Gerromorpha
Gerromorpha | ||||||||||||
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Gemeiner Teichläufer (Hydrometra stagnorum) | ||||||||||||
Systematik | ||||||||||||
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Wissenschaftlicher Name | ||||||||||||
Gerromorpha | ||||||||||||
Popov, 1971 |
Die Gerromorpha (Wasserläufer i. w. S.) sind eine Teilordnung der Wanzen (Heteroptera). Die Verwandtschaftsgruppe umfasst weltweit etwa 1900 beschriebene Arten.[1] In Europa sind 51 von ihnen nachgewiesen.[2] Die räuberisch auf der Wasseroberfläche lebenden Wanzen kommen zwar überwiegend in Gewässern mit Süßwasser vor, einige Arten der Unterfamilie Halobatinae (Familie Wasserläufer (Gerridae)) leben aber auch am offenen Meer.[3] Die Tiere sind perfekt an das Leben auf der Wasseroberfläche angepasst.[4]
Merkmale
Die Gerromorpha weisen insbesondere beim Bau ihrer Beine und des Thorax eine große Variabilität auf, die die Bandbreite der Spezialisierung der verschiedenen Arten an ihr Leben auf der Wasseroberfläche widerspiegelt. Insbesondere bei den langbeinigen Gerridae ist dies erkennbar. Gemeinsam ist allen Gerromorpha eine feine hydrophobe Behaarung auf Kopf, Thorax und auf Teilen des Abdomens. Die Imagines besitzen am Kopf drei Paar inserierende Trichobothrien in tiefen Gruben. Am Praetarsus befinden sich dorsal und ventral ein Arolium.[5]
Zwischen den Geschlechtern liegt ein Sexualdimorphismus vor, da die Weibchen meist erkennbar größer als die Männchen sind. Gerade bei den größeren Arten ist dies jedoch nicht selten umgekehrt. Bei den Gerrinae und hier insbesondere bei den Gattungen Aquarius, Gerris und Limnoporus nimmt der Größenunterschied verhältnismäßig mit zunehmender Durchschnittsgröße der Tiere ab. Mit Ausnahme des Polymorphismus der Flügel sind die meisten Gerromorpha innerhalb ihrer Art im Aussehen nahezu einheitlich. Innerhalb einer Population der gleichen Art treten Individuen mit langen und kurzen Flügeln auf und/oder es gibt Individuen die gar keine Flügel haben.[4]
Verbreitung
Die Gruppe ist weltweit weit verbreitet und fehlt nur auf Antarktika. Der Verbreitungsschwerpunkt liegt in der Neotropis, im zentralen und westlichen Afrika, Madagaskar und in der indo-australischen Region. Zahlreiche Arten sind aber auch vom südlichen Asien, dem Malaiischen Archipel und Neuguinea, vor allem in feuchten Bodenlebensräumen und in Fließgewässern bekannt. Die Gerromorpha sind auffällig stark in marinen Lebensräumen des Indo-Westpazifik nachgewiesen, wo etwa 150 Arten in 16 Gattungen und 5 Familien vorkommen. Die meisten Arten der marin lebenden Meerwasserläufer (Halobates) leben zwar in Küstennähe, es gibt jedoch mehrere Arten die vollständig ozeanisch verbreitet sind.[4]
Die Wanzen besiedeln eine Vielzahl verschiedener Lebensräume. Sie umfassen das Pleuston (Oberfläche des Freiwassers) und auch die Oberflächen, die durch Algen oder Wasserpflanzen besiedelt werden. Besiedelt werden stille oder langsam fließende Gewässer, aber auch Wildbäche, die Gezeitenzone wie z. B. Mangroven und Korallenriffe und der offene Ozean. Darüber hinaus gibt es mehrere Arten verschiedener Untergruppen, die feuchte Landlebensräume, wie etwa feuchte Erde, oder feuchten Kies und Steine an Quellen und Hygropetrisches Biotope mit Algen- und Laubmoos-Bewuchs besiedeln. Es werden nicht nur permanente, sondern auch temporär feuchte Lebensräume besiedelt. Bei den ozeanisch lebenden Meerwasserläuferarten ist die Verbreitung vor allem an die Oberflächentemperatur des Wassers gebunden. Individuenstarke Populationen findet man nur an Orten, wo die Temperatur über 24 °C liegt.[4]
Lebensweise
Gerromorpha sind räuberische Aasfresser, die mit ihren für Wanzen typischen stechend-saugenden Mundwerkzeugen Nahrung aufnehmen. Zwar ernähren sich einige wenige Arten von toten Wirbeltieren und greifen sogar lebende Fische an, die meisten Arten ernähren sich jedoch von Insekten. Die größeren Weibchen können dabei anders als die Männchen auch größere Beutetiere angreifen. Auch wenn die Wanzen gewissen Einfluss auf diverse am Wasser schlüpfenden Insekten haben, ernähren sie sich doch hauptsächlich von solchen Insekten, die unbeabsichtigt auf dem Wasser landen, wie etwa Heuschrecken. So sind sie z. B. in Reisfeldern wichtige Nützlinge gegen an den Pflanzen fressende Insekten. Einzelne Tiere fressen meist kleinere Beute, es kommt jedoch auch häufig vor, dass viele gemeinsam größere Beutetiere fressen. Interessant daran ist, dass die ersten am Beutetier ankommenden Wanzen meist weniger Nahrung abbekommen, als später hinzukommende, da diese die bereits durch die Nahrungssäfte der anderen verflüssigte Beute mit weniger Mühe aufnehmen können. Dies führt sogar dazu, dass einzelne Tiere tendenziell länger an solcher Beute fressen, auch wenn Fressfeinde nahen.[4]
Paarung
Die Männchen verschiedener Gerromorpha verursachen Wellen auf der Wasseroberfläche um Weibchen anzulocken. So senden z. B. die Männchen von Gerris remigis, wenn sie von den Weibchen getragen werden Signale zwischen 90 und 100 Hz aus, die Konkurrenten abschrecken und vermutlich auch das Beuteglück der Weibchen verbessern. Es gibt auch Arten die Signale unterschiedlicher Frequenz für das Abschrecken von Konkurrenten und das Beeinflussen der Weibchen verwenden. Es sind vier grundsätzliche Paarungsmechanismen bekannt: ein monogamieähnliches Verhalten, das durch das Bewachen des Weibchens durch das Männchen nach der Paarung resultiert, oder das sich durch die Monopolisierung des ersten Männchens durch den Bau des weiblichen Apparates zur Speicherung des Spermas ergibt; Polygynie, durch die Verteidigungshandlung eines Männchens an einem bestimmten Eiablageplatz; reine Dominanz oder Polygynie an einem Lek, sowie Polygynie im gemischten Konkurrenzkampf samt der verlängerter Suche nach paarungsbereiten Weibchen und Bewachung von diesen nach der Eiablage.[4]
Je nach Art können die Weibchen in Reaktion auf Signale des Männchens nach der Paarung zur Eiablage stimuliert werden, wobei die Männchen diesfalls versuchen ihre Dominanz gegenüber anderen Männchen zu behalten, sie können die Eier jedoch auch alleine, unabhängig vom Verhalten des Männchens ablegen. Weibchen von Arten, bei denen kein ausgeprägtes Balzverhalten vor der Paarung stattfindet wehren sich zunächst gegen das Männchen, bevor sie die Paarung gestatten, wobei damit vermutlich der potentielle Partner auf die Paarungstauglichkeit untersucht wird. Die Kämpfe zwischen den Geschlechtern, die insbesondere bei großen Populationsdichten häufiger werden, sind für die Weibchen ressourcenbindend. Weibchen mit einem Partner, der erfolgreich andere Männchen vertreibt, können sich besser auf die Nahrungssuche konzentrieren, was für sie vorteilhafter ist, obwohl sie durch das angehängte Männchen leichter ein Opfer für Fressfeinde werden.[4]
Entwicklung
Gerromorpha durchleben in der Regel fünf (sehr selten vier) Larvenstadien. Während ihrer Entwicklung wachsen die Körperanhängsel proportional schneller, als der restliche Körper, sodass erkennbar ist, dass die rasche Entwicklung des Bewegungsapparates hohe Priorität hat. Die Entwicklungsdauer ist indirektproportional mit zunehmender Temperatur und dauert in den gemäßigten Breiten und den Tropen zwischen 40 und 65 Tage. Deutlich schneller entwickeln sich aber beispielsweise die Arten der Gattungen Mesovelia und Halobates. Die längste Zeit der Entwicklung benötigen die Tiere in der Regel im Stadium des Eis und der zwei letzten Larvenstadien.[4]
Die meisten Arten sind in ihrer Reproduktionsrate anpassungsfähig, sodass es lokal vermischte Populationen geben kann, die univoltin, (teilweise) bivoltion oder multivoltin sind. Nur wenige Arten sind obligatorisch univoltin und bringen daher immer nur eine Generation pro Jahr hervor. Manche tropischen Arten sind über das ganze Jahr hinweg aktiv, es gibt jedoch auch Arten die z. B. in Trockenzeiten nicht aktiv sind, oder ihre Aktivität an die Chlorophyllkonzentration das Oberflächenwasser anlehnen, wie etwa die ozeanisch lebenden Arten der Gattung Halobates, die ihre größte Reproduktionsaktivität dann haben, wenn das Chlorophyll die geringste Konzentration aufweist. Arten der gemäßigten Breiten überwintern als Adulte an Land, flugunfähige in isolierten Lebensräumen meist nahe dem Wasser, flugfähige suchen sich aber in der Regel einen Ort weiter abseits der Gewässer. Es gibt aber auch Arten, bei denen die Eier überwintern.[4]
Natürliche Feinde
Neben dem Wetter, das die Populationsdichte der Gerromorpha durchaus stark beeinflussen kann, spielt neben den sonstigen natürlichen Feinden der häufig zu beobachtende Kannibalismus eine signifikante Rolle bei der Populationsentwicklung. So zeigte sich beispielsweise bei einer Untersuchung, dass Nymphen der Art Gerris pingreensis sich deutlich besser entwickelten, wenn man ihnen die Möglichkeit gab, kleinere Vertreter ihrer Teilordnung zu fressen. Die adulten Tiere unterschieden bei ihrer Jagd schließlich nicht zwischen Artgenossen und anderen Vertretern der Teilordnung. Kannibalismus tritt aber nicht bei allen Arten der Gerromproha auf. Er nimmt generell verstärkt mit abnehmendem Nahrungsangebot zu und wird durch die Komplexität des Lebensraumes eingeschränkt.[4]
Vertreter der Gerromorpha werden außerdem von einer ganzen Reihe aquatischer und semiaquatischer Wirbelloser, wie z. B. Schwimmkäfern (Dytiscidae), Rückenschwimmern (Notonectidae), Libellen und Raubspinnen (Pisauridae) in relevantem Ausmaß erbeutet. Darüber hinaus haben auch Parasitoide, die die Eier befallen großen Einfluss auf die Populationsentwicklung. Es ist denkbar, dass diese manche Arten derart zusetzen, dass diese sich nur dort temporär stabil entwickeln, wo überwinternde parasitoide Wespen keine idealen Lebensbedingungen vorfinden. Neben all diesen zählen auch Vögel und Fische zu den unspezifischen Feinden und gelten Milben und Trypanosomatida als Parasite, die Populationen schwächen können.[4]
Fossile Funde
Fossilfunde von Vertretern der Gerromorpha sind nur vereinzelt bekannt. Arten der Hydrometridae und Gerridae sind aus dem oberen Paläozän aus Dänemark bekannt und datieren ungefähr mit 55 Millionen Jahren vor heute. Da die meisten Funde der Mesoveliidae und Veliidae jedoch aus der unteren Kreide datieren, ist davon auszugehen, dass die meisten Familien der Gruppe vermutlich im frühen Mesozoikum entstanden[4] und die Gruppe damit seit etwa 120 Millionen Jahren existiert. Fossil sind zumindest 35 Arten aus sechs Familien bekannt (Stand 2005).[1]
Taxonomie und Systematik
Die Monophylie der sieben Teilordnungen der Wanzen wurde aufgrund molekularer Phylogenie in einer Multigen-Studie aus dem Jahr 2012 bestätigt. Diese zeigte, dass die Gerromorpha mit der Teilordnung der Dipsocoromorpha nächst verwandt ist.[6]
Eine phylogenetische Untersuchung der Subtaxa der Gerromorpha im Jahr 2005 bestätigte die nahe Verwandtschaft zwischen den Gerridae, Hermatobatidae und Veliidae, die gemeinsam die Überfamilie Gerroidea bilden. Es zeigten sich auch sonst auf Familienebene keine Widersprüche zu den lange Zeit als Basis der Diskussion betrachteten von Spencer und Andersen[4] im Jahr 1994 aufgezeigten Verwandtschaftsverhältnissen der Gerromorpha. Lediglich die Monophylie der Veliidae wäre in der ursprünglichen Betrachtung nicht mehr gegeben, weswegen die Gattung Ocellovelia (Unterfamilie Ocelloveliinae) als Schwestergruppe zu den übrigen Veliidae gestellt werden musste. Gleichzeitig sind jedoch noch viele Fragen hinsichtlich der Verwandtschaftsverhältnisse der Gruppen unterhalb der Familienebene offengeblieben. So zeigte sich zwar eine nahe Verwandtschaft zwischen den Unterfamilien Halobatinae und Ptilomerinae der Gerridae, die Verwandtschaftsverhältnisse innerhalb dieser Familie konnten ansonsten kaum aufgeschlüsselt werden. Auch zeigte sich, dass die Unterfamilie Veliinae der Veliidae vermutlich nicht monophyletisch ist.[1]
Folgendes Kladogramm ergibt sich anhand obiger Erkenntnisse:[1][4][6]
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Belege
Einzelnachweise
- ↑ a b c d Jakob Damgaard, Nils M. Andersen, Rudolf Meier: Biology of Water Striders: Interactions Between Systematics and Ecology. In: Systematic Entomology. 30. Jahrgang, 2005, S. 289–309 (englisch).
- ↑ Nepomorpha. Fauna Europaea, abgerufen am 12. Oktober 2013.
- ↑ Ekkehard Wachmann, Albert Melber, Jürgen Deckert: Wanzen (= Die Tierwelt Deutschlands und der angrenzenden Meeresteile nach ihren Merkmalen und nach ihrer Lebensweise. 77. Teil). Band 1: Cimicomorpha: Dipsocoromorpha, Nepomorpha, Gerromorpha, Leptopodomorpha, Cimicomorpha (Teil 1). Goecke & Evers, Keltern 2006, ISBN 3-931374-49-1, S. 60.
- ↑ a b c d e f g h i j k l m n John R. Spence, Nils Møller Andersen: Combining molecular and morphological analyses of water strider phylogeny (Hemiptera–Heteroptera, Gerromorpha): effects of alignment and taxon sampling. In: Annual Review of Entomology. 39. Jahrgang, 1994, S. 101–128 (englisch).
- ↑ Wilfried Westheide, Gunde Rieger (Hrsg.): Spezielle Zoologie. Teil 1: Einzeller und Wirbellose Tiere. 3. Auflage. Springer-Verlag, Berlin Heidelberg 2013, ISBN 978-3-642-34695-8, S. 687.
- ↑ a b Min Li, Ying Tian, Ying Zhao, Wenjun Bu (2012): Higher Level Phylogeny and the First Divergence Time Estimation of Heteroptera (Insecta: Hemiptera) Based on Multiple Genes. PLoS ONE 7(2): e32152. doi:10.1371/journal.pone.0032152 (open access)
Literatur
- Ekkehard Wachmann, Albert Melber, Jürgen Deckert: Wanzen (= Die Tierwelt Deutschlands und der angrenzenden Meeresteile nach ihren Merkmalen und nach ihrer Lebensweise. 77. Teil). Band 1: Cimicomorpha: Dipsocoromorpha, Nepomorpha, Gerromorpha, Leptopodomorpha, Cimicomorpha (Teil 1). Goecke & Evers, Keltern 2006, ISBN 3-931374-49-1.