Gewöhnliche Vogelmiere

Gewöhnliche Vogelmiere

Gewöhnliche Vogelmiere (Stellaria media)

Systematik
Ordnung: Nelkenartige (Caryophyllales)
Familie: Nelkengewächse (Caryophyllaceae)
Unterfamilie: Alsinoideae
Tribus: Alsineae
Gattung: Sternmieren (Stellaria)
Art: Gewöhnliche Vogelmiere
Wissenschaftlicher Name
Stellaria media
(L.) Vill.
Habitus
Stängel mit Laubblättern
Der Stängel ist bei Stellaria media subsp. nedia einzeilig behaart
Blüte
Stellaria media, Früchte und Samen

Die Gewöhnliche Vogelmiere (Stellaria media), auch Vogel-Sternmiere, Hühnerdarm, Hühnerscherbe[1], Mäusegedärme oder Hustdarm[2] genannt, ist eine Pflanzenart der Familie der Nelkengewächse (Caryophyllaceae). Die Bezeichnung Darm erklärt sich nicht, wie Aichele und Golte-Bechtle meinen[3], auf den krichenden runden und gewundenen Stängel, sondern darauf, dass, wenn man den Stängel auseinander zieht, so erscheint der innere Teil wie ein weißer Darm.[4]

Die Gewöhnliche Vogelmiere ist als Kosmopolit weltweit verbreitet. Ihre Anpassungsfähigkeit resultiert aus dem gewöhnlich polyploiden Chromosomensatz und zeigt sich auch im Formenreichtum der Sippe. Das weit verbreitete „Unkraut“ kann als Wildgemüse und Heilpflanze verwendet werden.

Beschreibung

Die Gewöhnliche Vogelmiere ist eine einjährige krautige Pflanze. Ihre niederliegenden 3 bis 40 cm langen Stängel bilden oft kleinere Rasenteppiche aus. Der Querschnitt des meist einreihig behaarten Stängels ist rund. Die Laubblätter sind eiförmig und spitz. Die im unteren Stängelbereich wachsenden Blätter sind gewöhnlich kurz gestielt, die oberen Blätter sitzen dem Stängel direkt an.

Die Blüten stehen in wenigblütigen, doldenartigen Dichasien. Sie haben sowohl fünf Kelchblätter als auch fünf Kronblätter, besitzen also ein doppeltes Perianth. Die Kronblätter überragen die Kelchblätter kaum. Die fast bis zum Grund tief zweigeteilten weißen Kronblätter sind etwa 3 bis 5 mm lang und breit lanzettlich zugeschnitten. Manchmal fehlen sie auch ganz. Im Blütenzentrum stehen drei Griffel, die von etwa drei bis zehn Staubblättern mit violetten Staubbeuteln umgeben werden. Bei milder Witterung oder an geschützten Stellen bleibt die Blühfähigkeit der Pflanze das ganze Jahr über erhalten.

Die fünf- oder sechsklappige Kapselfrucht ist etwa 3 bis 5 mm lang und hängt abwärts gekrümmt am Fruchtstiel. Die rötlich braunen Samen haben einen Durchmesser von 0,9 bis 1,3 mm und flache stumpfe Höcker.[5][6]

Die Chromosomenzahl beträgt 2n = 40, 42 oder 44.[5]

Pollen in Glycerin 400x
Pollen von Stellaria media, 400x

Ökologie

Vogelmiere

Die Vogelmiere ist ein sommerannueller Kriech-Therophyt oder eine winterannuelle, seltener zweijährige Pflanze mit spindelförmiger Flachwurzel. Die Keimblätter und Laubblätter führen Schlafbewegungen aus und zeigen eine Tag-/Nachtstellung. Sie entfalten sich bei trockenem Wetter gegen neun Uhr morgens und blühen bis zum Abend. Bei feuchter Witterung bleiben die Blüten zusammengezogen.

Die Haarlinie am Stängel, ein charakteristisches Erkennungsmerkmal, unterstützt die Pflanze bei der Wasserversorgung. Tautropfen laufen entlang dieser Linie zum nächstgelegenen Blattpaar, wo bei Bedarf etwas Wasser aufgenommen wird. Das Restwasser wird über die Haarlinie nach unten weitergeleitet.

Die Blüten sind kleine, weiße „Nektar führende Scheibenblumen“. Nektar wird am Grund der Staubblätter abgesondert, und zwar nur bei sonnigem Wetter. Der Insektenbesuch ist spärlich. Als Bestäuber findet man Hautflügler, Zweiflügler und Fransenflügler (Thysanoptera). Da die Blüten zwittrig sind, findet meist Selbstbestäubung statt, indem sich die Staubblätter zur Narbe hinkrümmen.

Die Früchte sind gedunsene Kapseln, die als Selbstausstreuer ihre Samen ausstreuen. Ameisen breiten die papillösen Samen nach dem Ausstreuen weiter aus. Daneben findet auch eine Ausbreitung durch den Menschen statt, z. B. über Erde bei Gartenarbeiten und durch Anhaftung der Samen an Schuhen.

Die Vogelmiere ist ein Archäophyt, begleitet den Menschen seit der Steinzeit und kommt heute in den gemäßigten Breiten weltweit vor.

Sie ist sehr ausbreitungs- und vermehrungsfreudig und überzieht frisch bearbeitete Böden schnell mit einem Rasen. Eine Pflanze kann bis zu 15.000 Samen bilden, pro Jahr können darüber hinaus zwei bis drei Generationen wachsen. Selbst im Winter können neue Pflanzen aus den gekeimten Samen entstehen. Nach Reinöhl (1903) dauert die Keimruhe 50 Tage. Von der Keimung bis zur ersten Blüte sind 42 Tage nötig.[7] Das Kraut und die Samen werden gern von Vögeln gefressen, worauf auch der deutsche Trivialname Bezug nimmt. Sommerexemplare überleben etwa fünf Monate lang, überwinternde Pflanzen rund ein Jahr. Auch eine vegetative Vermehrung durch abgerissene Stängelteile, die sich bewurzeln, ist möglich.

Die Vogelmiere wird meist als „Unkraut“ bezeichnet, doch ist ihr Nutzen gerade in Kulturen wie Weinbergen und Gärten nicht zu unterschätzen, da die dichten, flachen und bis zu 40 cm langen Ausläufer den Boden im Sommer vor Austrocknung, im Winter vor direkter Kälteeinwirkung schützen und allgemein erosionsmindernd wirken.

Auf der anderen Seite tritt die Vogelmiere vor allem in Wintergetreide – seltener im Sommergetreide –, im Mais- und Kartoffelanbau sowie im Grünland als Schädling auf. Sie ist Vektor für Blattläuse (Myzus persicae und Aphis fabae), die das Gurkenmosaikvirus übertragen können.

Vorkommen

Die Vogelmiere ist weltweit verbreitet. Ursprüngliche Vorkommen hat sie in Eurasien und im nördlichen Afrika. In Amerika ist sie ein Neophyt; in Australien fehlt sie.[8] Sie kommt häufig in lückigen Unkrautfluren, auf Äckern, in Gärten und Weinbergen, an Wegen, Schuttplätzen und an Ufern vor. Sie bevorzugt feuchte, nährstoffreiche Böden, die auch im Schatten liegen können. Verbreitet ist sie von der Ebene bis ins Gebirge. In den Allgäuer Alpen steigt sie im Tiroler Teil auf dem Gipfel der Jöchelspitze auf Schaflägern bis zu 2226 m Meereshöhe auf.[9] Im Kanton Wallis erreicht sie 2694 Meter.[4]

Die ökologischen Zeigerwerte nach Landolt et al. 2010 sind in der Schweiz: Feuchtezahl F = 3 (mäßig feucht), Lichtzahl L = 3 (halbschattig), Reaktionszahl R = 3 (schwach sauer bis neutral), Temperaturzahl T = 3 (montan), Nährstoffzahl N = 4 (nährstoffreich), Kontinentalitätszahl K = 3 (subozeanisch bis subkontinental).[10]

Nach Ellenberg ist sie ein Schwachsäure- bis Schwachbasenzeiger, ein ausgesprochener Stickstoffzeiger und eine Ordnungscharakterart nährstoffreicher Acker- und Garten-Beikrautfluren (Polygono-Chenopodietalia), kommt aber auch in Gesellschaften der Klassen Secalietea oder Bidentetea vor.[11]

Zeigerwerte nach Ellenberg

Faktor Wert Skala Benennung/Erläuterung
Lichtzahl 6 1–9 Halbschatten- bis Halblichtpflanze
Temperaturzahl X 1–9 indifferent
Kontinentalitätszahl X 1–9 indifferent
Feuchtezahl 4 1–12 Trocknis- bis Frischezeiger
Reaktionszahl 7 1–9 Schwachsäure bis Schwachbase
Stickstoffzahl 8 1–9 ausgesprochener Stickstoffzeiger
Lebensform T - Therophyt

Taxonomie und Systematik

Die Gewöhnliche Vogelmiere wurde 1753 durch Carl von Linné in Species Plantarum Band 1, Seite 272 als Alsine media erstbeschrieben. Die Art wurde 1789 durch Dominique Villars in Histoire des Plantes de Dauphiné Band 3, Seite 615 als Stellaria media (L.) Vill. in die Gattung Stellaria gestellt. Schon vorher hatte Domenico Maria Leone Cirillo 1784 die Art in Essentialibus nonnullarum Plantarum Characteribus Commentarius Seite 36, die Art zur Gattung Stellaria gerechnet, hatte aber die Neukombination Stellaria media (L.) Cirillo nicht ausgeführt.[12]

Unter der Artengruppe Vogelmiere (Stellaria media agg.) werden folgende Arten zusammengefasst:

  • Gewöhnliche Vogelmiere (Stellaria media (L.) Vill. s. str.) mit den Synonymen Alsine media L. und Stellaria media subsp. media
  • Großblütige Vogelmiere oder Auwald-Sternmiere (Stellaria neglecta Weihe)
  • Bleiche Vogelmiere (Stellaria pallida (Dumort.) Crepin)

Es können folgende Unterarten unterschieden werden:[13]

  • Stellaria media subsp. cupaniana (Jord. & Fourr.) Nyman (Syn.: Stellaria cupaniana (Jord. & Fourr.) Bég.): Sie kommt in Marokko, Tunesien, Frankreich, Italien, Sardinien, Sizilien, Korsika und den Balearen, Albanien, Nordmazedonien, Griechenland, Kreta, in der Ägäis, Zypern, in der Türkei und im Gebiet von Jordanien, Syrien und dem Libanon vor. In Spanien ist die Ursprünglichkeit zweifelhaft.[13] Bei dieser Unterart sind die Stängel rundum behaart und nicht einreihig behaart.[14]
  • Stellaria media subsp. media
  • Stellaria media subsp. romana Beger: Sie kommt nur in Italien vor.[13]

Variabilität

Nach einer Untersuchung von Friedrich Reinöhl (1903) an 80 000 untersuchten Blüten schwankt die Zahl der Staubblätter zwischen 0 und 11. Die Hauptwerte sind 3 oder 5. Bei geringer Beleuchtung ist die Anzahl geringer, auf gutem Boden bei kräftiger Düngung ist sie höher.[4]

Verwendung

Der Vogelmiere werden schmerzlindernde Heilpflanzenqualitäten zugeschrieben. Neben den möglichen Heilwirkungen verfügt diese Pflanze auch über einen Wert als Nahrungs- beziehungsweise Genussmittel. Ihr Geschmack erinnert an jungen rohen Mais. Bereits 50 Gramm Vogelmierensalat entsprechen in etwa dem täglichen Vitamin-C-Bedarf eines Erwachsenen. Aufgrund des Saponingehalts sollten jedoch nicht zu große Mengen verspeist werden.

Als Inhaltsstoffe sind Vitamine, Saponine, Flavonoide, Cumarine, Mineralien, Oxalsäure, Zink und ätherische Öle bekannt. In der Naturheilkunde findet es vielfältige Anwendung. So wird ein Extrakt der frischen Pflanze zur Behandlung von Rheumatismus und Gelenkschmerzen verwendet. Als Tee ist es zur äußeren und inneren Anwendung im Gebrauch. Man kann sie auch als Frischfutterzusatz für Ziervögel und Nagetiere benutzen.

Vogelmiere enthält doppelt so viel Calcium, dreimal so viel Kalium und Magnesium sowie siebenmal so viel Eisen wie Kopfsalat.

In der Volksmedizin wird sie bei Erkrankungen der Atemwege eingesetzt, außerdem soll sie gegen Entzündungen, Schmerzen, Krämpfe, Leberbeschwerden, Rheuma und Blasenerkrankungen helfen und allgemein der Reinigung und Stärkung des gesamten Organismus dienen. Es können alle Pflanzenteile verwendet werden.[15]

Auf Grund der starken Vermehrung und der frühzeitigen Samenbildung wird sie jedoch häufig als besonders lästiges Unkraut betrachtet.

Siehe auch: Hain-Sternmiere

Quellen

Literatur

  • Erich Oberdorfer: Pflanzensoziologische Exkursionsflora für Deutschland und angrenzende Gebiete. Unter Mitarbeit von Angelika Schwabe und Theo Müller. 8., stark überarbeitete und ergänzte Auflage. Eugen Ulmer, Stuttgart (Hohenheim) 2001, ISBN 3-8001-3131-5.
  • Heinz Ellenberg: Vegetation Mitteleuropas mit den Alpen in ökologischer, dynamischer und historischer Sicht (= UTB für Wissenschaft. Große Reihe. Band 8104). 5., stark veränderte und verbesserte Auflage. Eugen Ulmer, Stuttgart (Hohenheim) 1996, ISBN 3-8252-8104-3.
  • Ruprecht Düll, Herfried Kutzelnigg: Taschenlexikon der Pflanzen Deutschlands. Ein botanisch-ökologischer Exkursionsbegleiter zu den wichtigsten Arten. 6., völlig neu bearbeitete Auflage. Quelle & Meyer, Wiebelsheim 2005, ISBN 3-494-01397-7.
  • Gerhard Leuchs: Mehr als nur ein Unkraut. In: Nürnberger Nachrichten. 14./15. Juni 2008.
  • Steckbrief bei Heilkräuterinfo
  • Kraut und Rüben (Memento vom 3. März 2010 im Internet Archive): Info zu Inhaltsstoffen und Verwendung
  • Friedrich Reinöhl: Die Variation im Andröceum der Stellaria media Cyr. Diss. Tübingen 1903. Auch in: Botan. Zeitung, Band 61, S. 159–200, 1903.

Einzelnachweise

  1. Angela Kern: "Heilpflanzen im Garten und Brauchtum. 1996, abgerufen am 19. August 2014.
  2. Nachweis der alternativen Bezeichnung „Hustdarm“ im Pfälzer Wörterbuch der Universität Trier
  3. Dietmar Aichele, Marianne Golte-Bechtle: Was blüht denn da? Wildwachsende Blütenpflanzen Mitteleuropas. 54. Auflage. Stuttgart 1991, S. 40.
  4. a b c Hans-Christian Friedrich: Familie Caryophyllaceae . In Gustav Hegi: Illustrierte Flora von Mitteleuropa. 2. Auflage Band III, Teil 2, Seite 887–890. Verlag Paul Parey, Berlin, Hamburg 1979. ISBN 3-489-60020-7
  5. a b Chen Shilong, Richard K. Rabeler: Stellaria. In: Wu Zhengyi, Peter H. Raven, Deyuan Hong (Hrsg.): Flora of China. Volume 6: Caryophyllaceae through Lardizabalaceae. Science Press / Missouri Botanical Garden Press, Beijing / St. Louis 2001, ISBN 1-930723-05-9, S. 15 (englisch)., PDF-Datei, online (engl.).
  6. Oskar Sebald: Wegweiser durch die Natur. Wildpflanzen Mitteleuropas. ADAC Verlag, München 1989, ISBN 3-87003-352-5, S. 78.
  7. Siegmund Seybold: "Caryophyllaceae." In: Oskar Sebald et al.: Die Farn- und Blütenpflanzen Baden-Württembergs. 2. Auflage, Band 1, Verlag Eugen Ulmer, Stuttgart 1993. ISBN 3-8001-3322-9, S. 384–385.
  8. Datenblatt Stellaria media bei POWO = Plants of the World Online von Board of Trustees of the Royal Botanic Gardens, Kew: Kew Science.
  9. Erhard Dörr, Wolfgang Lippert: Flora des Allgäus und seiner Umgebung. Band 1, IHW, Eching 2001, ISBN 3-930167-50-6, S. 492.
  10. Stellaria media (L.) Vill. In: Info Flora, dem nationalen Daten- und Informationszentrum der Schweizer Flora. Abgerufen am 14. Oktober 2024.
  11. Erich Oberdorfer: Pflanzensoziologische Exkursionsflora für Deutschland und angrenzende Gebiete. 8. Auflage, Seite 373. Stuttgart, Verlag Eugen Ulmer, 2001. ISBN 3-8001-3131-5
  12. The International Plant Names Index. [1]
  13. a b c Karol Marhold (2011+): Caryophyllaceae: Datenblatt Stellaria media In: Euro+Med Plantbase - the information resource for Euro-Mediterranean plant diversity.
  14. A.O.Chater, V.H.Heywood: Stellaria L. In: Thomas Gaskell Tutin u. a.: Flora Europaea. 2. Auflage, Band 1, Seite 162. Cambridge University Press 1993. ISBN 0-521-41007-X
  15. Steffen Guido Fleischhauer, Jürgen Guthmann, Roland Spiegelberger: Essbare Wildpflanzen 200 Arten bestimmen und verwenden. 17. Auflage. AT Verlag, 2015, ISBN 978-3-03800-886-6, S. 57 f.

Weiterführende Literatur

  • Margot Spohn, Marianne Golte-Bechtle: Was blüht denn da? Die Enzyklopädie: über 1000 Blütenpflanzen Mitteleuropas. Kosmos, Stuttgart 2005, ISBN 3-440-10326-9.
  • Rolf Wisskirchen, Henning Haeupler: Standardliste der Farn- und Blütenpflanzen Deutschlands. Mit Chromosomenatlas. Hrsg.: Bundesamt für Naturschutz (= Die Farn- und Blütenpflanzen Deutschlands. Band 1). Eugen Ulmer, Stuttgart (Hohenheim) 1998, ISBN 3-8001-3360-1.
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