisezugwagen und Schlafwagen sowie Züge mit Neigetechnik (ICE T). 1190 Mitarbeiter waren 1996 hier beschäftigt.

Auch unter Bombardier wurden im Werk weiterhin Doppelstockwagen hergestellt. Seit der Übernahme von Bombardier gehört das Werk seit 2021 zu Alstom. Im Sommer 2024 wurde bekannt, dass Alstom einen Verkauf des Werks am Standort Görlitz plant.[7]

Halle-Ammendorf

Das Ammendorfer Werk war spezialisiert auf Fahrzeuge für den Regionalverkehr (ET 425, ET 481). Weitere Produktbereiche waren unter anderem die Herstellung von Reisezugwagen und Speisewagen sowie die Modernisierung von Personenwagen. Ebenfalls war man an den Prototypen des DWA Schienenbusses und des ET 2000 TT beteiligt. 1996 beschäftigte das Werk 1000 Mitarbeiter.

Nach der Schließung des Werks durch Bombardier im Jahr 2005 übernahm ein Jahr später die Maschinenbau und Service GmbH (MSG Ammendorf) das Firmengelände. Das Unternehmen betreibt an dem traditionsreichen Standort weiterhin Schienenfahrzeugbau und Reparaturen.[8]

Niesky

In Niesky stellte die DWA Güterwagen, Spezialgüterwagen und Drehgestelle her. 1996 waren 441 Mitarbeiter beschäftigt.

2005 wurde der Waggonbau Niesky eigenständig, ehe die Deutsche Bahn AG das Werk 2008 übernahm. 2014 wurde das Werk verkauft an Quantum Capital Partners AG. Nach einer Insolvenz wurde das Werk 2018 von Tatravagónka Poprad gekauft. 2023 kam es zu einer erneuten Insonvenz sowie in deren Folge zur Schließung des Werks.[9]

Vetschau

Das Vetschauer Werk war zuständig für die Herstellung, Aufarbeitung oder Modernisierung von Drehgestellen und sonstigen Laufwerken für Reisezugwagen und Straßenbahnen. 1996 waren 150 Mitarbeiter beschäftigt.

2003 wurde der Betrieb an ausländische Investoren verkauft und firmierte zuletzt als TransTec F&E Vetschau GmbH. 2023 war das Unternehmen insolvent und stellte den Betrieb ein.[10]

Beteiligungen

Fahrzeugausrüstung Berlin GmbH

Logo der Fahrzeugausrüstung Berlin GmbH

Die Fahrzeugausrüstung Berlin (FAGA) war verantwortlich für die Herstellung von elektrischen und thermischen Ausrüstungen für Schienenfahrzeuge. Der SItz des Betriebs befand sich zuletzt in Berlin-Marzahn und er beschäftigte 277 Mitarbeiter im Jahr 1996. Hervorgegangen war er aus dem 1948 gegründeten VEB Fahrzeugausrüstung Berlin mit Sitz in Berlin-Friedrichshain unweit des Ostbahnhofs. An diesem Standort produzierte die Julius Pintsch AG bereits seit dem Jahr 1863.

2010 verkaufte Bombardier das mittlerweile als Bombardier Transportation (Power Converter Solutions) Germany GmbH (PCS) firmierende Unternehmen.[11] Nach weiteren Verkäufen an Knorr-Bremse und den Investor Radial Capital Partners (RCP) ist das Unternehmen PowerTech Converter (PTC) nun Teil von ABB.[12]

Institut für Schienenfahrzeuge Berlin GmbH

Das Institut für Schienenfahrzeuge (IfS) hat seinen Ursprung in dem 1922 gegründeten „Vereinheitlichungsbüro“ der Deutschen Reichsbahn und der Lokomotivindustrie. 1990 wurde das auch in der DDR bestehende Institut in eine selbstständige GmbH umgewandelt. Es hatte seinen Sitz in Berlin-Adlershof, wo sich ebenfalls die Verwaltung der DWA befand.

Als einziges nicht produzierende Unternehmen der DWA hatte es eine Sonderstellung als Innovations- und Entwicklungszentrum. Die Entwicklungsarbeiten fanden in Zusammenarbeit mit dem Herstellerwerk statt. Im Falle des DWA Schienenbusses zum Beispiel war dies der Waggonbau Dessau.[13]

Ausländische Beteiligungen

  • Vevey Technologies SA, Villeneuve (Schweiz): 100 %
    • Werk ist heute Teil von Alstom
  • Vagónka Ceská Lípa a.s., Ceská Lípa (Tschechische Republik): 73 %
    • Werk ist heute Teil von Alstom
  • Oktober-Elektrowaggon-Reparaturwerk (Октябрьский электровагоноремонтный завод), St. Petersburg (Russland): 20 %

Zudem unterhielt die DWA Niederlassungen in Moskau, St. Petersburg und Peking.

Fahrzeuge (Auswahl)

Zwischen 1991 und 1996 wurden in den Werken der DWA 14804 Fahrzeuge hergestellt, darunter 5512 Reisezugwagen und 9292 Güter- und Kühlwagen. Hauptabnehmer waren dabei Betriebe aus Deutschland, Russland und der Schweiz.

Triebwagen

Name Nr. Baujahre Anzahl Werk Bild
DWA ET 2000 TT 1996 – 1997 1 Halle-Ammendorf
DWA Schienenbus 670 1996 7 Halle-Ammendorf

Dessau

DWA LVT/S 502 (Prototyp)

504 (Vorserie)

672

1996 – 1999 24 Bautzen
ICE T

(Endwagen)

411

415

1996 – 2000 Görlitz
DB-Baureihe 481 481

482

1996 – 2001 Halle-Ammendorf
DB-Baureihe 445

„Meridian“

(mechanischer Teil)

445 1998 1 Görlitz
DB-Baureihe 425 425 1999 – 2001 Halle-Ammendorf
DB-Baureihe 426 426 1999 – 2001 Halle-Ammendorf
GTW

(Endwagen)

508

509

646

1999 – 2000 30 Bautzen

Reisezugwagen

Name Nr. Baujahre Anzahl Werk Bild
Doppelstock-Steuerwagen

DABbuzfa

760 1992 – 1993 100 Görlitz
Doppelstock-Steuerwagen

DBbzfa

761 1995 – 1997 58 Görlitz
Doppelstock-Steuerwagen

DABpbzfa

762 1995 – 1997 31 Görlitz
Doppelstock-Steuerwagen

DBpbzfa

763 1997 – 2000 73 Görlitz
Doppelstock-Steuerwagen

DABpbzfa

764 1997 – 1999 39 Görlitz
Doppelstock-Steuerwagen

DBpbzfa

765 2000 – 2003 55 Görlitz

Straßenbahnwagen

Name Baujahre Anzahl Werk Bild
Gelenktriebwagen NGT6DD

(Dresden)

1995 – 1998 60 Bautzen
Gelenktriebwagen NGT8D

(Magdeburg)

1994 – 1996 25 Dessau
MGT6D (Halle) 1996 – 1998 50 Bautzen

U-Bahn-Wagen

Name Baujahre Anzahl Werk Bild
MVG-Baureihe B

(München)

1994 22 Bautzen

Logos und Slogans

Von der Gründung 1990 bis zur Verschmelzung zur DWA 1995 nutzten die Tochterunternehmen eigene Logos, teilweise abgewandelt von den ehemaligen Volkseigenen Betrieben. Sie waren unter anderem auf den Herstellerschildern an den Fahrzeugen sowie in Broschüren zu sehen.

„Kompetenz mit Zugkraft“ und „Sie fahren gut mit uns“ waren vom Unternehmen verwendete Slogans.

Einzelnachweise

  1. Eintrag über Bombardier in Werkbahn.de
  2. Werkbahn.de – Abschnitt DWA
  3. Günther Krug: Auf den Schienen des Erfolgs: Die Geschichte der DWA von 1989 bis 1998. November 1998.
  4. Geschichte von Bombardier in Deutschland. Archiviert vom Original am 13. Juni 2016; abgerufen am 10. April 2020.
  5. Letzter DDR-Großbetrieb privatisiert. In: Die Tageszeitung: taz. 3. Februar 1998, ISSN 0931-9085, S. 8 (taz.de [abgerufen am 16. August 2024]).
  6. mdr.de: Nach Insolvenz: Waggonbauer Molinari in Dessau endgültig Geschichte | MDR.DE. Abgerufen am 1. August 2024.
  7. mdr.de: Alstom-Werk in Görlitz soll verkauft werden | MDR.DE. Abgerufen am 16. August 2024.
  8. Geschichte – MSG Ammendorf. Abgerufen am 1. August 2024.
  9. mdr.de: Endgültiges Aus für Traditionsunternehmen Waggonbau Niesky | MDR.DE. Abgerufen am 1. August 2024.
  10. Drehgestellhersteller Transtec schließt Betrieb in Vetschau. 1. Juli 2023, abgerufen am 1. August 2024.
  11. Heinz Arnold: PCS Power Converter Solutions eröffnet Werk. Abgerufen am 1. August 2024 (deutsch).
  12. ABB übernimmt PowerTech Converter und baut Angebot ihrer Division Traction aus. 19. September 2022, abgerufen am 1. August 2024.
  13. Deutsche Waggonbau AG (Hrsg.): Broschüre "DWA Schienenbus". Mai 1994.