Oeconomia

Film
Titel Oeconomia
Produktionsland Deutschland
Originalsprache Deutsch
Erscheinungsjahr 2020
LĂ€nge 89 Minuten
Altersfreigabe
Stab
Regie Carmen Losmann
Drehbuch Carmen Losmann
Produktion Mareike Wegener,
Hannes Lang
Musik Peter Rösner
Kamera Dirk LĂŒtter
Schnitt Henk Drees,
Carmen Losmann

Oeconomia ist ein Dokumentarfilm von Carmen Losmann (2020). Er wurde im Februar 2020 im Rahmen der 70. Internationalen Filmfestspiele Berlin in der Sektion Forum uraufgefĂŒhrt[2] und 2022 mit einem Grimme-Preis ausgezeichnet.

Handlung

Carmen Losmann interviewt Banker und Volkswirte, entwickelt Grafiken und schneidet dies mit Kommentaren einer Runde kapitalismuskritischer Experten. Ausgangspunkte sind einfache Fragen wie: „Wie entsteht eigentlich Geld?“, und damit verbunden: „Wie entstehen Gewinne? Und warum wachsen die Schulden, wenn die Wirtschaft wĂ€chst?“.[3] Schließlich: „Wie kommt es zur Schere von Privatvermögen und Staatsverschuldung?“[4]

Der Film beginnt mit einem Waldbild, das sich als Desktophintergrund eines Computers herausstellt.[3] Es wird ein Grafikprogramm geöffnet, mit dem ein Dreieck von Kreisen gezeichnet wird; sie werden beschriftet mit Wirtschaftswachstum, Verschuldung und Vermögenskonzentration. Carmen Losmann nennt eine Motivation ihres Films: „Seit der Finanzkrise versuche ich, die PhĂ€nomene unseres Wirtschaftssystems zu verstehen.“ Das nĂ€chste Diagramm zeigt, wie sich (weltweit) zwischen 1950 und 2018 sowohl Wirtschaftsleistung als auch Verschuldung in Ă€hnlichem Ausmaß vervielfacht hĂ€tten. Dabei wachse stĂ€ndig die Ungleichheit in der Vermögensverteilung. Losmann fragt nach dem Zusammenhang, den „Spielregeln des Systems“.

Danach folgt die erste Episode des zweiten filmischen Stilmittels: „Eine Runde kapitalismuskritischer Experten hat Losmann in der Frankfurter FußgĂ€ngerzone an einem Tisch platziert und lĂ€sst sie ‚Monopoly‘ spielen. Gleichzeitig kommentieren sie die Mechanismen der Finanzwirtschaft wie ein griechischer Chor.“[3] Gespielt wird allerdings eine Version des Frankfurter „Arbeitskreis Wirtschaft“, bei der die Spieler am Anfang kein Geld zugeteilt bekommen, sondern es erst durch Baukredite erhalten. Das Geld verteilt sich dann im Kreislauf an andere Spieler, die ausfĂŒhrende Firmen reprĂ€sentieren. Einer der Experten interpretiert, das Geld entstehe erst mit wirtschaftlicher AktivitĂ€t.

Im Folgenden berichtet die Regisseurin von Interesse, auf das ihre Recherchen stoßen, aber auch von Unwillen, Misstrauen, RĂŒcknahme oder Reglementierung von Drehgenehmigungen; Beispiele von ersten (nachgestellten) Telefonaten werden wiedergegeben. Im ersten fragt sie nach dem Motor der Triade. Ihr GesprĂ€chspartner verweist auf den „Maschinenraum des Kapitalismus“, in dem die Banken das Privileg hĂ€tten, Geld zu schöpfen, das noch nicht erwirtschaftet wurde. Andere antworten ausweichend auf die Frage, wie Geld entstehe, geben zu, es nicht zu wissen oder sagen, dass diese Frage fĂŒr ihre Arbeit irrelevant sei.

In den folgenden Szenen wird eine Kreditentscheidung in einem Bankgremium nachgespielt sowie ein KreditgesprĂ€ch zwischen dem GeschĂ€ftsleiter der Gemeinschaftsbank Basel und einer Kundin. Dazu werden die EintrĂ€ge in das Buchhaltungsprogramm der Bank gezeigt: Auf der Soll-Seite wird das Kreditkonto der Bank mit dem Kreditbetrag belastet, wĂ€hrend auf der Haben-Seite das Guthabenkonto der Kundin erhöht wird. Der GeschĂ€ftsleiter erklĂ€rt, dass damit die Geldschöpfung in Form einer BilanzverlĂ€ngerung, also einer Ausweitung der Bilanzsumme auftritt. Die Bank habe sich dafĂŒr „in keiner Weise“ Geld auf einem bestehenden Einlagenkonto beschaffen mĂŒssen.

Im weiteren Verlauf des Films werden zustande gekommene Interviews gezeigt, etwa mit Peter Praet, „dem ehemaligen Chefvolkswirt der EuropĂ€ische Zentralbank, mit Nicolas Peter, dem Finanzchef von BMW, mit Andrew Bosomworth von der Investmentgesellschaft Pimco oder Thomas Mayer, dem ehemaligen Chefvolkswirt der Deutschen Bank.“[3]

Der Film schlussfolgert, dass nicht nur die Zentralbanken Geld „quasi aus dem Nichts“ schaffen wĂŒrden, sondern auch die GeschĂ€ftsbanken, indem sie durch Kreditvergabe ihre Bilanzsumme erhöhen. Wachstum der Geldmenge sei die Voraussetzung fĂŒr Wirtschaftswachstum, damit Ausdehnung der Produktion und des Ressourcenverbrauchs.[3] Durch die Ausbeutung der Natur wĂŒrde die Illusion aufrechterhalten, dass stetiges Wachstum weiter möglich sei. „Dadurch nehmen wir wahr, dass wir reicher werden und bilanzieren aber gar nicht, wie wir gleichzeitig durch den Naturverlust Ă€rmer werden.“, meint der Physiker Dag Schulze am runden Tisch.

In einem nachgestellten Telefonat spricht eine Frauenstimme gegen Ende des Filmes: „Aktuell befinden wir uns in einer Art Wettrennen. Wer kollabiert zuerst? Unser Ökosystem Erde oder der Kapitalismus, der ein bislang nie erreichtes Spannungslevel an Vermögen und Verschuldung aufgebaut hat.“ Die Wirtschaftspublizistin Samirah Kenawi schlussfolgert am runden Tisch, es fehle an Wissen und an Alternativen. Man mĂŒsse ĂŒber Alternativen nachdenken.

Kritik

Martina Knoben wies 2020 in der SĂŒddeutschen Zeitung darauf hin, dass die Finanzkrise 2007 Auslöser fĂŒr den Film war; sie habe Folgen bis heute. Der Film wolle „Spielregeln eines Systems begreifen, das gerade krachend an die Wand gefahren war“. Da außerdem „Corona gerade die Schulden in ungeahnte Höhen treibt“, sei Oeconomia „brandaktuell“. Geld entstehe quasi aus dem Nichts. „Man erfĂ€hrt, dass die Wirtschaft wĂ€chst, wenn die Geldmenge wĂ€chst, und dass stĂ€ndiges Wachstum die Bedingung ist, damit das alles weiter funktioniert.“[3]

Ulrich Kriest sah in filmdienst.de einen „aufschlussreiche[n] Dokumentarfilm ĂŒber die Funktionsweisen des Finanzmarktes, bei dem scheinbar simple Fragen an Experten eine angeblich kaum fassbare Materie greifbar machen.“[4] „Somit richtet sich Losmanns neuestes Werk“, schrieb Michael Gasch auf film-rezensionen.de, „auch an die jĂŒngere Generation, da nicht nur ein GrundverstĂ€ndnis ĂŒber wirtschaftspolitische ZusammenhĂ€nge geschaffen wird, es wird darĂŒber hinaus auch mit falschen ErklĂ€rungen ĂŒber altbackene Systemtheorien aufgerĂ€umt.“[5]

Anke Westphal von epd Film fand: „Dass sich die Finanzwirtschaft nicht nur unsichtbar gemacht hat, sondern sich dem allgemeinen Verstehen gleich ganz entziehen will, ist der eigentliche Skandal. Wie unverbrĂŒchlich hochrangige Protagonisten diesem System verhaftet sind, wie sie ideologisch gefangen sind, wird immer dann deutlich, wenn sie Losmanns Fragen mit UnglĂ€ubigkeit begegnen – nach der Devise, dass doch sonnenklar sei, was man nicht erklĂ€ren kann. Einmal wird die Regisseurin von einem dieser MĂ€nner praktisch fĂŒr dumm erklĂ€rt.“[6]

Maximilian Knade geht in seiner Kritik auf moviebreak.de auf die an Desktop-Filme erinnernden Bildschirm-Sequenzen ein: „Im Laufe des Filmes wird immer weiter in den Bildschirm hineingezoomt, wir dringen immer tiefer in die Funktionsweise unserer Ökonomie ein, bis man irgendwann nicht mehr weiter hineinzoomen kann. Der Kern ist erfasst, alles Weitere wĂŒrde einem Wegdifferenzieren von Problemen oder einem unbeholfenen UmhertĂ€nzeln gleichen – und davon wird es in den Interviews noch genĂŒgend geben. Die Ästhetik eines Computer-Screens steht darĂŒber hinaus stellvertretend fĂŒr die DigitalitĂ€t unseres Geldsystems...“[7]

Mehrfach gelobt wurde die Bildgestaltung durch Dirk LĂŒtter. Falk Straub schrieb auf spielfilm.de: „Die Bedeutung dieser Branche spiegelt sich bereits in den Bildern, die Losmanns Kameramann Dirk LĂŒtter von ihr macht, und in dem Bild, das die Branche nach außen gern selbst von sich abgibt. Die lichtdurchflutenden BankentĂŒrme aus Stahl und Glas vermitteln den Anschein von Transparenz, verschleiern dadurch aber ihre wahre Bedeutung. Sie zementieren Macht. Von seinem BĂŒro aus blickt Thomas Mayer, der ehemalige Chefvolkswirt der Deutschen Bank, auf den Kölner Dom. Ein neues Machtzentrum ĂŒberragt ein altes. Ganz beilĂ€ufig fĂ€ngt LĂŒtters Kamera auch Obdachlose ein, die vor den GlaspalĂ€sten der FußgĂ€ngerzonen und der Bankenviertel ihr Nachtlager aufgeschlagen haben.“[8]

Bianka-Isabell Scharmann von Kino-Zeit ging auf den Filmtitel ein: „Wird diese Welt noch so existieren, wenn wir aus der Economy keine Oeconomy machen?“ Auch sie reflektierte ĂŒber die Darstellung der Architektur im Film: „Oftmals prallt der Blick an glatten OberflĂ€chen ab, er wird zurĂŒckgeworfen, die Fenstergitter, die TĂŒrme der Banken scheinen undurchdringlich. Man merkt einmal wieder, wie perfekt diese Architektur zu dem passt, was sie versucht, zu verbergen.“[9]

Bert Rebhandl vom österreichischen Standard schloss sich dem Kanon der lobenden Stimmen nicht an und schrieb, Losmann gehe „selbst so verbissen auf ihr implizites Theorem los, dass das zunehmend stĂ€rkere Verschuldungssystem des heutigen Kapitalismus ausweglos in die Krise fĂŒhren muss, dass wichtige Dinge ausgespart bleiben. Am meisten verblĂŒfft an Oeconomia, wie unhistorisch Losmann denkt. Man muss ja nicht gleich mit Marx von ursprĂŒnglichen Akkumulationen sprechen, aber Profite haben nicht nur mit Schulden zu tun, sondern auch mit Ausbeutungen – und Innovationen.“[10]

Die Deutsche Film- und Medienbewertung FBW in Wiesbaden verlieh dem Film das PrÀdikat besonders wertvoll.[11]

Auszeichnungen

Oeconomia erhielt 2022 einen Grimme-Preis in der Kategorie Information & Kultur.[12]

Mediatheken

Einzelnachweise

  1. ↑ Freigabebescheinigung fĂŒr Oeconomia. Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (PDF; PrĂŒf­nummer: 198302/K).Vorlage:FSK/Wartung/typ gesetzt und Par. 1 lĂ€nger als 4 Zeichen
  2. ↑ Oeconomia. Berlinale. Forum 2020.
  3. ↑ a b c d e f Martina Knoben: Doku „Oeconomia“ im Kino: Zum Wachstum verdammt. In: SĂŒddeutsche Zeitung. 14. Oktober 2020, abgerufen am 24. April 2023.
  4. ↑ a b Ulrich Kriest: Oeconomia. filmdienst.de, abgerufen am 24. April 2023.
  5. ↑ Michael Gasch: Oeconomia. In: www.film-rezensionen.de. 7. September 2020, abgerufen am 29. Juli 2023.
  6. ↑ Anke Westphal: Kritik zu Oeconomia. In: epd Film. 25. September 2020, abgerufen am 29. Juli 2023.
  7. ↑ Maximilian Knade: Oeconomia. In: www.moviebreak.de. Abgerufen am 29. Juli 2023.
  8. ↑ Dirk LĂŒtter: Oeconomia. In: www.spielfilm.de. Abgerufen am 29. Juli 2023.
  9. ↑ Bianka-Isabell Scharmann: Oeconomia. In: www-kino-zeit.de. Abgerufen am 29. Juli 2023.
  10. ↑ Bert Rebhandl: "Oeconomia": Schöpfer von Geld und Wert im transparenten Sitzungsraum. In: Der Standard. 26. Mai 2021, abgerufen am 29. Juli 2023.
  11. ↑ OECONOMIA Deutsche Film- und Medienbewertung (FBW)
  12. ↑ Oeconomia. Grimme-Preis 2022