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Parlamentsauflösung

Bei einer Parlamentsauflösung wird ein Parlament in seiner aktuellen Zusammensetzung entlassen, in der Regel um den Weg für vorgezogene Neuwahlen freizumachen, die daraufhin meist innerhalb einer verfassungsmäßigen Frist stattzufinden haben.

Im deutschsprachigen Raum ist üblicherweise nur dann von einer Parlamentsauflösung die Rede, wenn sie vorzeitig während einer laufenden Legislaturperiode erfolgt. Dort bleiben die Abgeordneten dann auch bis zur Konstituierung des neuen Parlaments im Amt. Im angelsächsischen Rechtskreis hingegen gab es lange Zeit keine fixen Legislaturperioden, weshalb ein Parlament aktiv aufgelöst werden musste, um Neuwahlen zu ermöglichen. Hier scheiden die Abgeordneten zudem sofort aus, wodurch es (wie während der Prorogation) zu einer Zeit ohne aktives Parlament kommt.

Die meisten Staaten haben eine Vorgehensweise zum Auflösen des Parlaments in der Verfassung geregelt. In vielen kann dies das Staatsoberhaupt unter bestimmten Voraussetzungen veranlassen. In manchen Ländern kann sich aber auch das Parlament selbst auflösen, in anderen kann dies auch das Volk herbeirufen.[1] Einige Demokratien, wie Norwegen, die Schweiz und die USA, kennen eine Auflösung des Parlaments hingegen nicht.[2]

Berechtigte zur Parlamentsauflösung

Staatsoberhaupt

Historisch verfügte der Monarch über das alleinige Recht, das Parlament einzuberufen, zu vertagen oder aufzulösen. Dieses Recht war der Ausdruck der Stellung des Herrschers (monarchisches Prinzip). Bis heute hat etwa im Vereinigten Königreich allein der König dieses Recht, bei dessen Ausübung er rein rechtlich an keine Voraussetzungen gebunden ist. Auch in den Niederlanden, in Belgien und in Dänemark kann der Monarch das Parlament auflösen.

Auch in vielen Republiken ist es bis heute das Staatsoberhaupt, das über die Parlamentsauflösung entscheidet, zum Beispiel in Frankreich (Präsident)[g 1], Österreich (Bundespräsident) oder Deutschland (Bundespräsident). Oftmals sind sie dabei aber an bestimmte Bedingungen gebunden. Vor allem nach den Erfahrungen mit der Macht des deutschen Präsidenten Paul von Hindenburg in den 1930er Jahren wurden das Recht zur Auflösung des Parlaments durch das Staatsoberhaupt in vielen kontinentaleuropäischen Demokratien eingeschränkt. Der französische Präsident etwa darf das Parlament innerhalb von 12 Monaten nicht zweimal auflösen und der österreichische Bundespräsident muss sich für die erneute Auflösung einen neuen Grund suchen.

Regierung

Mit der Herausbildung von Regierungen, gerade auch mit eigener Verantwortung, spielten diese eine immer größer werdende Rolle bei der Parlamentsauflösung, entweder de facto oder gar verfassungsmäßig. Selbst, wenn de jure der Monarch entscheidet, tut er dies daher heutzutage in der Regel nur noch auf Vorschlag der Regierung (etwa im Vereinigten Königreich).

Allein schon die Drohung mit der Auflösung, etwa im Wege der Vertrauensfrage, schüchtert die Abgeordneten oftmals genug ein, um doch noch Regierungsvorlagen zuzustimmen. Doch genauso gut ist es möglich, dass eine Neuwahl die Opposition stärkt.

Selbstauflösung durch das Parlament

Ebenfalls verbreitet sind Selbstauflösungsrechte des jeweiligen Parlamentes. Beispiele sind Belgien, Österreich[g 2], die Niederlande, Israel und Polen.[3]

Automatische Auflösung

In Bulgarien, Griechenland, Israel, Schweden und Spanien löst sich das Parlament automatisch auf, wenn keine Regierung gebildet werden kann. In Israel löst sich das Parlament automatisch auf, wenn kein Budget gebildet werden kann.[4][5]

Auflösung durch Verfassungsänderung

Wenn sich ein Staat eine komplett neue Verfassung gibt, kommt es üblicherweise ebenfalls zu einer Neuwahl. In Belgien und der Schweiz ist dieser Umstand sogar in der Verfassung geregelt: Nach einer Totalrevision der Schweizerischen Bundesverfassung werden der Nationalrat und der Ständerat neu gewählt, wie 1999 passiert.[6] In Belgien kommt es nach jeder Verfassungsänderung zu einer automatischen Auflösung des Parlaments, damit das dann neu gewählte Parlament die Änderung ratifizieren kann.

Volksentscheid

Eine andere Variante ist die Abberufung eines Parlaments durch einen Volksentscheid. So kann in den Schweizer Kantonen Bern,[g 3] Uri,[g 4] Schaffhausen,[g 5] Solothurn[g 6] und Thurgau[g 7] die Abberufung des Kantonsparlaments vor Ablauf der Legislaturperiode verlangt werden. In den deutschen Bundesländern sehen die Verfassungen von Baden-Württemberg,[g 8] Bayern,[g 9] Berlin,[g 10] Brandenburg,[g 11] Bremen[g 12] und Rheinland-Pfalz[g 13] eine solche Möglichkeit vor. In der Weimarer Republik wurde 1932 der Oldenburgische Landtag auf diese Weise abberufen. Entsprechende Versuche in anderen Ländern schlugen fehl, so auch 1926 die Volksabstimmung über die Auflösung des dritten hessischen Landtags und 1931 der Volksentscheid zur Auflösung des preußischen Landtages.[7] Auch in vielen lateinamerikanischen Staaten kann ein Abberufungsreferendum gegen Amtsträger zu einer Neuwahl führen.

Wenn der lettische Präsident das Parlament auflösen will, muss das vorher durch eine Volksabstimmung bestätigt werden, was 2011 geschehen ist.

Situation in einzelnen Ländern

Deutschland

Geschichte

In den meisten Ländern des Deutschen Bundes wurden gemäß Art. 13 der Deutschen Bundesakte[g 14] landständische Verfassungen eingerichtet. Diese sahen die Auflösung des Parlamentes durch den Fürsten vor.

Im Deutschen Kaiserreich regelte Artikel 24 der Verfassung, dass zu einer Auflösung des Reichstags ein Beschluss des Bundesrates und die Zustimmung des Kaisers notwendig sei. In der Praxis ging die Entscheidung aber vom Reichskanzler aus.

In der Weimarer Verfassung konnte der Reichspräsident den Reichstag gemäß Artikel 25 allein auflösen, wenn auch offiziell nur je einmal aus demselben Grund. Diese Einschränkung war in der Praxis unbedeutend. In der Weimarer Zeit wurde jeder Reichstag vorzeitig aufgelöst.[8]

Bundesrepublik Deutschland

Bei der Gründung der Bundesrepublik 1948/1949 sah man die Weimarer Regelung als schädlich an, da die Parlamentsauflösung zu leicht gemacht worden sei. Darum darf sich der Bundestag laut Grundgesetz nicht einfach selbst auflösen, noch darf dies allein der Bundespräsident oder die Regierung. Der Bundestag kann seither nur noch in zwei Fällen aufgelöst werden:

  1. Scheitern der Kanzlerwahl (Art. 63 Abs. 4 GG): Wenn kein Kandidat für das Amt des Bundeskanzlers die absolute Mehrheit im Bundestag (die sogenannte Kanzlermehrheit) erhält, erfolgt ein weiterer Wahlgang, in der die relative Mehrheit ausreicht (gewählt ist also der Kandidat mit den meisten Stimmen). Wir so ein Bundeskanzler gewählt, der folglich keine stabile Mehrheit im Bundestag hat, kann der Bundespräsident innerhalb von einer Woche entscheiden, ihn dennoch zu ernennen oder den Bundestag aufzulösen.
  2. Scheitern der Vertrauensfrage (Art. 68 GG):
(1) Findet ein Antrag des Bundeskanzlers, ihm das Vertrauen auszusprechen, nicht die Zustimmung der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages, so kann der Bundespräsident auf Vorschlag des Bundeskanzlers binnen einundzwanzig Tagen den Bundestag auflösen. Das Recht zur Auflösung erlischt, sobald der Bundestag mit der Mehrheit seiner Mitglieder einen anderen Bundeskanzler wählt.

Der erste Fall ist noch nie eingetreten, da stets der vom Bundespräsidenten präsentierte Kanzlerkandidat mit absoluter Mehrheit gewählt wurde.[9] Den zweiten Fall gab es in den Jahren 1972, 1983, 2005 und 2024. Brandt, Kohl, Schröder und Scholz nutzten das Instrument der Vertrauensfrage, um den Bundestag aufzulösen. Teile der Regierungsfraktionen stimmten nach Absprache nicht für die Aussprache des Vertrauens, sodass die Vertrauensfrage durch die Stimmen der Opposition scheiterte und der Bundespräsident den Bundestag auflösen konnte. Der Bundespräsident folgte dem Wunsch von Kanzler und Parlamentsmehrheit und löste den Bundestag auf.[10]

Löst der Bundespräsident den Bundestag auf, so müssen nach Art. 39 Abs. 1 Satz 3 Grundgesetz Neuwahlen innerhalb von 60 Tagen stattfinden.

Bundesländer

Auf Landesebene ist, anders als auf Bundesebene, die Möglichkeit der Selbstauflösung des Parlaments verbreitet. So löste sich der Hessische Landtag am 19. November 2008 auf und ermöglichte somit die Neuwahl am 18. Januar 2009. Für vorgezogene Neuwahlen wird ein Beschluss des Landtages, des Landtagspräsidenten oder des Ministerpräsidenten auf Auflösung des Landtages und vorzeitige Beendigung der Wahlperiode benötigt. Die Landtagswahl in Schleswig-Holstein am 6. Mai 2012 wurde nach Abbruch der Legislaturperiode durch das Landesverfassungsgericht vom 30. August 2010 nötig.

Vereinigtes Königreich

Im Vereinigten Königreich hat der Premierminister das Recht, den Monarchen jederzeit um eine vorzeitige Auflösung des Parlamentes zu bitten.[11] Dies erlaubt der Regierung, die Wahl zu dem Zeitpunkt anzusetzen, der ihr am erfolgversprechendsten erscheint.[12][13] 2011 bis 2022 dauerte die Amtsperiode des Parlamentes jedoch aufgrund des Fixed-term Parliaments Act 2011 grundsätzlich fünf Jahre. Vorgezogene Neuwahlen waren damals nur noch unter engen Bedingungen möglich.[g 15]

Österreich

Der Nationalrat kann entweder sich durch einfaches Gesetz selbst auflösen oder vom Bundespräsidenten aufgelöst werden.[14] Selbstauflösungen durch einen Neuwahl-Beschluss sind bereits öfters vorgekommen. Der Bundespräsident hat erst einmal von seinem Auflösungsrecht Gebrauch gemacht, und zwar im Jahr 1930.[15] Auch die Landtage der einzelnen Bundesländer haben ein Selbstauflösungsrecht.

Einzelnachweise

Literatur

  1. Elliot BULMER: Dissolution of Parliament. IDEA, Institute for Democracy and Electoral Assistance, abgerufen am 4. Januar 2025.
  2. Parlamentsauflösung ermöglicht vorgezogene Neuwahlen nach Proporz. Abgerufen am 4. Januar 2025.
  3. Oonagh Gay, Vaughne Miller, Jon Lunn, Arabella Thorp: Fixed term parliaments- early dissolution arrangements. Parliament and Constitution Centre, 2. Juni 2010, Standard Note SN/PC/05530 (englisch, parliament.uk [PDF; abgerufen am 22. Oktober 2018]).
  4. Elliot BULMER: Dissolution of Parliament. IDEA, Institute for Democracy and Electoral Assistance, abgerufen am 4. Januar 2025.
  5. Dissolving the Knesset: A Historical Survey. 2022, abgerufen am 4. Januar 2025 (englisch).
  6. Art. 193 BV Totalrevision – Bundesverfassung. In: Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft. Abgerufen am 18. Mai 2019.
  7. Hanns-Jürgen Wiegand: Direktdemokratische Elemente in der deutschen Verfassungsgeschichte (= Juristische Zeitgeschichte: Allgemeine Reihe. Nr. 20). BWV, 2006, ISBN 978-3-8305-1210-3, S. 95–96 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
  8. Horst Möller: Die Weimarer Republik: Demokratie in der Krise. Piper eBooks, München 2018, ISBN 978-3-492-99049-3, Abschnitt 9, S. 159, urn:nbn:de:101:1-2018100403311451575582 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
  9. Martin Fehndrich: Wahl des deutschen Bundeskanzlers – Kanzlerwahl. In: Wahlrecht.de. 14. März 2018, abgerufen am 21. Oktober 2018.
  10. Heinrich Oberreuter: Vertrauensfrage. In: Uwe Andersen, Wichard Woyke (Hrsg.): Handwörterbuch des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland. 7. Auflage. Springer VS, Heidelberg (bpb.de [abgerufen am 21. Oktober 2018]).
  11. Peter Hennessy, Baron Hennessy of Nympsfield: The role and powers of the Prime Minister. 21. Februar 2011, abgerufen am 21. Oktober 2018 (englisch).
  12. Petra Schleiter: Why the Fixed-term Parliaments Act should not be repealed. In: The Oxford University Politics Blog. 21. Oktober 2014, abgerufen am 21. Oktober 2018 (englisch).
  13. Search Dissolution and Calling of Parliament Act 2022. Abgerufen am 24. September 2024.
  14. Bundes-Verfassungsgesetz Art. 29. In: Rechtsinformationssystem der Republik Österreich. 1. Januar 2004, abgerufen am 18. Mai 2019.
  15. Christian Böhmer: Warum Thomas Klestil zurückschreckte, das Parlament zu entlassen. In: kurier.at. 31. März 2016, abgerufen am 20. Mai 2019.

Gesetze

  1. Art. 12 der französischen Verfassung vom 4. Oktober 1958, Stand 21. Oktober 2018 (französisch)
  2. Art. 29 Bundes-Verfassungsgesetz, Stand 1. Januar 2004
  3. Art. 57 Verfassung des Kantons Bern, Stand 11. März 2015
  4. Art. 27 Verfassung des Kantons Uri, Stand 6. Juni 2018
  5. Art. 26 Verfassung des Kantons Schaffhausen, Stand 2. März 2011
  6. Art. 27 Verfassung des Kantons Solothurn, Stand 3. März 2016
  7. § 25 Verfassung des Kantons Thurgau, Stand 5. Dezember 2017
  8. Art. 43 Verfassung des Landes Baden-Württemberg, Stand 21. Oktober 2018
  9. Art. 18 Verfassung des Freistaates Bayern in der Fassung der Bekanntmachung vom 15. Dezember 1998 (GVBl. S. 991, 992, BayRS 100-1-I), die zuletzt durch Gesetze vom 11. November 2013 (GVBl. S. 638, 639, 640, 641, 642) geändert worden ist
  10. Art. 62 Verfassung von Berlin, Stand 21. Oktober 2018
  11. Art. 76 Verfassung des Landes Brandenburg, Stand 21. Oktober 2018
  12. Art. 76 Verfassung der Freien Hansestadt Bremen (PDF; 521 kB) Stand 21. Oktober 2018
  13. Art. 109 Verfassung für Rheinland-Pfalz (Memento des Originals vom 4. Oktober 2020 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.rlp.de (PDF; 185 kB) Stand 21. Oktober 2018
  14. Die teutsche Bundesacte vom 8. Juny 1815. In: Karl Heinrich Ludwig Pölitz (Hrsg.): Die Constitutionen der europäischen Staaten seit den letzten 25 Jahren. Band 2. F. A. Brockhaus, Leipzig/Altenburg 1817, S. 93–104 (Wikisource).
  15. Fixed-term Parliaments Act 2011. (englisch, gov.uk).
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