Antikette

Antikette ist ein mathematischer Begriff aus dem Teilgebiet der Mengenlehre und gehört in das Begriffsfeld der Ordnungsrelation. In der englischsprachigen Literatur entspricht ihm der Begriff antichain, manchmal auch als Sperner family oder Sperner system bezeichnet.

Der Begriff Antikette gehört ebenso wie der Begriff der Kette zum Kernbestand desjenigen Teils der Mathematik, der sich mit Fragestellungen zu Ordnungsrelationen befasst. Hier ist neben der Mengenlehre insbesondere die Kombinatorik der endlichen halbgeordneten Mengen (englisch combinatorial order theory) zu erwähnen. Zu den zentralen Ergebnissen zählen Sätze wie der Satz von Sperner, der Satz von Dilworth, der Heiratssatz und viele weitere.

Klärung des Begriffs

Definition

Eine Teilmenge einer Halbordnung heißt Antikette, falls für zwei verschiedene Elemente weder noch gilt.

Veranschaulichung

Betrachtet man die Ordnungsrelation nur innerhalb der Teilmenge , so findet man dort keine zwei miteinander in Relation stehenden Elemente. Innerhalb der Antikette ist also die Situation entgegengesetzt der Situation, welche in einer Kette der Halbordnung gegeben ist.

Vom Begriff der Antikette erhält man eine gute Anschauung bei Betrachtung des Hasse-Diagramms der halbgeordneten Menge . Antiketten erkennt man im Hasse-Diagramm als solche Teilmengen, für die keine zwei Elemente durch einen Kantenzug verbunden sind.

Die Schnittmenge einer Antikette mit einer Kette hat stets die Mächtigkeit , besteht also stets aus höchstens einem Element. So lässt sich der Begriff demnach auch fassen: Eine Teilmenge einer halbgeordneten Menge ist genau dann eine Antikette, wenn sie keine Kette von in zwei oder mehr Elementen schneidet.

Beispiele

Die reellen Zahlen

Die reellen Zahlen bilden mit der gewöhnlichen strengen Ordnung eine Kette. Die einzigen Antiketten sind die trivialen: Die leere Menge und die einelementigen Teilmengen.

Die Primzahlen

Man betrachte die natürlichen Zahlen als Trägermenge und als Ordnungsrelation die bekannte Teilerrelation. Für zwei natürliche Zahlen und ist also gleichbedeutend damit, dass Teiler von ist, also dass es eine natürliche Zahl gibt, sodass gilt.

Nach dieser Maßgabe ist in dieser halbgeordneten Menge zum Beispiel die Menge aller Primzahlen eine Antikette.

Die Teiler von 60

Als Trägermenge wähle man die Menge der Teiler von 60 und als Ordnungsrelation wieder die Teilerrelation. Dann ist eine Antikette von .

Mengen von endlichen Mengen derselben Mächtigkeit

Man betrachte ein beliebiges Mengensystem über der Grundmenge . Als Ordnungsrelation wähle man die Inklusionsrelation .

Für setze , also ist das System der -elementigen Teilmengen von . Dann ist jedes Antikette von .

Orbits

Die Automorphismengruppe der halbgeordneten Menge operiert als Untergruppe der symmetrischen Gruppe in natürlicher Weise auf , indem als Verknüpfung für und genommen wird.

Die dadurch gegebenen Orbits mit sind im Falle, dass endlich ist, stets Antiketten von .[1]

Die Spernerzahl

Definition

Die Spernerzahl (englisch Sperner number) der geordneten Menge ist definiert als das Supremum der Mächtigkeiten aller in vorkommenden Antiketten. Die Spernerzahl wird heute üblicherweise mit dem Buchstaben bezeichnet, entsprechend der Gepflogenheit in der englischsprachigen Literatur.

In der deutschsprachigen Literatur wird die Spernerzahl von (entsprechend dem dafür in der englischsprachigen Literatur auch geläufigen Terminus width) manchmal auch die Breite von genannt.

Formale Darstellung

Wenn aus dem Kontext klar ist, um welche geordnete Menge es sich handelt, schreibt man kurz und einfach .

Erläuterung

Die Spernerzahl ist stets höchstens so groß wie die Mächtigkeit der Trägermenge von . Im Falle, dass eine endliche Menge ist, ist auch die Spernerzahl endlich und damit eine natürliche Zahl. Dann wird das Supremum angenommen und es gilt:

Beispiele

Die reellen Zahlen

hat wie jede nichtleere Kette .

Die Teiler von 60

Die oben angegebene Antikette (siehe Hasse-Diagramm) ist die größtmögliche. Also gilt hier .

Die Potenzmengen

Für die Potenzmenge einer endlichen Menge mit Elementen gilt stets . Denn genau dies besagt der Satz von Sperner.[2]

Für unendliches der Mächtigkeit gilt .[3]

Verbandseigenschaften

Erklärung

Das System der Antiketten von ist stets nichtleer und trägt die folgende Ordnungsrelation, welche die Ordnungsrelation von in natürlicher Weise auf fortsetzt:

Für zwei Antiketten ist dann und nur dann, wenn zu jedem ein existiert mit .

Die so definierte Ordnungsrelation, welche ebenfalls mit bezeichnet wird, gibt auf diesem Wege dem Antikettensystem die Struktur eines distributiven Verbands.[4]

Das Resultat von Dilworth

Bei endlichem liegt nun ein spezielles Augenmerk auf dem Teilsystem der Antiketten maximaler Größe:

Hier gilt nämlich das folgende fundamentale Resultat von Robert Dilworth:[5][6][7]

Bei endlichem ist Unterverband von , wobei die zugehörigen Verbandsoperationen und die folgende Darstellung haben:
(1)
(2)
( )

Dabei wird mit bzw. mit für die Teilmenge derjenigen Elemente von bezeichnet, welche bzgl. der induzierten Ordnungsrelation innerhalb minimal bzw. maximal sind.

Das Resultat von Kleitman, Edelberg, Lubell und Freese und der Satz von Sperner

Als Folgerung ergibt sich:[8][9]

Eine endliche geordnete Menge enthält stets eine Antikette maximaler Größe, welche von allen Automorphismen auf sich selbst abgebildet wird.

Oder anders ausgedrückt:

Eine endliche geordnete Menge enthält stets eine Antikette maximaler Größe, welche als Vereinigung gewisser Orbits mit darstellbar ist.

Hierdurch gelangt man auf direktem Wege zum Satz von Sperner. Denn im Falle, dass mit endlicher Grundmenge ist, sind die Orbits identisch mit den Mächtigkeitsklassen .[10][11]

Anzahl der Antiketten endlicher Potenzmengen

Auf Richard Dedekind geht das Problem zurück, für und die Anzahl aller Antiketten der Potenzmenge zu bestimmen. Dieses Problem bezeichnet man daher als Dedekind-Problem (englisch Dedekind’s problem) und die Zahlen als Dedekind-Zahlen (englisch Dedekind numbers).[12][13][14]

Die Zahl ist (im Wesentlichen[15]) identisch mit der Anzahl der monoton wachsenden surjektiven Funktionen von nach und genauso identisch mit der Anzahl der freien distributiven Verbände mit erzeugenden Elementen.[12][16]

Da diese Zahlen ein erhebliches Wachstum aufweisen, ist die exakte Bestimmung von bislang allein für gelungen:[17][18]

[19]

Für eine Einschätzung der Größenordnung des Wachstums der kennt man jedoch untere und obere Schranken, so zum Beispiel die folgenden, welche auf die Arbeit des Mathematikers Georges Hansel aus dem Jahre 1966 zurückgeht:[12]

Wie Daniel J. Kleitman und George Markowsky in 1975 zeigten, lässt sich die genannte obere Schranke weiter verschärfen zu:

[20]

und man kennt sogar noch bessere Schranken.[21]

Das Dedekind-Problem ist noch ungelöst. Dem bedeutenden ungarischen Mathematiker Paul Erdős (1913–1996) wird die Bemerkung zugeschrieben, das Problem sei für dieses Jahrhundert zu schwer.[22] Zwar legte der polnische Mathematiker Andrzej P. Kisielewicz im Jahre 1988 eine korrekte Formel vor. Diese gilt jedoch als nutzlos, da mit ihr selbst die Verifikation der schon bekannten Dedekind-Zahlen aus Gründen des Rechenaufwands nicht möglich ist.[18]

Abgrenzung des Begriffs

In der Mengenlehre wird der Begriff der Antikette teilweise auch anders benutzt. Die Antiketteneigenschaft wird in gewissen Zusammenhängen an die Inkompatibilität zweier verschiedener Elemente geknüpft oder bei Booleschen Algebren an Disjunktheitsbedingungen. Über Einzelheiten gibt die Monographie von Thomas Jech Auskunft.[23]

Literatur

Originalarbeiten

Monographien

Einzelnachweise

  1. Scholz: S. 3.
  2. Sperner: Math. Z. Band 27, 1928, S. 544 ff.
  3. Siehe Harzheim: Ordered Sets. Theorem 9.1.25, S. 296; allerdings setzt letzteres Ergebnis das Auswahlaxiom voraus.
  4. Kung-Rota-Yan: S. 130.
  5. Dilworth: Proceedings of Symposia in Applied Mathematics. 1958, S. 88 ff.
  6. Greene-Kleitman: J. Comb. Theory (A). Band 20, 1993, S. 45.
  7. Kung-Rota-Yan: S. 131.
  8. Kleitman-Edelberg-Lubell: Discrete Math. Band 1, 1971, S. 47 ff.
  9. Freese: Discrete Math. Band 7, 1974, S. 107 ff.
  10. Greene / Kleitman: Studies in Combinatorics. 1978, S. 27 ff.
  11. Scholz: S. 6 ff.
  12. a b c Greene-Kleitman: Studies in Combinatorics. 1978, S. 33.
  13. Ganter: S. 42–46.
  14. Kung-Rota-Yan: S. 147.
  15. Wenn man die beiden einelementigen Antiketten und nicht berücksichtigt.
  16. Die Anzahl der freien distributiven Verbände mit Erzeugenden bezeichnet man mit oder auch mit . Es ist also .
  17. Stand: 2013
  18. a b Ganter: S. 43.
  19. Folge A000372 in OEIS
  20. ist das landausche Groß-O-Symbol.
  21. Kung-Rota-Yan: S. 147.
  22. Ganter: S. 42.
  23. Jech: S. 84 ff, 114 ff, 201 ff.