Romeo und Julia (Prokofjew)
Romeo und Julia op. 64 (nach William Shakespeare) ist das längste und bekannteste Ballett von Sergei Prokofjew und gilt allgemein als dessen bedeutendster Beitrag zur Gattung. Die Handlung des Balletts folgt getreu jener des Theaterstücks. Das Libretto verfassten Adrian Piotrowski und Sergei Radlow unter Mitwirkung von Boris Assafjew.
Das Werk besteht aus drei Akten von jeweils ungefähr vierzig Minuten Dauer sowie einem etwa zehnminütigen Epilog. Ursprünglich sollte es vom Leningrader Kirow-Theater in Auftrag gegeben werden, doch nachdem sich die Theaterleitung kurzfristig aus dem Vorhaben zurückgezogen hatte, schrieb Prokofjew es im Sommer und Herbst 1935 im Auftrag des Bolschoi-Theaters im Gästehaus des Theaters in Polenowo bei Moskau. Uraufgeführt wurde Romeo und Julia am 30. Dezember 1938 in Brünn in der damaligen Tschechoslowakei. Bis 1946 fertigte Prokofjew insgesamt drei Suiten für Orchester sowie Klavierbearbeitungen einiger Stücke an.
Romeo und Julia stellte Prokofjews erste bedeutende Komposition seit seiner Rückkehr in die Sowjetunion dar und gilt nach wie vor als einer der Höhepunkte seines musikalischen Schaffens. Die reiche und vielfältige Instrumentierung sowie die rhythmische Komplexität der Partitur stellen immer noch Herausforderungen für Orchester und Tänzer dar. An Stellen wie dem „Machtwort des Herzogs“ (I, 1), „Romeo rächt Mercutios Tod“ (II, 3) oder dem Vorspiel zum dritten Akt erklingen in der Musik Dissonanzen an der Grenze zur Atonalität. Der berühmte „Tanz der Ritter“ (I, 2) mit seinen punktierten, schwerfälligen Rhythmen ist inzwischen eher als quasi-sinfonisches Thema bekannt. Im Gegensatz dazu stehen die zugleich zarten und jugendlich-lebhaften Themen in Verbindung mit Julias Erwachen zur Liebe.
Die Entstehungsgeschichte des Balletts wurde vom Komponisten Sergei Prokofjew selbst wiedergegeben[1]:
«Ende Dezember (1934) kehrte ich wieder zurück nach Leningrad, um mit dem Kirow-Theater zu verhandeln. Dabei äußerte ich meinen Wunsch, eine lyrische Handlung für ein Ballett zu finden… Daraufhin begannen wir, verschiedene Handlungen aufzuzählen: Piotrowski nannte Pelléas et Mélisande, Tristan und Isolde, Romeo und Julia. Ich „verbiss“ mich direkt in die letzte Handlung, eine bessere wäre wohl kaum zu finden gewesen! Beim Libretto waren wir uns darüber einig, dass es von Piotrowski, Radlow und mir (S.P.) verfasst werden sollte. Als Choreographen wurde entschieden, den ehemaligen Schüler Radlows, Rostislaw Sacharow, hinzuzuziehen. Dennoch kam es mit dem Kirow-Theater zu keinem Vertrag … Ich ging nach Moskau, wo der damalige Chefdirigent des Bolschoi-Theaters Golowanow mir sofort mitteilte, dass, sollte es um „Romeo“ gehen, das Theater umgehend bereit wäre, einen Vertrag mit mir zu unterzeichnen. Der Vertrag wurde im Sommer 1935 abgeschlossen. Das Theater gab mir damals die Möglichkeit, das Erholungsheim des Bolschoi-Theaters „Polenowo“ zu nutzen, um am Ballett zu arbeiten. Hier habe ich das Ballett so gut wie abgeschlossen, wobei ich zum Teil die bereits im Frühling komponierten Motive nutzte. Im Herbst fand im Theater eine Probeaufführung des Balletts statt. Es wurde kein Erfolg. Damals wurde das Ballett nicht auf die Bühne gebracht. … Im Kirow-Theater wurde das Ballett 1939 (1940) aufgeführt. Sacharow entfiel [als Choreograph], nachdem das Ballett vom Bolschoi-Theater abgelehnt wurde. Bei der Inszenierung des Balletts in Leningrad hat Lawrowski vieles hinzugefügt, was man sich noch vor seiner Zeit hatte einfallen lassen. Später hielt ich es für geboten, ihn als Mitverfasser des Librettos aufzuführen.»
Szenenfolge
1. Ouvertüre
Erster Akt
2. Romeo
3. Die Straße erwacht
4. Morgentanz
5. Der Streit
6. Der Kampf
7. Der Herzog gebietet Einhalt
8. Zwischenspiel
9. Vorbereitungen zum Ball
10. Julia als junges Mädchen
11. Ankunft der Gäste
12. Masken
13. Tanz der Ritter
14. Variation der Julia
15. Mercutio
16. Madrigal
17. Tybalt
18. Gavotte
19. Balkonszene
20. Variation des Romeo
21. Liebestanz
Zweiter Akt
22. Volkstanz
23. Romeo und Mercutio
24. Tanz der fünf Capulets
25. Tanz mit Mandolinen
26. Die Amme
27. Die Amme gibt Romeo einen Brief
28. Romeo bei Pater Lorenzo
29. Julia bei Pater Lorenzo
30. Das Volksfest geht weiter
31. Ein weiterer Volkstanz
32. Tybalt stößt auf Mercutio
33. Tybalt und Mercutios Kampf
34. Mercutio stirbt
35. Romeo rächt Mercutios Tod
36. Finale
Dritter Akt
37. Introduction
38. Romeo und Julia
39. Romeo trennt sich von Julia
40. Die Amme
41. Julia weigert sich, Paris zu heiraten
42. Julia allein
43. Zwischenspiel
44. Zelle von Pater Lorenzo, Vermählung
45. Zwischenspiel
46. Erneut in Julias Kammer
47. Julia allein
48. Morgenständchen
49. Tanz der Brautjungfern
50. An Julias Bett
Vierter Akt (Epilog)
51. Julias Begräbnis
52. Julias Tod
Auswahldiskografie
Gesamtaufnahmen
- Gennadi Roschdestwenski (Melodija, 1959)
- Lorin Maazel (Decca, 1973)
- André Previn (EMI, 1973)
- Seiji Ozawa (Deutsche Grammophon, 1987)
- Valery Gergiev (Philips, 1991)
Auszüge
- Charles Münch (RCA Victor, 1957)
- Ernest Ansermet (Decca, 1958)
- Karel Ančerl (Supraphon, 1959)
- Seiji Ozawa (Deutsche Grammophon, 1973)
- Erich Leinsdorf (Sheffield Lab, 1978)
- Riccardo Muti (EMI, 1982)
- Mariss Jansons (EMI, 1989)
- Claudio Abbado (Deutsche Grammophon, 1997) (Konzertmitschnitt)
Klavierbearbeitungen
- Wladimir Aschkenasi (Decca, 1967). 1991 nahm Aschkenasi ebenfalls für Decca das gesamte Ballett als Dirigent auf, die Veröffentlichung erfolgte aber erst 2003.
- Lazar Berman (Deutsche Grammophon, 1979)
- Sergei Babayan und Martha Argerich (Deutsche Grammophon, 2018)[2]
Weblinks
Einzelnachweise
- ↑ Светлана Петухова. Балет Сергея Прокофьева «Ромео и Джульетта» [Swetlana Petuchowa. Das Ballett „Romeo und Julia“ von Sergei Prokofjew], М., 2018, Seiten 31–32 // Мендельсон-Прокофьева М.А. Дневники. [M.A.Mendelson-Prokofjewa. Tagebücher. ], М., 2012, Seiten 485–488.
- ↑ klassikakzente.de: Prokofjew mal zwei: Martha Argerich und Sergei Babayan