Reziprokes Lehren

Reziprokes Lehren ist eine Unterrichtsform mit dem Ziel, das Leseverständnis zu fördern.

Vorgehen

Der in der Sitzung zu bearbeitende Text wird von dem anleitenden Lehrer in einzelne Abschnitte gegliedert. Diese Abschnitte werden nacheinander behandelt und erst bei Bearbeitung den teilnehmenden Schülern ausgehändigt.

In jeder Sitzung übernimmt eine andere Person die Lehrerrolle für einen Textabschnitt (zu Beginn meist die Lehrkraft selbst, später die Schüler). Die Person, die die Lehrerrolle übernimmt, ist für die Moderation der Runde und die Ausführung der unten genannten Strategien zuständig. Jeder Textabschnitt wird nacheinander mit folgenden Strategien bearbeitet:

Fragen stellen (Questioning)
Diese Strategie dient zur Überprüfung (self-monitoring) des Verständnisses des Abschnitts. Die gestellten Fragen sollen sich dabei idealerweise nicht direkt auf die im Text gegebenen Informationen beziehen, sondern sich über den Rahmen des Textes hinausbewegen (Fragen, die der Text nicht direkt beantwortet).
Zusammenfassen (Summarizing)
Auch das Zusammenfassen dient zur Überprüfung des Textverständnisses. Die Schüler sollen dabei lernen, dass sie, wenn sie nicht in der Lage sind, eine Zusammenfassung zu geben, den Text nicht genau verstanden haben.
Klarstellen (Clarification)
Im Gegensatz zum Zusammenfassen soll hier nicht das globale Verständnis des Textes überprüft werden, sondern ob einzelne Wörter oder Sätze in dem Abschnitt ungeklärt geblieben sind.
Vorhersage (Prediction)
Die Schüler werden dazu aufgefordert, eine Vermutung zu äußern, worauf der Autor im nächsten Abschnitt eingehen könnte.

Auch wenn die Lehrerrolle nicht mehr von der Lehrkraft selbst übernommen wird, bietet die Lehrkraft weiterhin Hilfestellung an, kritisiert und greift bei Problemen ein. Verbessert sich der Leistungsgrad der Schüler, sollte die Unterstützung immer weiter zurückgefahren werden (Fading).

Die Lehrkraft sollte ebenfalls dergestalt eingreifen, dass eine Metakognition bei den Schülern entsteht. Konkret könnte sie zum Beispiel fragen, warum eine Zusammenfassung besser oder schlechter als eine andere ist. Sie fördert somit die Explikation und Weiterentwicklung sogenannter impliziter Theorien (Prototheorien) über eine gute Zusammenfassung.

Theorie

Der theoretische Hintergrund des Reciprocal Teaching bildet das Cognitive Apprenticeship.

Die oben aufgeführten Strategien sollen den Schülern helfen ein konzeptuelles Modell des Lesens aufzustellen. Es soll davon weggeführt werden, dass Lesen aus dem Erkennen und Aussprechen von Wörtern besteht. Reciprocal Teaching geht davon aus, dass Lesen auch aus Fragen stellen, Vorhersagen und Zusammenfassen besteht und Evaluationen, ob ein Text bzw. eine bestimmte Textstelle verstanden wurde.

Ein kritischer Faktor besteht darin, dass Schüler den Lehrer beobachten können, wie ein Experte beim Lesen vorgeht, und ihr eigenes Verhalten beim Lesen kritisch mit dem des Lehrers vergleichen. Entscheidend ist hier jedoch, dass der Lehrer auch seine eigenen Gedanken ausspricht und die Schüler so einen Zugang zu den eigentlichen kognitiven Prozessen erhalten.

Empirische Befunde

Empirische Befunde legen eine hohe Wirksamkeit der Methode dar, auch wenn sie von Lehrkräften an die tatsächlichen Bedürfnisse angepasst werden. Lehrer berichten jedoch, dass die verschiedenen Strategien nicht adäquat von Schülern angewandt werden. So sind die gestellten Fragen oder Zusammenfassungen sehr nah am Text.[1]

Siehe auch

Literatur

  • A. Collins, J. S. Brown, S. E. Newman: Cognitive Apprenticeship: Teaching the Crafts of Reading, Writing and Mathematics. In: L. B. Resnick (Hrsg.): Knowing, learning and instruction. Erlbaum, Hillsdale, NJ 1989, S. 453–494.

Einzelnachweise

  1. Hacker, Douglas J. & Tenent, Arnette (2002). Implementing reciprocal teaching in the classroom: Overcoming obstacles and making modifications. Journal of Educational Psychology, 94 (4), S. 699.