Sozialleistungsquote

Die Sozialleistungsquote (in Österreich: Sozialquote) ist eine volkswirtschaftliche Kennzahl, die angibt, welcher Anteil am Bruttoinlandsprodukt (BIP) in einem Staat für rechtlich geregelte Sozialleistungen ausgegeben wird.

Berechnung der Sozialquote

Die Sozialleistungsquote wird ermittelt, indem die Sozialleistungen dem BIP gegenübergestellt werden.

Sozialleistungen sind

  • Leistungen, die „von öffentlichen und nicht-öffentlichen Stellen für Ehe und Familie, Gesundheit, Beschäftigung, Alter und Hinterbliebene, Folgen politischer Ereignisse, Wohnen, Sparen und als Allgemeine Lebenshilfen aufgewandt werden.“[1]

Aus den folgenden Ausgaben von Staat, öffentlichen und halböffentlichen Institutionen werden die Sozialleistungen berechnet:

Welche Leistungen als Sozialleistungen eingeordnet werden sollten, wird unterschiedlich beurteilt und hat sich über die Zeit auch verändert. Seit 2009 werden z. B. auch Grundleistungen der privaten Krankenversicherung als Sozialleistungen aufgeführt, steuerliche Freibeträge werden hingegen nicht mehr als Sozialleistungen erfasst.[2] Realtransfers mit distributivem Charakter sind auch nicht Bestandteil der Sozialausgaben.[3][2]

Beeinflusst wird die Sozialquote daher statistisch von:

  • der Anzahl der Bedürftigen (z. B. Anzahl von Kranken, Arbeitslosen etc.)
  • der Höhe der sozialen Absicherung (z. B. Höhe der Sozialgelder und inwiefern medizinische Leistungen übernommen werden)
  • der Effizienz des Sozialsystems (z. B. Höhe der Verwaltungskosten und Medikamentenpreise)
  • und im Nenner von der Höhe des Bruttoinlandsproduktes (wenn das BIP-Wachstum höher als das Wachstum der Sozialausgaben ist, sinkt die Sozialquote und umgedreht)[2]

Bedeutung der Sozialleistungsquote

Die Sozialleistungsquote ist in der (verschiedene Länder) vergleichenden Wohlfahrtsstaatforschung der am häufigsten verwendete Vergleichsindikator zur Beurteilung der Leistung von Wohlfahrtsstaaten. Denn die Sozialleistungsquote zeigt, jedoch in einer sehr allgemeinen und ungenauen Form, wie viel ein Land im Vergleich zur Wirtschaftskraft für soziale Zwecke verwendet.[4] Während die Zahlen zu Ausgaben alleine nicht aussagekräftig für Vergleiche sind, lässt das Verhältnis von Sozialleistungen und dem BIP hingegen Schlussfolgerungen zum sozialen Leistungsniveau zu.[2]

Eine hohe Sozialleistungsquote deutet auf einen Sozialstaat, eine niedrige auf einen kapitalistisch orientierten Staat hin. Die Quote ist als alleiniger Indikator für den Umfang staatlicher Umverteilung nur bedingt geeignet, da sie unter anderem sehr sensibel auf eine Veränderung des BIP reagiert.[5][4] Sozialleistungen sind Ausgaben, die kaum auf konjunkturelle Entwicklungen reagieren (wie Renten) oder sich antizyklisch verhalten (Arbeitslosengeld). Eine Rezession kann daher dazu führen, dass der prozentuale Anteil von Sozialleistungen am BIP zunimmt. Die Schlussfolgerungen hieraus fallen unterschiedlich aus. So wird etwa die Ansicht vertreten, dass durch höhere Sozialleistungen im Fall der Rezession höhere staatliche Schulden entstehen können, weil das rückläufige BIP weniger Steuereinnahmen generiert.[6] Auf der anderen Seite wird darauf verwiesen, dass die Sozialleistungsquote nicht nur Belastungen/Ausgaben darstellt. Sozialleistungen bedeuten, durch die Nutzungsmöglichkeit von sozialen Diensten und Einrichtungen sowie den Zufluss von Einkommen für die Empfänger, auch ökonomische Vorteile. Es ist demnach nicht einfach, Kosten und Nutzen der Sozialleistungen (und somit der Sozialleistungsquote) zu bilanzieren. Unter anderem ist zu beurteilen, welche gesellschaftlichen Funktionen die Sozialleistungen erfüllen und welche Belastungen anfallen.[2] Zu beachten ist auch, dass die Sozialquote nur den finanziellen Einsatz, somit jedoch nicht zwangsläufig auch die Wirksamkeit und Qualität, der Sozialpolitik darstellt.[7]

Sozialleistungsquote in Deutschland

1913 betrug die Sozialleistungsquote in Deutschland 3,1 %, 1938 lag sie bei 6,0 %;[8] für Soziales wendete der Staat im Vergleich zu heutigen Industriestaaten nur wenig auf.

In der Bundesrepublik Deutschland lag die Sozialleistungsquote 1950 bei 19 %. Während noch im Jahre 1960 lediglich 18,3 % des BIP auf Sozialleistungen entfielen, beliefen sich 1975 die Sozialleistungen bereits auf 30,7 % des BIP und hatten damit für lange Zeit ihren Höchststand erreicht. Im Wendejahr 1990 lagen sie – wegen der enormen Steigerung des BIP um 9,1 % – mit 24,1 % nur leicht über dem Niveau der 1970er Jahre, um dann kontinuierlich anzusteigen. 1997 lagen sie wieder bei 29,1 %, um 2003 auf den absoluten Höchststand von 29,8 % zu klettern[9]. Dieser Höchststand erklärt sich jedoch nicht durch steigende Sozialausgaben, sondern dadurch, dass die Bezugsgröße – also das BIP- in Folge der Wirtschafts- und Finanzkrise stark zurückgegangen ist. Geht das BIP zurück, so steigt die Sozialleistungsquote trotz nominal gleichbleibender Ausgaben. Sozialkürzungen, Arbeitsmarktreformen und der wirtschaftliche Aufschwung sorgten dafür, dass 2008 die Sozialleistungsquote bei rund 27 % des BIP lag.[9] 2009 (während der Finanzkrise) stieg der Wert der Sozialleistungsquote auf 30,5 % an, allerdings wurde der Wert auch durch statistische Veränderungen beeinflusst. 2013 betrug die Quote 29,1 %.[2]

Die alten Bundesländer haben eine deutlich geringere Sozialleistungsquote als die neuen Bundesländer. Die alten Länder liegen im Jahr 2003 mit 30,3 Prozent wieder ungefähr auf der Höhe der Jahre vor der Wiedervereinigung (vgl. oben). Die neuen Länder lagen 2002 bei 48,7 Prozent. Ihre Sozialleistungsquote lag 1991 bei 49 Prozent, stieg zuerst 1992 auf 55,5 Prozent, fiel bis 1997 auf 46 Prozent und stieg seitdem bis 2003 wieder auf 49,4 Prozent an.[10] Während im bundesdeutschen Durchschnitt die Quote der Empfänger von sozialer Mindestsicherung 2012[11] bei 9 % der Gesamtbevölkerung lag, belegte Berlin mit 19,5 % den Spitzenplatz.[12]

Sozialquote in Österreich

In Österreich sind die Sozialausgaben 2022 „nach vorläufigen Berechnungen der Statistik Austria gegenüber dem Jahr davor um 1,8 Prozent auf rund 136 Milliarden Euro gestiegen. Da das Wirtschaftswachstum mit einem Plus von zehn Prozent stärker ausfiel, sank die Sozialquote – also der Anteil der Sozialausgaben am nominellen Bruttoinlandsprodukt (BIP) – auf 30,5 Prozent (2021: 32,9 Prozent).“[13]

EU-Vergleich

Sozialschutzleistungen in Europa 2009

Die Europäische Kommission berechnet die Sozialausgaben nach eigenen Kriterien, weshalb sich zum Teil Abweichungen zu den einzelnen nationalen Berechnungen ergeben können. Im EU-Vergleich ergeben sich nach den Zahlen von 2014 vergleichsweise hohe Sozialleistungsquoten unter anderem in der Ländern Frankreich, Deutschland, Dänemark, den Niederlanden und Schweden, vergleichsweise niedrige Sozialleistungsquoten unter anderem in der Ländern Polen, Lettland, Bulgarien und Irland.[7] Die Sozialleistungsquote in verschiedenen Ländern zu vergleichen ist angesichts unterschiedlicher Sozial- und Gesellschaftssysteme nur eingeschränkt möglich. Unter anderem unterliegen die Sozialleistungen in verschiedenen Ländern unterschiedlicher Besteuerung. Während etwa das Arbeitslosengeld in Deutschland steuerfrei gezahlt wird, unterliegen die entsprechenden Leistungen in den skandinavischen Ländern oder den Niederlanden der normalen Besteuerung. Hierdurch ergeben sich deutliche Unterschiede in der Brutto- und der Nettosozialquote.[14] Wofür die verschiedenen Staaten ihre Leistungen aufwenden, unterscheidet sich je nach Land zum Teil erheblich, allerdings erfolgen die finanziell höchsten Leistungen in allen EU-Ländern insgesamt für die Alterssicherung und das Gesundheitswesen.[7]

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. Detlev Zöllner, Soziale Sicherung, 1997, S. 4.
  2. a b c d e f Sozialleistungsquote 1960 - 2015, Institut Arbeit und Qualifikation der Universität Duisburg-Essen, Abruf: 18. Juli 2017
  3. Hans Wilhelm Hetzler, Verena Müller, Gerd Schienstock, Helmut Winterstein: Steigende Sozialabgaben – Eine zwangsläufige Entwicklung?, 1980, S. 10.
  4. a b Carsten G. Ullrich, Soziologie des Wohlfahrtsstaates, 2005, S. 90
  5. Christian Pfarr, Einkommen, Mobilität und individuelle Präferenzen für Umverteilung, 2013, S. 19
  6. Harold L. Wilensky, The Welfare State and Equality, Structural and Ideological Roots of Public Expenditure, 1975, S. 30 f.
  7. a b c Sozialleistungsquoten in ausgewählten EU-Ländern 2004 und 2014, Institut Arbeit und Qualifikation der Universität Duisburg-Essen, Abruf: 18. Juli 2017
  8. Karl Teppe, Zur Sozialpolitik des Dritten Reiches am Beispiel der Sozialversicherung, in: Archiv für Sozialgeschichte 17 (1977), S. 195
  9. a b Universität Duisburg Essen, Sozialpolitik aktuell, Entwicklung der Sozialleistungssysteme 1960-2012
  10. Entwicklung der Sozialleistungsquote in Deutschland von 1975 – 2003 (Memento des Originals vom 31. Januar 2012 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.sozialpolitik-aktuell.de (PDF; 134 kB) nach Zahlen des Bundesministerium für Arbeit und Soziales
  11. zu den Transferleistungen der sozialen Mindestsicherungssysteme des Staates zählen das Arbeitslosengeld II, das Sozialgeld, die Hilfe zum Lebensunterhalt außerhalb von Einrichtungen, die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung, Regelleistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz sowie laufende Leistungen der Kriegsopferfürsorge nach dem Bundesversorgungsgesetz
  12. Statistisches Landesamt Baden-Württemberg, Quote der Empfänger von Leistungen der sozialen Mindestsicherung 2012 (Memento des Originals vom 1. Februar 2014 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.statistik-bw.de
  13. ORF at/Agenturen red: Sozialausgaben 2022 weiter gestiegen. 7. Juli 2023, abgerufen am 7. Juli 2023.
  14. Andreas Kemmerling: Die Messung des Sozialstaates. Beschäftigungspolitische Unterschiede zwischen Brutto- und Nettosozialleistungsquote (PDF; 621 kB), discussion paper März 2001 (abgerufen am 14. Juli 2013)