Hubkolbenmotor
In einem Hubkolbenmotor führt die Expansion eines Gases über eine Schubkurbel dazu, dass mechanische Energie abgegeben bzw. Arbeit verrichtet wird. Hubkolbenmotoren zählen zu den Kolbenmaschinen.
Funktionsprinzip
Die Ausdehnung des Gases in einem Zylinder verrichtet Arbeit an einem Kolben, die durch eine Pleuelstange auf die Kurbelwelle übertragen wird. So wird die oszillierende Bewegung des Kolbens in eine Drehbewegung umgesetzt, und die Kolben können Arbeit über die Pleuel an die Kurbelwelle abgeben (Abb. 1). Zwei Bauformen sind bekannt:
- Beim Standmotor ist das Motorgehäuse mit den Zylindern fixiert und die Kurbelwelle dreht sich. Diese Bauform ist heute die Regel.
- Beim Umlaufmotor dreht sich das Motorgehäuse um die Kurbelwelle. Sie kann stillstehen oder sich ebenfalls drehen, wobei sie mit dem Motorgehäuse über Zahnräder gekoppelt ist, zum Beispiel beim Megola-Motorrad. Die Zylinder kreisen um die Kurbelwellenachse. Die Hubzapfen sind exzentrisch angeordnet, wodurch der Hub der einzelnen Kolben in den Zylindern zustande kommt, genau wie beim Standmotor. Frühe Flugmotoren waren häufig Stern-Umlaufmotoren.
Betrachtet man nur die Bewegung der Teile relativ zueinander, unterscheiden sich die beiden Bauformen nicht. Die Zylinder eines Sternmotors sind drehsymmetrisch um die Kurbelwelle angeordnet, wodurch Unwucht vermieden wird.
Beispiele für Hubkolbenmotoren sind:
- Verbrennungsmotoren mit innerer Verbrennung, speziell Dieselmotor und Ottomotor
- Verbrennungsmotoren mit äußerer Verbrennung und
- geschlossenem Kreislauf des Arbeitsfluids, wie Stirlingmotoren oder Dampfmotoren
- offenem Kreislauf des Arbeitsfluids, wie Dampfmaschinen
- Gasexpansionsmotoren
Hubkolbenmotoren werden auch nach der Zahl und Anordnung der Kolben je Brennraum eingeteilt:
- normaler Hubkolbenmotor mit einem Kolben je Brennraum (bei weitem am häufigsten)
- Doppelkolbenmotor mit U-Zylinder mit zwei Kolben in parallelen Zylindern, mit gemeinsamem Brennraum und gekoppelter Hubbewegung
- Gegenkolbenmotor mit zwei gegeneinander arbeitenden Kolben und gekoppelter Hubbewegung im gleichen Zylinder
- Doppeltwirkender Verbrennungsmotor mit zwei Brennräumen je Zylinder
Sie werden auch nach der Zahl und Anordnung der Zylinder eingeteilt:
- Reihenmotor
- V-Motor
- Boxermotor
- Sternmotor
- W-Motor (und weitere)
Begriffe und Bezeichnungen
- Der Kurbeltrieb[1] wandelt die Kraft der Gasexpansion und die oszillierende Bewegung des Kolbens in eine rotierende Bewegung der Kurbelwelle um und steuert den Ablauf des Gasaustauschprozesses, sowie ggf. weitere synchrone Vorgänge. Zum Kurbeltrieb gehören der Kolben, der Pleuel und die Kurbelwelle.
- Im Zylinder gleitet der Kolben auf und ab. Zwischen Kolben und Zylinder dichten die Kolbenringe den Expansionsraum so ab.
- Der Kolben bildet im Expansionsraum eine bewegliche Wand. Durch die Bewegung wird die Expansion des Gases in mechanische Arbeit umgewandelt. Daneben kann der Kolben in manchen Bauformen (speziell Zweitaktmotoren) den Gaswechsel (bei innerer Verbrennung auch als Ladungswechsel bezeichnet) steuern.
- In den Totpunkten kehrt der Kolben seine Bewegung um. Der obere Totpunkt (OT) ist erreicht, wenn das Kompressionsvolumen (VC) das kleinste Volumen hat. Der untere Totpunkt (UT) ist erreicht, wenn der Expansionsraum sein größtes Volumen hat.
- Der Hubraum (VH) ist die Differenz zwischen dem Zylindervolumen im UT und im OT.
- Das geometrische Verdichtungsverhältnis (ε) ist nach DIN 1940 das Verhältnis vom maximalen Brennraumvolumen zum minimalen Kompressionsvolumen (ε = 1 + VH / VC); ε ist stets größer als 1 und umso größer, je stärker verdichtet wird. Außerhalb von Fachliteratur wird oft der Kehrwert 1:ε angegeben.
- Die Bauform beschreibt die Anordnung der Zylinder bei Motoren mit mehr als einem Zylinder. Häufig verwendete Bauformen sind Reihenmotor, V-Motor und Boxermotor. H-Motor, W-Motor, Stern-, Doppelkolbenmotoren mit U-Zylinder und als Gegenkolbenmotoren sind nur selten anzutreffen.
- Massenkräfte entstehen durch die Bewegung des Kurbeltriebs an jedem Zylinder. Ursache ist die oszillierende Bewegung des Kolbens, die rotierende Bewegung der Hubzapfen an der Kurbelwelle und die Überlagerung beider Anteile beim Pleuel.
- Durch den Ausgleich von Massenkräften können die Vibrationen des Motors reduziert werden. Dazu werden Ausgleichswellen verwendet. Sie drehen mit gleicher oder doppelter Drehzahl der Kurbelwelle (Beispiel Lanchester-Ausgleich[2]). Es gibt auch Systeme mit Ausgleichsmassen, die über Pleuel und Hebel von der Kurbelwelle angetrieben werden[3] (beispielsweise BMW F800).
- Massenmomente entstehen auch um den Schwerpunkt des gesamten Motors. Durch geeignete Anzahl und Anordnung der Zylinder können Massenmomente eliminiert werden.
- Der Kurbelwinkel wird am Hubzapfen der Kurbelwelle gemessen und in Richtung der Kurbelwellendrehung gezählt. Beim Ottomotor wird der Zündzeitpunkt (Zündwinkel) auf den Kurbelwinkel bezogen, negative Winkel werden häufig als „φ Grad vor OT“ angegeben. Die Zählung wird beim Viertakt-Motor gelegentlich über alle Arbeitstakte (2 Kurbelwellenumdrehungen) fortgesetzt, so dass der Kurbelwinkel zwischen 0 und 720° liegen kann.
- Drehschwingungen entstehen durch die ungleichmäßige Geschwindigkeit der Kolben und die periodische Anregung durch die Gaskräfte. Sie erzeugen eine ungleichförmige Geschwindigkeit und ein ungleichmäßiges Drehmoment an der Kurbelwelle.
- Die Zündfolge eines Verbrennungsmotors (auch bei Dieselmotoren so bezeichnet) gibt die Reihenfolge der Verbrennungen bei Mehrzylindermotoren an. In der Regel wird darauf geachtet, dass die Zündungen bezogen auf den Drehwinkel der Kurbelwelle in gleichen Abständen erfolgen, um Drehschwingungen zu reduzieren.
- Das Schwungrad in Form einer Kupplung und Dämpfung dient ebenfalls zur Begrenzung der Drehschwingungen und als Zwischenspeicher für die Energie zum Gaswechsel (Ausstoßen und Ansaugen) und zum Verdichten vor der Verbrennung.
- Der Gaswechsel wird durch Ventile (Viertakt- und einige Zweitakt-Großmotoren), Drehschieber[4] (Zweitakter, selten Viertakter), Lamellen- oder Schnüffelventile[5] (Zweitakter) oder Schlitze (vor allem Zweitakt- und Wankelmotoren) gesteuert.
Massenkräfte
Infolge der Hubbewegung der Kolben und Pleuel sowie infolge des ungleichförmigen Übertragungsverhaltens des Kurbeltriebs treten Massenkräfte auf, die sich in den Motorlagern abstützen und benachbarte Strukturen zu Schwingungen anregen.
Die Massenkräfte der linear bewegten Teile des Kurbeltriebes (oszillierende Massen) lassen sich durch folgende Formel näherungsweise berechnen:
mit
- : Oszillierende Massenkraft
- : Oszillierende Masse
- : Kurbelradius
- : Winkelgeschwindigkeit der Kurbelwelle
- : Kurbelwinkel
- : Pleuellänge
- : Zeit seit Durchlaufen des oberen Totpunktes
Massenkräfte 1. und 2. Ordnung
Da es sich bei dem Ausdruck in der Klammer um die ersten zwei Glieder einer Reihenentwicklung handelt, bezeichnet man als Massenkraft 1. Ordnung, als Massenkraft 2. Ordnung.
Theoretisch treten nicht nur 1. und 2. Ordnung auf, sondern unendlich viele ganzzahlige Ordnungen, die jedoch ab der 4. Ordnung aufgrund ihrer geringen Größe meistens vernachlässigbar sind.
Massenausgleich
Die rotierenden Massen des Kurbeltriebs können durch Gegengewichte an der Kurbelwelle ausgeglichen werden. Oszillierende Massenkräfte 1. und 2. Ordnung können bei Mehrzylindermotoren durch eine geschickte Anordnung der Zylinder vermieden oder vermindert werden. Um diese Massenkräfte völlig auszugleichen, benötigt man mindestens sechs Zylinder beim Viertakt-Reihenmotor oder acht Zylinder beim V-Motor. Bei Motoren mit weniger Zylindern kommen oft Ausgleichswellen zum Einsatz, auf denen entsprechende Ausgleichsunwuchten mit einfacher oder doppelter Kurbelwellen-Drehzahl umlaufen (zum Beispiel Lanchester-Ausgleich (Abb. 2)).
Eine andere Möglichkeit, einen perfekten Massenausgleich zu erreichen (und zwar nicht nur näherungsweise), besteht in der Verwendung von zwei gegenläufig rotierenden Kurbelwellen, wie zum Beispiel beim Tandemmotor und beim H-Motor.
Tabelle
Zylinderzahl | Freie Kräfte (Ordnung) |
Freie Momente (Ordnung) |
Zündabstände bei Viertaktmotoren | ||
---|---|---|---|---|---|
1. | 2. | 1. | 2. | ||
1 | 2 | 3 | - | - | 720° |
2 Reihe[6] (180°) | 0 | 2 | 2 | 0 | 180°/540° |
2 Twin (360°) | 2 | 3 | 0 | 0 | 360° |
2 (V 90°) | 1 | 3 | - | - | 270°/450° |
2 (V 60°) | 2 | 3 | - | - | 300°/420° |
2 (Boxer) | 0 | 0 | 2 | 3 | 360° |
3 (Reihe 120°) | 0 | 0 | 2 | 3 | 240° |
4 (Reihe) | 0 | 3 | 0 | 0 | 180°/180° oder 270°/90° |
4 (V 90°) 1 | 0 | 3 | 2 | 0 | 90°/270° |
4 (Boxer 180°) | 0 | 0 | 0 | 2 | 180°/180° |
5 (Reihe) | 0 | 0 | 2 | 2 | 144°/144° |
6 (Reihe) | 0 | 0 | 0 | 0 | 120°/120° |
6 (V 90°) 1 | 0 | 0 | 3 | 3 | 150°/90° oder 120°/120° (um 30° versetzte Hubzapfen) |
6 (V 60°)[6] 1 | 0 | 0 | 3 | 3 | 120°/120° (um 60° versetzte Hubzapfen) |
6 (Boxer 120°) | 0 | 0 | 1 | 2 | 120°/120° |
8 (V 90°) | 0 | 0 | 1 | 0 | 90°/90°/ |
12 (V 60°) | 0 | 0 | 0 | 0 | 60°/60° |
Legende[7][8]
0: voll ausgeglichen
1: voll auszuwuchten
2: teilweise auszuwuchten
3: nicht auszuwuchten
Ungleichförmige Bewegungsabläufe
Drehungleichförmigkeit
Da Hubkolbenmotoren nicht wie etwa Turbinen kontinuierlich laufen, sondern einen in verschiedene Takte aufgeteilten Prozess durchlaufen, kommt es an der Kurbelwelle zu einer Drehzahl- und Momentenpulsation, die um einen stationären Mittelwert schwankt (Abb. 3).
Die Form der Drehungleichförmigkeit wird bestimmt durch die Anzahl der Zylinder, den Druckverlauf im Zylinder, die Geometrie und die Massen der Motorbauteile sowie das Arbeitsverfahren (z. B. Zweitakt- bzw. Viertaktverfahren) sowie den Betriebspunkt (Last/Drehzahl) des Motors. Der Nebenantrieb z. B. einer Nockenwelle und der Sekundärantrieb von Nebenaggregaten haben ebenfalls einen Einfluss.
Diese sogenannte Drehungleichförmigkeit ist die Ursache für Torsions-Schwingungen im nachgeschalteten Antriebsstrang, die häufig auch zu unangenehmen Motorgeräuschen führen. Um diese zu reduzieren, kommen Zweimassenschwungräder oder Torsionsschwingungs-Tilger beziehungsweise -Dämpfer zum Einsatz. Auch ein Wandlergetriebe dämpft die Stöße.
Kolbenhub und Verdichtung
Durch die Knickpleueltechnik und andere Methoden, einen variablen Kurbeltrieb zu erreichen, sollen unter anderem Verdichtungsverhältnis und -verlauf gesteuert werden.
Literatur
- Richard van Basshuysen, Fred Schäfer (Hrsg.): Handbuch Verbrennungsmotor : Grundlagen, Komponenten, Systeme, Perspektiven (= ATZ-MTZ-Fachbuch). 3., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage. Vieweg, Wiesbaden 2005, ISBN 3-528-23933-6.
- Eduard Köhler: Verbrennungsmotoren. Motormechanik, Berechnung und Auslegung des Hubkolbenmotors. 3. Auflage. Vieweg, Wiesbaden 2002, ISBN 3-528-23108-4.
Weblinks
- Literatur von und über Hubkolbenmotor im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Massenausgleich und Laufruhe von Hubkolbenmotoren (animiert, 2009, Archivlink April 2013)
Einzelnachweise
- ↑ Richard van Basshuysen; Fred Schäfer (Hrsg.), "Handbuch Verbrennungsmotor", Abschnitt 6.1 „Kurbeltrieb“, 8. Auflage 2017, Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ISBN 978-3-658-10901-1.
- ↑ Eduard Köhler; Rudolf Flierl, „Verbrennungsmotoren“, Abschnitt 5.2.1.3.1 „Ausgleich von Massenkräften durch Ausgleichswellen; Möglichkeiten und Anwendungen“, 6. Auflage 2011, Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011, ISBN 978-3-8348-1486-9.
- ↑ Richard van Basshuysen; Fred Schäfer (Hrsg.), "Handbuch Verbrennungsmotor", Abschnitt 8.3.1.2 „Zweizylindermotoren“, 8. Auflage 2017, Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ISBN 978-3-658-10901-1.
- ↑ Richard van Basshuysen; Fred Schäfer (Hrsg.), "Handbuch Verbrennungsmotor", Abschnitt 10.1 „Gaswechseleinrichtungen beim Viertaktmotor“, 8. Auflage 2017, Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ISBN 978-3-658-10901-1.
- ↑ Richard van Basshuysen; Fred Schäfer (Hrsg.), "Handbuch Verbrennungsmotor", Abschnitt 10.3.2 „Gaswechselorgane“, 8. Auflage 2017, Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ISBN 978-3-658-10901-1.
- ↑ a b Braess, Seiffert (Hrsg.): Vieweg Handbuch Kraftfahrzeugtechnik. 6. Auflage. Vieweg+Teubner. Wiesbaden. 2012. ISBN 9783834882981. S. 165 ff.
- ↑ Helmut Werner Bönsch: Einführung in die Motorradtechnik. 3. Auflage. Motorbuch-Verlag Stuttgart 1981, ISBN 3-87943-571-5., S. 191.
- ↑ Bosch: Kraftfahrtechnisches Taschenbuch. 28. Auflage, Mai 2014. ISBN 978-3-658-03800-7, S. 452.