Allgemeines Deutsches Handelsgesetzbuch

Basisdaten
Titel: Allgemeines Deutsches Handelsgesetzbuch
Abkürzung: ADHGB
Art: Gesetz
Geltungsbereich: Deutscher Bund (1861–1866)
Norddeutscher Bund und Deutsches Kaiserreich (1869–1899)
Österreich (1863–1939)
Liechtenstein (seit 1865)
Rechtsmaterie: Handelsrecht
Erlassen am: 31. Mai 1861
Inkrafttreten am:
Außerkrafttreten: 1. Januar 1900 im Deutschen Reich, 1. März 1939 in Österreich (jeweils durch Inkrafttreten des HGB)
Weblink: ADHGB (1869)
Bitte den Hinweis zur geltenden Gesetzesfassung beachten.

Das Allgemeine Deutsche Handelsgesetzbuch (ADHGB) war das erste umfassend kodifizierte und weiträumig geltende Handelsgesetzbuch in Deutschland und Vorgängergesetz des heutigen deutschen Handelsgesetzbuches (HGB).[1] „Allgemein“ war das Recht insoweit, als es inhaltsgleiches Recht der Einzelstaaten des Deutschen Bundes war.[2]

Geschichte

Rechtliche Ausgangslage

Bis zur Einführung des ADHGB spiegelte das deutsche Handelsrecht die politische Zersplitterung Deutschlands wider.

Preußisches Allgemeines Landrecht

Für das preußische Staatsgebiet galt das Allgemeine Landrecht (ALR) von 1794. Im Achten Titel waren die Vorschriften über die „Bürgerstände“ zu finden. Dieser umfasste neben den Regularien für Handwerker (§§ 179 bis 400), Künstler und Fabrikanten (§§ 401 bis 423) auch die für Kaufleute (§§ 475 bis 712). Hier definierten §§ 475 bis 496 ALR die Kaufmannseigenschaft. §§ 497 bis 545 ALR betrafen „Faktoren und Disponenten“, wobei die Prokura in §§ 498 ff. ALR zu finden war. §§ 546 bis 553 ALR äußerten sich zu Handlungsdienern und Lehrlingen, §§ 562 bis 613 ALR zu Handelsbüchern und §§ 614 bis 683 ALR zu Handlungsgesellschaften. Mit kaufmännischen Zinsen befassten sich §§ 684 bis 697 ALR, mit Provisionen §§ 698 bis 701 ALR und die §§ 702 bis 712 ALR mit Kaufmännischen Empfehlungen.

Code de commerce

In den linksrheinischen Gebieten und in Baden (als Annex zum Badischen Landrecht[3]) galt der französische Code de commerce von 1807, der auf das objektive Handelsgeschäft abstellt, also gerade nicht auf Kaufmannsstatus des Handelnden.[4]

Partikularrechte und Gemeines Recht

Sonst galten Partikularrechte oder subsidiär das Gemeine Recht.[5]

Entwurf von 1849

Vorarbeiten zum ADHGB gehen bis auf die Jahre 1848/49 zurück. So sah schon die Paulskirchenverfassung vom 28. März 1849 in § 64 u. a. die Schaffung eines allgemeinen Gesetzbuchs über das Handelsrecht vor. Zuvor hatte bereits am 2. Dezember 1848 eine Kommission mit den Vorarbeiten begonnen. Im März 1849 wurde schließlich ein „Entwurf eines allgemeinen Handelsgesetzbuches für Deutschland“[6] vorgelegt. Nachdem der preußische König Friedrich Wilhelm IV. die ihm am 4. April 1849 angebotene Kaiserkrone zurückgewiesen hatte, war das Verfassungsvorhaben gescheitert. Noch im selben Jahr löste sich die Kommission auf.

Das ADHGB

Die Nürnberger HGB-Kommission

Auf Vorschlag des Königreichs Bayern richtete die Bundesversammlung des Deutschen Bundes am 21. Februar 1856 eine Kommission zur Erarbeitung eines Handelsgesetzbuches ein. König Maximilian II. Joseph von Bayern soll dieses Vorhaben persönlich angeregt haben.[7] Der preußische Bundestagsgesandte Otto von Bismarck stimmte dabei entgegen den Anweisungen des preußischen Ministerpräsidenten Otto Theodor von Manteuffel nicht gegen den bayerischen Antrag.[8] Auch wurde auf Bismarcks Vorschlag hin nicht etwa Frankfurt am Main, Sitz des Bundestags, sondern die alte Handelsstadt Nürnberg als Tagungsort gewählt.[9] Im Umfeld der Nürnberger Börse waren dort bereits im 16. Jahrhundert erste Handelsgesetze erlassen worden. So sollte die Arbeitsgruppe als Nürnberger HGB-Kommission in die Geschichte eingehen.[10]

Die Kommission tagte ab Januar 1857 unter Leitung des bayerischen Justizministers Friedrich von Ringelmann. Zur Kommission gehörten auch zahlreiche Kaufleute.[11] Die deutsche Kaufmannschaft und Rechtswissenschaftler sprachen sich dabei gegen den vorindustriell geprägten und somit von den Umständen überholten Code de commerce als Vorlage für das ADHGB aus.[12] Als Arbeitsgrundlage machte ein preußischer Entwurf das Rennen.

Beschluss über das ADHGB

Allgemeines Deutsches Handelsgesetzbuch (ADHGB) mit dem Einführungsgesetz für Nassau 1861

Am 31. Mai 1861 wurde der „Nürnberger Entwurf“[13] eines Allgemeinen Deutschen Handelsgesetzbuches (ADHGB) von der Bundesversammlung des Deutschen Bundes per Beschluss zur Einführung in den Einzelstaaten empfohlen.[14] Es galt ab 1861 in den Staaten des Deutschen Bundes als inhaltsgleiches Recht. Einige Bundesstaaten, wie die Freie Stadt Hamburg, erklärten das ADHGB sogar für Rechtsgeschäfte ohne kaufmännische Beteiligung für anwendbar.[15]

Entwicklung nach 1866

Der Deutsche Bund wurde am 23. August 1866 in Augsburg aufgelöst. Das ADHGB bestand in den ehemaligen Bundesstaaten fort.

Deutschland

Verkündung des ADHGB im Bundesgesetzblatt des Norddeutschen Bundes (5. Juni 1869)

Der Norddeutsche Bund übernahm das ADHGB[16] am 5. Juni 1869 durch Bundesgesetz. Das ADHGB blieb auch im Deutschen Kaiserreich gemäß Reichsgesetz vom 16. April 1871[17] in Kraft. Das oberste Gericht für die Auslegung des ADHGB war von 1869 bis 1879 das Reichsoberhandelsgericht (ROHG, bis 1871 Bundesoberhandelsgericht), das später im Reichsgericht aufging. Das ADHGB wurde im Deutschen Kaiserreich durch das am 10. Mai 1897 erlassene Handelsgesetzbuch (HGB) ersetzt, das zusammen mit dem Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) am 1. Januar 1900 in Kraft trat.

Österreich

Das ADHGB wurde als „Allgemeines Handelsgesetzbuch“ (AHGB) 1863 im Kaisertum Österreich eingeführt (öRGBl 1/1863). Nach dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich 1938 wurde es sukzessive durch das HGB abgelöst.[18]

Liechtenstein

Das Allgemeine Deutsche Handelsgesetzbuch (ADHGB) wurde per Gesetz vom 16. September 1865 im Fürstentum Liechtenstein übernommen. Es ist unter dieser Bezeichnung auch heute noch in Geltung.[19] Große Teile wurden allerdings durch das am 19. Februar 1926 in Kraft getretene Personen- und Gesellschaftsrecht (PGR) ersetzt. Das ADHGB hat noch praktische Bedeutung für die Bereiche Prokuristen, Handlungsbevollmächtigte, Handelsmäkler und Handelsgeschäfte.[20]

Inhalt

Nach seiner Grundkonzeption[21] folgt das ADHGB eher dem von Levin Goldschmidt vertretenem objektiven System, das den Kaufmann objektiv anhand gesetzlich normierter Handelsgeschäfte bestimmte. Der standesrechtlichen Orientierung nach Johann Heinrich Thöl wurde somit eine Absage erteilt.

Rezeption

Mangels eines „Allgemeinen Deutschen Bürgerlichen Gesetzbuchs“ enthielt das ADHGB auch allgemeine Regelungen zu Stellvertretung (Art. 52-56 ADHGB), Vertragsschluss (Art. 317-323 ADHGB), Erfüllung (Art. 324-336 ADHGB) und Kaufverträgen (Art. 337-359 ADHGB), die eine „richtungweisende Vorlage“ für das spätere BGB darstellen sollten.[22]

Bewertung und Kritik

Für Levin Goldschmidt[23] war das ADHGB das „gründlichste und beste unter den vorhandenen Europäischen Handelsgesetzbüchern“.

Literatur

Allgemeines

  • Christoph Bergfeld: Preußen und das Allgemeine Deutsche Handelsgesetzbuch. In: Ius Commune, Band XIV (1987), S. 101–114.
  • Gero Fuchs: Die politische Bedeutung des Allgemeinen Deutschen Handelsgesetzbuchs im 19. Jahrhundert. In: Bonner Rechtsjournal (BRJ), 2013, 13.
  • Karsten Schmidt: Woher – Wohin? ADHGB, HGB und die Besinnung auf den Kodifikationsgedanken. In: Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht (ZHR), 161 (1997), 2.
  • Wolfgang Schön: Entwicklung und Perspektiven des Handelsbilanzrechts – vom ADHGB zum IASC. In: Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht (ZHR), 161, 133-159.

Spezielles

  • Diethard Bühler: Die Entstehung der allgemeinen Vertragsschluss-Vorschriften im Allgemeinen Deutschen Handelsgesetzbuch (ADHGB) von 1861. ein Beitrag zur Kodifikationsgeschichte des Privatrechts im 19. Jahrhundert. Frankfurt am Main 1999.
  • Carsten Engler: Die Kommanditgesellschaft (KG) und die stille Gesellschaft im Allgemeinen Deutschen Handelsgesetzbuch (ADHGB) von 1861. Frankfurt am Main 1999.
  • Ralf Heimann: Die Entwicklung der handelsrechtlichen Veröffentlichung vom ALR bis zum ADHGB. Berlin 2008.
  • Jörg Hofmeister: Die Entwicklung des Gesellschafterwechsels im Recht der Personengesellschaften vom ALR bis zum ADHGB. Berlin 2002.
  • Friedrich Benedict Heyn: Die Entwicklung des Eisenbahnfrachtrechts von den Anfängen bis zur Einführung des Allgemeinen Deutschen Handelsgesetzbuches (ADHGB). Frankfurt am Main 1996.
  • Albert Schnelle: Bremen und die Entstehung des allgemeinen deutschen Handelsgesetzbuches: 1856–1864. Bremen 1992.
  • Rüdiger Servos: Die Personenhandelsgesellschaften und die stille Gesellschaft in den Kodifikationen und Kodifikationsentwürfen vom ALR bis zum ADHGB. Köln 1984.
  • Daniel Spindler: Zeitwertbilanzierung nach dem ADHGB von 1861 und nach den IAS-IFRS. eine empirische Analyse aus Kapitalgebersicht. Sternenfeld 2005.

Einzelnachweise

  1. Viktor Ring: Das Handelsgesetzbuch für das Deutsche Reich. (Memento des Originals vom 14. Februar 2009 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/dlib-pr.mpier.mpg.de Berlin 1902.
  2. Karsten Schmidt. In: Karsten Schmidt: Münchener Kommentar zum HGB. 3. Auflage. München 2010, Vorbemerkungen zu § 1 Rz. 21.
  3. Hartmut Oetker. In: Claus-Wilhelm Canaris, Mathias Habersack, Carsten Schäfer (Hrsg.): Staub HGB. 5. Auflage. Band 1, 2009, Einleitung Rz. 2.
  4. Christoph Bergfeld: Preußen und das Allgemeine Deutsche Handelsgesetzbuch. In: Ius Commune, Band XIV (1987), S. 101 (104).
  5. Thomas Henne: Handelsgesetzbuch. In: Albrecht Cordes, Heiner Lück, Dieter Werkmüller (Hrsg.): Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte. HRGdigital.de (21. November 2015).
  6. Theodor Baums: Entwurf eines allgemeinen Handelsgesetzbuches für Deutschland (1848/1849). Heidelberg 1982, S. 59 ff.; Entwurf eines allgemeinen Handelsgesetzbuches für Deutschland, Frankfurt a.M. 1849.
  7. Christoph Bergfeld: Preußen und das Allgemeine Deutsche Handelsgesetzbuch. In: Ius Commune, Band XIV (1987), S. 101 (107) Fn. 9.
  8. Christoph Bergfeld: Preußen und das Allgemeine Deutsche Handelsgesetzbuch. In: Ius Commune, Band XIV (1987), S. 101 (108).
  9. Christoph Bergfeld: Preußen und das Allgemeine Deutsche Handelsgesetzbuch. In: Ius Commune, Band XIV (1987), S. 101 (109).
  10. Vgl. nur Karsten Schmidt. In: Karsten Schmidt: Münchener Kommentar zum HGB. 3. Auflage. München 2010, Vorbemerkungen zu § 1 Rz. 21.
  11. Christoph Bergfeld: Preußen und das Allgemeine Deutsche Handelsgesetzbuch. In: Ius Commune, Band XIV (1987), S. 101 (110).
  12. Christoph Bergfeld: Preußen und das Allgemeine Deutsche Handelsgesetzbuch. In: Ius Commune, Band XIV (1987), S. 101 (108 f.).
  13. Gerhard Köbler: Deutsche Rechtsgeschichte – Ein systematischer Grundriss. 6. Auflage. München 2005, S. 188 f.
  14. Hartmut Oetker. In: Claus-Wilhelm Canaris, Mathias Habersack, Carsten Schäfer (Hrsg.): Staub HGB. 5. Auflage. Band 1, 2009, Einleitung Rz. 5.
  15. Christoph Bergfeld: Preußen und das Allgemeine Deutsche Handelsgesetzbuch. In: Ius Commune, Band XIV (1987), S. 101 (113).
  16. Allgemeines Deutsches Handelsgesetzbuch. Vom 5. Juni 1869. (Wikisource)
  17. RGBl. 1871, S. 63; für das Königreich Bayern ordnete dies das Gesetz vom 22. April 1871 an, RGBl. 1871, S. 63.
  18. Beginnend mit der 1. Einführungsverordnung (GBlÖ 1938/100) – Kundmachung des Reichsstatthalters, wodurch die 1. Verordnung zur Einführung handelsrechtlicher Vorschriften im Land Österreich vom 11. April 1938 bekanntgemacht wird.
  19. Kundmachung vom 21. Oktober 1997 des Allgemeinen deutschen Handelsgesetzbuches, LGBl. 1997 Nr. 193. Das ADHGB wurde ursprünglich durch das Gesetz vom 16. September 1865 betreffend die Einführung das allgemeinen deutschen Handelsgesetzbuches im Fürstentum Liechtenstein, LGBl. 10/1865, kundgemacht
  20. Elisabeth Berger: Rezeption im liechtensteinischen Privatrecht unter besonderer Berücksichtigung des ABGB. 2. Auflage. Wien 2011, S. 65.
  21. Thomas Henne: Handelsgesetzbuch. In: Albrecht Cordes, Heiner Lück, Dieter Werkmüller (Hrsg.): Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte. HRGdigital.de (21. November 2015).
  22. Hartmut Oetker. In: Claus-Wilhelm Canaris, Mathias Habersack, Carsten Schäfer (Hrsg.): Staub HGB. 5. Auflage. Band 1, 2009, Rz. 6.
  23. Levin Goldschmidt zitiert nach Karl-Otto Scherner: Handelsrecht. In: Albrecht Cordes, Heiner Lück, Dieter Werkmüller (Hrsg.): Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte. HRGdigital.de/HRG.handelsrecht (21. November 2015).