Herbert Lucht

Herbert Lucht († 1951)[1] trat früh in die NSDAP ein und war im Zweiten Weltkrieg erst ein Sonderführer, danach ein Offizier einer Propagandaeinheit der Wehrmacht im Rang eines Leutnants, später Oberleutnants, im von Deutschland besetzten Paris.[2] Nach 1945 betrieb er zusammen mit seiner belgischen Ehefrau Lea Sliky Lucht, geboren Léa-Mathilde Vandievoet[3][4], falsche Gräfin Léa van Dievoet[5], und falsche Tochter eines Generals[6][7] geboren in einer einfachen proletarischen Umgebung[Anm 1] in Saint-Gilles (Brüssel), am 27. März 1910[8], die Im- und Exportfirma Cominbel.[1] Bekannt wurde das Ehepaar Lucht in der frühen Bundesrepublik durch seine aktive Förderung des Naumann-Kreises zur Wiederherstellung der NS-Herrschaft.[9]

Tätigkeiten für das nationalsozialistische Deutsche Reich

Deutsche Siegesparade vor dem Arc de Triomphe in Paris am 14. Juni 1940

Im Zweiten Weltkrieg war Lucht Propagandaoffizier im Rang eines Leutnants im besetzten Paris in der Propagandastaffel des Militärbefehlshabers Frankreich.[1][3]

Lucht war Leiter der Abteilung Kultur der Propagandastaffel, die von Major (später Oberstleutnant) Heinz Schmidtke geleitet wurde. Schmidtke erhielt seine Weisungen vom Oberkommando der Wehrmacht oder aus dem Propagandaministerium. Lucht leitete mit seiner Abteilung die Referate Musik, Theater, Artistik und Bildende Kunst mit eigenem Büro auf der Avenue des Champs-Élysées.[10] Die auch von Lucht betriebene deutsche Kulturpropaganda hatte im besetzten Frankreich das kurzfristige Ziel, das französische Kulturleben in bestimmtem Maße zur Sicherung von Ruhe und Ordnung aufrechtzuerhalten. Langfristig sollte es reduziert und eine deutsche kulturelle Herrschaft errichtet werden.[11]

Lucht beschäftigte sich besonders mit der Lenkung von Theatern, Auftritten und der Theaterzensur. In Zweifelsfällen besuchte er selbst Aufführungen, um sich einen persönlichen Eindruck für die Zensur zu verschaffen.[12]

In der Literatur finden sich kleinere Angaben über einzelne seiner Aktionen und Tätigkeiten. Am 19. September 1940 nahm Lucht an einer Besprechung mit dem Sonderstab Musikforschung (Amt Rosenberg) teil, der den Einsatz französischer Künstler für die deutsche Kulturwerbung in Paris betraf.[13]

Lucht opponierte im August 1941 als „alter Parteigenosse“ aus antichristlichen Motiven, z. B. gegen den Auftritt eines deutschen Kirchenchors in Paris, den Karl Epting organisiert hatte.[14]

Nach 1945: Firma, Villa Lucht, Naumann-Affäre

Aus Paris flüchtete das Ehepaar vor der Befreiung nach Meldorf, beide blieben „überzeugte Nationalsozialisten“ (Der Spiegel).[3] Lea Lucht gab 1948 den Auftrag für die „Villa Lucht“ an den ehemaligen Direktor der Düsseldorfer Kunstakademie Emil Fahrenkamp, der in der Zeit des Nationalsozialismus dort Karriere gemacht hatte.[15] Die Villa in Meerbusch-Büderich (Niederlöricker Straße 33) ist ein repräsentatives Anwesen, das bäuerliche Bauformen aufgreift und sich durch einen abgeschirmten Innenhof auszeichnet.[15] Fahrenkamp galt nach 1945 wegen seiner NS-Vergangenheit als politisch untragbar.

Lucht unterhielt gute Kontakte zu Ernst Achenbach, den er aus seiner Zeit in Paris kannte; er übertrug Achenbach die anwaltliche Vertretung sowohl in Sachen seiner Person als auch in Sachen der Firma Cominbel. Bei Achenbach handelte es sich um eine Schlüsselfigur der Naumann-Affäre.[16]

Werner Naumann war vor 1945 Staatssekretär im Propagandaministerium und persönlicher Referent von Joseph Goebbels gewesen. In Hitlers Testament war er als Amtsnachfolger Goebbels vorgesehen.[17] Naumann war nach 1945 zunächst untergetaucht und übernahm 1950 nach der Amnestie unter seinem richtigen Namen die Geschäftsführung der Firma Lucht in Düsseldorf.[17][18][19] Zu dieser Zeit wohnte er zudem mit den Luchts in ihrer Villa. Dort fand im August 1950 auch ein Treffen zwischen Naumann und Achenbach statt, bei dem Achenbach Naumann das Angebot gemacht haben soll, Generalsekretär der FDP Nordrhein-Westfalen zu werden und auf diese Weise eine nationalsozialistische Unterwanderung der FDP zustande zu bringen – so heißt es jedenfalls in Naumanns Tagebuch. Achenbach bestritt diese Aussage, nicht jedoch das Treffen.[20]

Später wurde das Telefon der Villa Lucht im Rahmen der Naumann-Affäre abgehört.[19] Naumann wurde in der Nacht auf den 15. Januar 1953 in Düsseldorf von den britischen Besatzungsbehörden verhaftet. Zeitgleich wurden in Solingen und Hamburg sechs weitere ehemalige NS-Funktionäre verhaftet, voraus ging eine Beobachtung des Naumann-Kreises durch den Verfassungsschutz und den britischen Auslandsgeheimdienst Secret Intelligence Service.[21] Nach seiner Freilassung kehrte Naumann in die Villa Lucht zurück. Der Untersuchungsbericht der FDP weist Abendessen mit Gästen in der Villa unter Beteiligung des Ehepaares Lucht und Naumann als Teil der Aktivitäten des Naumann-Kreises aus.

Luchts Witwe wurde die Lebensgefährtin von Naumann.[22]

Fritz Dorls (1952)

Luchts Firma als Heimstatt für Altnazis

Neben Naumann fanden auch weitere bekannte ehemalige NS-Funktionäre oder Rechtsextremisten in der Firma Luchts Zuflucht. 1953 trat Fritz Dorls, ehemaliger Bundestagsabgeordneter der Sozialistischen Reichspartei, in die von Otto Skorzeny geleitete Madrider Vertretung der Firma ein.[23] Zu dieser Zeit wurde Dorls wegen verschiedener strafbarer Handlungen von zwei Staatsanwaltschaften gesucht.[24] Auch Skorzeny befand sich zu dieser Zeit auf der Flucht.

Literatur

  • Kathrin Engel, Deutsche Kulturpolitik im besetzten Paris 1940–1944 : Film und Theater, München : Oldenbourg 2003, ISBN 3-486-56739-X Online auf perspectivia.net.
  • Eberhard Jäckel, Frankreich in Hitlers Europa: die deutsche Frankreichpolitik im 2. Weltkrieg. Stuttgart 1966.
  • Eckard Michels: Das deutsche Institut in Paris 1940–1944. Ein Beitrag zu den deutsch-französischen Kulturbeziehungen und zur auswärtigen Kulturpolitik des Dritten Reiches. Franz Steiner, Stuttgart 1993, ISBN 3-515-06381-1.
  • Rita Thalmann: Gleichschaltung in Frankreich 1940–1944 Aus dem Franz. von Eva Groepler. Europäische Verlagsanstalt EVA, Hamburg 1999 (Original: La mise au pas) ISBN 3-434-50062-6.

Anmerkungen

  1. Vorfahren:
    I. Henri Van Dievoet, Gärtner in Schaerbeek, heiratete am 26. August 1788 Jeanne Van Nerom und hatte mehrere Kinder, darunter:
    II. Henri Vandievoet, geboren am 23. Februar 1798 in Schaerbeek, gestorben am 25. März 1863 in Schaerbeek, verheiratet am 17. Februar 1827 in Schaerbeek, Barbe Pissoort, geboren am 27. Januar 1794 in Schaerbeek, gestorben 1865, Tochter von Henri Pissoort und Anne Marie Van Assche . Von welchem:
    III. Égide Vandievoet, Landwirt, geboren am 11. März 1832 in Schaerbeek, gestorben am 4. Dezember 1863 in Schaerbeek, rue des Meuniers, 11, verheiratet mit Marie Vandeneynde, Hausfrau, gestorben am 27. August 1866 in Schaerbeek. Darunter:
    IV. Barthélémy Vandievoet, Typograf, Drucker, geboren am 17. Oktober 1863 in Schaerbeek, verheiratet am 4. September 1884 in Schaerbeek, Antoinette Schoonejans, Leinenarbeiterin, geboren am 8. September 1865 in Brüssel, Tochter von Jacques Schoonejans und Marie Vanophem. Von welchem:
    V. Nicolas Martin Vandievoet, Typograf, Drucker, rue du Pavillon, 81, in Schaerbeek, geboren am 4. Februar 1866 in Schaerbeek, verheiratet am 17. Juli 1909 in Saint-Gilles (Brüssel), Marie Octavie Marthe Pensis, geboren am 29. Dezember in Nethen, 1886, Tochter von Louis Joseph Pensis (1854–1907), Landwirt und Viehhändler, und Mathilde Vandenplas (1853–1925). Von welchem :
    VI. Léa Mathilde Vandievoet, geboren in Saint-Gilles (Brüssel), am 27. März 1910, verheiratet mit Herbert Lucht.

Einzelnachweise

  1. a b c Nazi-Verschwörung. Nau-Nau. In: Der Spiegel. Nr. 4, 1953 (online21. Januar 1953).
  2. Eckard Michels: Das deutsche Institut in Paris 1940–1944. Franz Steiner Verlag, 1993, S. 132.
  3. a b c Goebbels-Nachlass. Der Stenograf muß es wissen. In: Der Spiegel. Nr. 4, 1951 (online24. Januar 1951).
  4. Mädchenname fälschlicherweise geschrieben "van Dievoet" in Beates Baldows Dissertation von 2012.
  5. Yves van Domber, Ik leefde met Martin Borman, Amsterdam, 1969, S. 187 : "Herbert Lucht was een gewezen ambtenaar van Goebbels' rijkspropagandaministerie. Hij was gehuwd met gravin Léa van Dievoet, een nicht van Léon Degrelle", und Lev Bezymenski, Tracing Martin Borman, 1966, S. 59 : "There he learnt that in Düsseldorf lived a certain Herbert Lucht, a former civil servant of the Imperial Ministry of Propaganda married to a rich Belgian Countess, Lea Van Dievoet, know by the nickname Slissy".
  6. "Goebbels-Nachlass", "Der Stenograf muß es wissen", dans : Der Spiegel " "Als Mme. Léa Lucht, geb. v. Dicoel (sic) mit Lippenrot à la Kurfürstendamm zum ersten Mal über den Marktplatz des dithmarscher Landstädtchens Meldorf ging, riefen ihr die Kinder unflätige Worte nach. Madame färbte darauf die Lippen noch auffälliger, bis sich die Meldorfer an ihren Anblick gewöhnt hatten. Für Konzessionen ist sie nicht zu haben, denn sie ist die Tochter eines belgischen Generals".
  7. Sogar Beate Baldow, ohne Archivquellen, verbreitet in ihrer Dissertation die falsche Information, dass Léa Vandievoet die Tochter eines Generals sei: Episode oder Gefahr? Die Naumann-Affäre. (Diss. phil. FU Berlin 2012, S. 26) : "Lea Lucht, die Tochter des belgischen Generals Dievoet".
  8. Léa-Mathilde Vandievoet war die Tochter von Nicolas Martin Vandievoet, Typograf, geboren in Schaarbeek (Brüssel) dem 4 Februar 1883, und von Marie Octavie Marthe Pensis, geboren in Nethen, dem 29 Dezember 1886, Tochter von Louis-Joseph Pensis (1854–1907), Bauer und Viehhändler, und von Mathilde Marie Vandenplas (1853–1925).
  9. Beate Baldow rechnet Frau Lucht zum "inneren Kreis" der konspirativen Gruppe Episode oder Gefahr? Die Naumann-Affäre. Diss. phil. FU Berlin 2012, S. 313
  10. Kathrin Engel, Deutsche Kulturpolitik im besetzten Paris 1940–1944 : Film und Theater, München : Oldenbourg 2003, ISBN 3-486-56739-X, Seite 131f.
  11. Katrin Engel S. 109 nach: Andrea Brill: Rezension von K. Engel: Deutsche Kulturpolitik im besetzten Paris 1940–1944
  12. Kathrin Engel: Deutsche Kulturpolitik im besetzten Paris 1940–1944: Film und Theater.
    • S. 200: Lucht als Vorgesetzter der Zensoren, der in strittigen Fällen die Theateraufführungen selbst besuchte;
    • S. 203: Erläuterung der deutschen Zensur mit französischen Stellen; Mai 1941
    • S. 219: Verbot des Stückes La Machine à écrire; Mai/Juni 1941
    • S. 220: Lucht versucht einen Theaterbeauftragten der Vichy-Regierung zu fordern (letztlich erfolglos); mehrere Aktennotitzen, Mai 1941
    • S. 297: Lucht versucht erfolglos, eine Lockerung des Aufführungsverbot französischer Stücke in Deutschland zu erreichen; November 1941, ähnlich S. 19: Hier geht es um französische Gastspiele im Reich.
    • S. 305: Deutsche Kulturpropaganda = deutsche Theateraufführungen in Paris, die Lucht mit Berlin verhandelt; Dezember 1941
  13. Aktennotiz des Sonderstabs Musikforschung, dort auch die Bezeichnung Sonderführer nach: Handbuch deutsche Musiker 1933–1945 (PDF; 6,0 MB), S. 8606. Diese Aktennotiz bezieht sich auf weiteres Archivgut des Bundesarchivs (NS 30/65), laut Internetangebot des Bundesarchivs handelt es sich dabei um Akten des Einsatzstabs Reichsleiter Rosenberg mit dem Inhalt „Sicherstellung von Kulturgut in den besetzten Westgebieten, insbesondere von Musikinstrumenten, Schallplatten und Musikschrifttum in Frankreich und die Weiterleitung an andere Stellen“
  14. Aufzeichnungen Eptings nach: Eckard Michels: Das deutsche Institut in Paris 1940–1944. Franz Steiner Verlag, 1993, S. 132
  15. a b denkmalgalerie.meerbuscher-kulturkreis.de
  16. Kristian Buchna: Nationale Sammlung an Rhein und Ruhr. München: Oldenbourg, 2010, S. 117.
  17. a b Heiko Buschke. Deutsche Presse, Rechtsextremismus und nationalsozialistische Vergangenheit in der Ära Adenauer. Campus Verlag, 2003. S. 443.
  18. Franz MengesNaumann, Werner. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 18, Duncker & Humblot, Berlin 1997, ISBN 3-428-00199-0, S. 773 f. (Digitalisat).
  19. a b Naumann-Entlassung. Das Angebot der CDU. In: Der Spiegel. Nr. 32, 1953 (online5. August 1953).
  20. Kristian Buchna: Nationale Sammlung an Rhein und Ruhr. München: Oldenbourg, 2010, S. 127.
  21. Heiko Buschke. Deutsche Presse, Rechtsextremismus und nationalsozialistische Vergangenheit in der Ära Adenauer. Campus Verlag, 2003. S. 442f.
  22. Sefton Delmer. Schwarze Propaganda. In: Der Spiegel. Nr. 37, 1954 (online8. September 1954).
  23. Fritz Dorls. In: Der Spiegel. Nr. 38, 1953 (online16. September 1953).
  24. Diplomaten-Händel. Präventive Maßnahmen. In: Der Spiegel. Nr. 37, 1957 (online5. Juni 1957).