Archaeen

Archaeen

Die vielfältige Morphologie von Archaeen veranschaulichende Bildkomposition

Systematik
Klassifikation: Lebewesen
Domäne: Archaeen
Wissenschaftlicher Name
Archaea
Otto Kandler & Mark L. Wheelis
Überstämme

Die Archaeen (Archaea, Singular: Archaeon; von altgriechisch ἀρχαῖος archaĩos, deutsch ‚uralt‘, ‚ursprünglich‘),[1] früher auch Archaebakterien, Archebakterien oder Urbakterien genannt, bilden eine der drei Domänen, in die alle zellulären Lebewesen eingeteilt werden. Die anderen beiden Domänen sind die Bakterien (Bacteria), die mit den Archaeen zu den Prokaryoten zusammengefasst werden, und die Eukaryoten (Eukaryota), die im Unterschied zu den Prokaryoten einen Zellkern mit Kernmembran besitzen. Archaeen hingegen haben (wie auch die Bakterien) in sich geschlossene DNA-Moleküle (zirkuläre Chromosomen[2]) im Zellplasma als Kernäquivalent ohne Hülle vorliegen. Die Archaea sind einzellige Organismen.

Bislang sind keine Krankheitserreger aus der Gruppe der Archaeen bekannt.

Eigenschaften

In vielen molekularbiologischen Eigenschaften sind die Archaeen den Eukaryoten ähnlicher als den Bakterien. Dennoch besitzen sie typisch bakterielle Eigenschaften, z. B. die Zellgröße, das Fehlen eines Zellkerns, die Art der Zellteilung, sie besitzen ein in sich geschlossenes DNA-Molekül, ebenfalls verhältnismäßig einfach aufgebaute Fortbewegungsorgane (Flagellen) und – wie die Bakterien – Ribosomen mit dem Sedimentationskoeffizienten 70S (allerdings sind die archaeellen Ribosomen komplexer in ihrer Struktur). Die Gene beider Domänen sind in sogenannten Operons organisiert. Archaeen können auch Plasmide tragen, wie beispielsweise ein Archaeon (mit der vorläufigen Bezeichnung Sulfolobus NOB8H2) der Familie Sulfolobaceae im Phylum Crenarchaeota.[3]

Die zentralen molekularen Prozesse, zum Beispiel Translation und Transkription, sind dagegen denjenigen der Eukaryoten recht ähnlich: Archaeen benutzen ähnliche, aus mehreren Proteinuntereinheiten zusammengesetzte RNA-Polymerasen (Rifampicin- und Streptolydigin-resistent), bei der Translation kommen sehr ähnliche Initiations- und Elongationsfaktoren vor, der Beginn der Transkription wird durch eine sogenannte TATA-Box markiert.

Der Aufbau einer archaeellen Zellmembran (oben, bzw. 10) unterscheidet sich von dem einer bakteriellen/eukaryotischen (Mitte, bzw. 9): In Archaeen sind die Fettsäuren nicht wie in Bakterien oder Eukaryoten über einen Ester und D-glycerol (6 und 7) mit der Phosphatgruppe verbunden, sondern über einen Ether und L-glycerol (2 und 3).

Die Archaeen besitzen jedoch auch viele einzigartige Eigenschaften, besonders der Aufbau der Zellwand zeigt deutliche Unterschiede zu den anderen Domänen: Die archaeellen Zellwände enthalten Pseudopeptidoglycan (Pseudomurein) und sind generell sehr vielfältig in ihrem Aufbau: Manchen Archaeen fehlt eine Zellwand völlig (Thermoplasma), andere besitzen hochkomplexe, aus vielen Schichten bestehende Zellwände (Methanospirillum). Aufgrund des anderen Aufbaus sind Archaeen generell gegen Zellwandantibiotika resistent. Auch die Zusammensetzung der archaeellen Plasmamembran unterscheidet sich: In Bakterien und Eukaryoten sind Fettsäuren über eine Ester­bindung an die Glycerol­moleküle gebunden, bei Archaeen findet man Glyceroldiether oder sogar Bis-Glycerol-Tetraether (einschichtige Membran, Monolayer) und verzweigte Isopreneinheiten statt einfacher Fettsäuren. Hyperthermophile Archaeen besitzen häufig derart stabilisierte Zellmembranen (Glycerol-Tetraether),[4] die nicht nur thermostabiler sind, sondern auch Anpassungen an saure Umgebungen darstellen können.[5]

Einige Archaeenarten können sich in Relation zu ihrer Größe sehr schnell fortbewegen. Mit 400 bis 500 „Körperlängen pro Sekunde“ (englisch bodies per second, abgekürzt „bps“) sind Methanocaldococcus jannaschii und Methanocaldococcus villosus die schnellsten bislang vermessenen Lebewesen.[6] Zum Vergleich: Ein Sportwagen mit 400 bps käme auf eine Geschwindigkeit von über 6000 km/h (nahezu Hyperschallgeschwindigkeit). Das Bakterium Escherichia coli bewegt sich dagegen mit rund 20 bps fort, ähnlich schnell wie ein Gepard.

Viele kultivierte Arten der Archaeen sind an extreme Milieubedingungen angepasst. So gibt es Arten, die bevorzugt bei Temperaturen von über 80 °C wachsen (hyper-thermophil), andere leben in hoch konzentrierten Salzlösungen (halophil) oder in stark saurem Milieu (pH-Wert zuweilen sogar unterhalb 0; acidophil) bzw. stark basischem Milieu (pH-Wert oberhalb von 10; alkaliphil). Thermoplasmatales der Gattung Picrophilus (P. oshimae und P. torridus) haben ein Wachstumsoptimum bei einem pH-Wert von 0,7 und können sogar bei einem pH-Wert von −0,06 noch überleben.

Archaeen sind in der Forschung von Interesse, da in ihnen vielleicht Merkmale des frühen Lebens auf der Erde erhalten geblieben sind. Aber auch ihr außergewöhnlicher Stoffwechsel ist von Interesse, zum Beispiel die Fähigkeit, bei 110 °C zu wachsen.

Stoffwechsel

Die meisten der bisher bekannten Archaeenarten sind autotroph, d. h. sie benötigen zum Wachstum keine organischen Stoffe, sie gewinnen den Kohlenstoff zum Aufbau ihrer Körperbestandteile ausschließlich durch Assimilation von Kohlenstoffdioxid. Aber auch Heterotrophie, die Gewinnung des Kohlenstoffs aus organischen Verbindungen, ist weit verbreitet.

Die Mehrzahl der bisher kultivierten Archaeen zeichnet sich durch einen anaeroben Stoffwechsel aus; für viele anaerobe Archaeen ist Sauerstoff (O2) toxisch.

Eine Besonderheit archaeellen Stoffwechsels ist die Methanogenese, die ausschließlich von Methan produzierenden Archaeen, den sogenannten Methanogenen, vollbracht werden kann. Sie besitzen eine Reihe einzigartiger Cofaktoren, beispielsweise Coenzym F420 oder Methanofuran.

Die meisten hyperthermophilen Archaeen sind Anaerobier; der energiegewinnende Stoffwechsel ist entweder chemoorganotroph oder chemolithotroph (die Energie wird aus chemischen Umsetzungen organischer bzw. anorganischer Verbindungen gewonnen). Schwefelverbindungen spielen hierbei oft eine große Rolle: Während des Stoffwechsels wird der Schwefel reduziert und dabei Energie freigesetzt.

Bekannt ist aber der Schwefelstoffwechsel der extrem thermo- und acidophilen Art Acidianus ambivalens (früher: Desulfurolobus ambivalens), aus der Ordnung Sulfolobales, welche aerob Schwefel oxidieren kann.[7]

Halophile Archaeen sind meist aerob-chemoorganotroph, sie gewinnen ihre Energie aus chemischen Umsetzungen von organischen Verbindungen. Unter anoxischen Bedingungen oder bei Nährstoffmangel sind viele extrem Halophile sogar zur Nutzung von Lichtenergie fähig: Sie besitzen das Protein Bacteriorhodopsin, das Licht absorbiert und den Protonentransfer durch die Cytoplasmamembran katalysiert; der dadurch erzeugte elektrochemische Gradient treibt die ATPase und damit die ATP-Synthese an.

Morphologie

Thermococci, hier Thermococcus gammatolerans

Wie die Bakterien sind auch die Archaeen in ihrer Form äußerst divers. Die Größen bzw. Längen der archaeellen Zellen variieren von etwa 0,4 (Nanoarchaeum equitans) bis zu 100 µm (Methanospirillum hungatei), durchschnittlich sind die Zellen etwa 1 µm groß. Die Zellen zeigen verschiedene Formen, z. B.: Kokken (z. B. Methanococcus jannaschii), Stäbchen (Thermoproteus neutrophilus), Spirillen-förmig (Methanospirillum hungatei), gelappte Kokken (Archaeoglobus fulgidus), Scheiben (Thermodiscus maritimus), lange Filamente (Thermofilum pendens) oder sogar quadratisch (Haloquadratum walsbyi).

Sie besitzen oft Geißeln (Flagellen) zur Fortbewegung, oder auch fadenartige Anhängsel (Pili) zur Anheftung an Oberflächen.

Genetik

Archaeen weisen in der Regel ein einziges zirkuläres Chromosom auf,[8] wobei bei zahlreichen Euryarchaeota nachgewiesen wurde, dass sie mehrere Kopien dieses Chromosoms besitzen[9]. Das größte bekannte Archaeen-Genom, das im Jahr 2002 ermittelt wurde, umfasste 5.751.492 Basenpaare in Methanosarcina acetivorans.[10] Das Genom von Nanoarchaeum equitans mit 490.885 Basenpaaren ist nur ein Zehntel so groß und ist das kleinste bekannte Archaeen-Genom; es enthält schätzungsweise nur 537 proteinkodierende Gene.[11] Kleinere unabhängige DNA-Stücke, sogenannte Plasmide, sind ebenfalls in Archaeen zu finden. Plasmide können in einem Prozess, der der bakteriellen Konjugation ähneln könnte, durch physischen Kontakt zwischen Zellen übertragen werden.[12][13]

Archaeen unterscheiden sich genetisch von Bakterien und Eukaryonten. Bis zu 15 % der Proteine, für die ein archaeisches Genom kodiert, sind einzigartig für die Domäne, allerdings haben die meisten dieser Gene keine bekannte Funktion.[14] Die übrigen Proteine mit identifizierter Funktion, gehören überwiegend zu den Euryarchaeota und sind an der Methanogenese beteiligt. Die Proteine, die von Archaeen, Bakterien und Eukaryonten gemeinsam aufgebaut werden, stellen einen gemeinsamen Grundbaustein der Zellfunktionen dar, der sich hauptsächlich auf die Transkription, die Translation und den Nukleotidstoffwechsel bezieht.[15] Andere charakteristische Merkmale der Archaeen sind die Organisation von Genen mit verwandter Funktion – wie Enzyme, die Schritte desselben Stoffwechselwegs in neuartige Operons katalysieren, sowie große Unterschiede in tRNA-Genen und deren Aminoacyl-tRNA-Synthetasen.[16]

Die Transkription in Archaeen ähnelt mehr der eukaryotischen als der bakteriellen Transkription, wobei die archaeische RNA-Polymerase ihrem Äquivalent in Eukaryoten sehr nahe kommt,[8] während die archaeische Translation Anzeichen sowohl bakterieller als auch eukaryotischer Äquivalente aufweist[17]. Obwohl Archaeen nur einen Typ von RNA-Polymerase haben, scheinen ihre Struktur und Funktion bei der Transkription der eukaryotischen RNA-Polymerase II sehr ähnlich zu sein, wobei ähnliche Proteinanordnungen (die allgemeinen Transkriptionsfaktoren) die Bindung der RNA-Polymerase an den Promotor eines Gens steuern.[18] Andere archaeische Transkriptionsfaktoren sind allerdings näher an denen von Bakterien.[19] Die posttranskriptionelle Modifikation ist einfacher als bei Eukaryonten, da den meisten archaeischen Genen Introns fehlen, obwohl es viele Introns in ihren Transfer-RNA- und ribosomalen RNA-Genen gibt,[20] und Introns in einigen wenigen proteinkodierenden Genen vorkommen können.[21][22]

Gentransfer

Haloferax volcanii, ein extrem halophiles Archaeon, bildet zytoplasmatische Brücken zwischen den Zellen, die offenbar für die Übertragung von DNA von einer Zelle zur anderen in beide Richtungen genutzt werden.[23]

Wenn die hyperthermophilen Archaeen Sulfolobus solfataricus[24] und Sulfolobus acidocaldarius[25] einer DNA-schädigenden UV-Bestrahlung oder den Wirkstoffen Bleomycin oder Mitomycin C ausgesetzt werden, wird eine artspezifische zelluläre Aggregation ausgelöst. Die Aggregation in S. solfataricus konnte nicht durch andere physikalische Stressfaktoren wie pH-Wert oder Temperaturveränderung ausgelöst werden,[26] was darauf hindeutet, dass die Aggregation speziell durch DNA-Schäden ausgelöst wird. Ajon et al.[27] zeigten, dass UV-induzierte zelluläre Aggregation den Austausch chromosomaler Marker in S. acidocaldarius mit hoher Frequenz vermittelt. Die Rekombinationsraten übertrafen die von nicht induzierten Kulturen um bis zu drei Größenordnungen. Frols et al.[26][28] und Ajon et al.[27] stellten die Hypothese auf, dass die zelluläre Aggregation den artspezifischen DNA-Transfer zwischen Sulfolobus-Zellen fördert, um die Reparatur beschädigter DNA durch homologe Rekombination zu verbessern. Bei dieser Reaktion könnte es sich um eine primitive Form der sexuellen Interaktion handeln, ähnlich wie bei besser untersuchten bakteriellen Transformationssystemen, die ebenfalls mit einem artspezifischen DNA-Transfer zwischen Zellen verbunden sind, der zu einer homologen Rekombinationsreparatur von DNA-Schäden führt[29].

Fortpflanzung

Archaeen pflanzen sich ungeschlechtlich durch binäre oder multiple Fissiparie, Fragmentierung oder Knospung fort. Mitose und Meiose kommen nicht vor, sodass, wenn eine Archaeenart in mehr als einer Form existiert, alle dasselbe genetische Material haben.[30] Die Zellteilung wird durch einen Zellzyklus gesteuert; nachdem das Chromosom der Zelle repliziert wurde und sich die beiden Tochterchromosomen getrennt haben, teilt sich die Zelle.[31] In der Gattung Sulfolobus weist der Zyklus Merkmale auf, die sowohl bakteriellen als auch eukaryotischen Systemen ähneln. Die Chromosomen werden von mehreren Ausgangspunkten (Replikationsursprüngen) aus mit Hilfe von DNA-Polymerasen repliziert, die den entsprechenden eukaryotischen Enzymen ähneln.[32]

In Euryarchaeota ähneln das Zellteilungsprotein FtsZ, das einen sich zusammenziehenden Ring um die Zelle bildet, und die Bestandteile des Septums, das quer durch das Zentrum der Zelle gebaut wird, ihren bakteriellen Äquivalenten.[31] In Cren-[33][34] und Thaumarchaea[35] erfüllt der Zellteilungsapparat Cdv eine ähnliche Rolle. Dieser Mechanismus ist mit dem eukaryotischen ESCRT-III-Zellteilungsapparat verwandt. Obwohl dieser am besten für seine Rolle bei der Zellsortierung bekannt ist, ist er auch an der Trennung von teilenden Zellen beteiligt, was auf eine ursprüngliche Funktion in der Zellteilung hindeutet.[36]

Sowohl Bakterien als auch Eukaryoten, nicht aber Archaeen, bilden Sporen.[37] Einige Haloarchaea-Arten durchlaufen eine phänotypische Umstellung und wachsen als mehrere verschiedene Zelltypen, einschließlich dickwandiger Strukturen, die gegen osmotischen Schock resistent sind und den Archaeen das Überleben in Wasser mit niedrigen Salzkonzentrationen ermöglichen; diese Strukturen sind jedoch nicht als reproduktive Strukturen zu bezeichnen, sondern könnten ihnen vielmehr dabei helfen, neue Lebensräume zu erreichen.[38]

Habitate

Archaeen wurden zunächst in Habitaten mit extremen Umgebungsbedingungen entdeckt, so in vulkanischen Thermalquellen (abgebildet ist die Grand-Prismatic-Spring-Thermalquelle im Yellowstone-Nationalpark).

Die meisten der bisher bekannten Archaeen sind Extremophile, d. h. den extremen Bedingungen ihrer Biotope angepasst. Viele Vertreter besitzen die Fähigkeit, bei sehr hohen Temperaturen (Hyperthermophile über 80 °C), sehr niedrigen oder sehr hohen pH-Werten (Acidophile bzw. Alkaliphile), hohen Salzkonzentrationen (Halophile) oder hohen Drücken (Barophilie) zu leben.

Hyperthermophile Archaeen findet man häufig in vulkanischen Gebieten, marinen (Schwarzer Raucher) und terrestrischen (Geysire, Solfatarenfelder), so z. B. vulkanisch geprägten Habitaten des Yellowstone-Nationalparks. Halophile gedeihen gut in Umgebungen mit hohem Salzgehalt, so z. B. im Toten Meer oder auch in natürlich vorkommenden marinen Solen.

Auch methanogene Archaeen sind in gewisser Weise „extrem“: Sie wachsen ausschließlich unter anoxischen Bedingungen und benötigen häufig molekularen Wasserstoff für ihren Stoffwechsel. Diese Archaeenarten sind relativ weit verbreitet und kommen in Süßwasser, Meer und Boden vor, aber auch als Symbionten im Darmtrakt von Tieren und Menschen. Archaeen konnten sogar in den Falten des menschlichen Bauchnabels nachgewiesen werden, wobei dies selten ist.[39]

Wegen dieser „Extremophilie“ hat man die ökologische Bedeutung der Archaeen zunächst als relativ gering eingeschätzt. Erst in den letzten Jahren wurde durch Einsatz feinerer molekularbiologischer Nachweismethoden deutlich, dass Archaeen zu großen Anteilen in verhältnismäßig kaltem Meerwasser, aber auch in Böden und Süßwasser-Biotopen vorkommen. In bestimmten ozeanischen Bereichen machen z. B. Crenarchaeota bis zu 90 % der vorhandenen Lebewesen aus. Insgesamt schätzt man, dass in den Ozeanen etwa 1,3 × 1028 Archaeen und 3,1 × 1028 Bakterien vorkommen.

Die Mehrzahl der isolierten und als Reinkultur im Labor verfügbaren Archaeenarten ist allerdings nach wie vor „extremophil“; in einigen Fällen ist eine Kultivierung auch unter weniger extremen Bedingungen gelungen. Aus den bisherigen Untersuchungen geht hervor, dass die Archaeen eine bedeutende Rolle für den Stickstoff-, Kohlenstoff- und Schwefelkreislauf im Ökosystem der Erde spielen.

Systematik

Die separate Stellung der Archaeen als eine eigenständige Domäne ist begründet durch eine Reihe genetischer, physiologischer, struktureller und biochemischer Merkmale, insbesondere deutliche Unterschiede in der Sequenz der in den Ribosomen enthaltenen RNA (der kleinen ribosomalen Untereinheit, 16S rRNA).

Ende der 1970er Jahre wurde von den US-amerikanischen Mikrobiologen Carl Woese und George Fox die Eigenständigkeit der Archaeen und ihre Zugehörigkeit zu einer eigenen systematischen Einheit neben den Bakterien (Eubakterien) und Eukaryoten erkannt und beschrieben. In der Sequenz der ribosomalen RNA entdeckten die Forscher auffällige Unterschiede zu Bakterien. Auch die Struktur der Zellen und deren Eigenheiten im Stoffwechsel ließen auf eine separate Gruppe von Prokaryoten schließen.[40] Diese Ergebnisse wurden in den folgenden Jahren bestätigt, und weitreichende Fortschritte in der molekularen Biologie machten eine generelle Änderung der Taxonomie notwendig: Eubakterien wurden in Bacteria umbenannt und Archaebakterien in Archaea. Beide wurden 1990 im Rahmen eines Drei-Domänen-Systems als zwei eigenständige Domänen neben der Domäne der Eukarya beschrieben.[41] Dabei stehen die Archaea den Eukarya phylogenetisch vermutlich näher als die Bacteria. Zwar lassen sich in Archaeen keine Zellorganellen finden, doch können sie zur Stabilisierung ihrer Form besondere, einem Cytoskelett vergleichbare Filamente ausbilden.[42][43]

Für die Beschreibung von Genus und Art gibt es eine festgelegte Prozedur.[44] Durch Publikation oder Validierung im International Journal of Systematic and Evolutionary Microbiology (IJSEM)[45] sind Gattung und Art festgelegt. Höhere Taxa können hier auch beschrieben werden. Der aktuelle Stand kann in der List of Prokaryotic names with Standing in Nomenclature (LPSN),[46] gepflegt durch Jean Euzéby, eingesehen werden. Dies entspricht dem Internationalen Code der Nomenklatur der Prokaryoten (ICNP).[47] Taxa, die diesem Standard nicht entsprechen, werden in Anführungszeichen dargestellt.

Darüber hinaus wurde die globale Einteilung innerhalb der Archaeen und Bakterien mittels phylogenetischer Analyse des 16S-rRNS-Gens reformiert.[48] Eine aktuelle Zusammenstellung der Taxa aus dieser und zahlreichen weiterführenden Publikationen erscheint in Bergey’s Manual,[49] und in Taxonomic Outline of the Bacteria and Archaea,[50] wobei mittlerweile zusätzlich zum 16S-rRNS-Gen teilweise weitere phylogenetische Markergene hinzugezogen werden. Einige dieser Taxa haben ihre Berechtigung, sind aber bis heute nicht valide publiziert oder werden generell nicht vom ICNB erfasst. Solche Taxa werden in Anführungszeichen dargestellt.

Abriss eines Stammbaums der Archaeen auf Basis hochkonservierter Gene.
Phylogenetischer Baum der Archaeen-Population des „Smokejumper 3“ (SJ3) im Yellowstone-Nationalpark, Smokejumper Geyser Basin. Metagenomik-Daten ausgewertet nach der Maximum-Likelihood-Methode (Stand: 2019).

Die hier wiedergegebene Systematik enthält die Taxa von Phylum bis Familie. Bei manchen Taxa gibt es widersprüchliche Einträge. Diese wurden anhand von Originalliteratur und einer phylogenetischen Analyse auf Stichhaltigkeit geprüft.[51][52][53]

Vor einigen Jahren wurde die Beschreibung der zusätzlichen PhylaKorarchaeota“ und „Nanoarchaeota“ veröffentlicht. Ein Vertreter des vorgeschlagenen Phylums „Nanoarchaeota“ konnte erfolgreich co-kultiviert[54] und sein Genom sequenziert werden,[55] das sogenannte Nanoarchaeum equitans. Vom vorgeschlagenen Phylum „Korarchaeota“, zunächst anhand seiner 16S rRNA-Gen-Basensequenzen in Proben heißer Quellen nachgewiesen,[56] gibt es Anreicherungskulturen. Daraus konnte nun die komplette Basensequenz des Genoms veröffentlicht werden,[57] mit dem informellen Namen „Candidatus Korarchaeum cryptofilum“ versehen. Ohne isolierte Stämme haben die Vertreter dieser Phyla nach den derzeitigen Regeln des ICSB keinen validierten Platz in der Taxonomie,[58] stellen jedoch zwei von vier bekannten Phyla der Archaeen dar.

  • Supergruppe „TACK“ (Thermoproteota (GTDB),[60] „Filarchaeota“ Cavalier-Smith 2014[61])
  • Supergruppe „Asgardarchaeota“ Violette Da Cunha et al. 2017 (Asgard-Gruppe)[62]

Archaeen und Menschen

Archaeen wurden beim Menschen im Darm (Colon), in der Mundhöhle (Zahnflora), im Bauchnabel[63] und in der Vagina nachgewiesen.[64] Archaeen machen etwa 10 % der anaeroben Gemeinschaft im menschlichen Darm aus.[65] Im Darm treten vor allem Archaeen auf, die der Gattung Methanobrevibacter zugehören, im Speziellen Methanobrevibacter smithii. Diese zählen zu den methanogenen Archaea. Nicht bei allen Menschen kommt M. smithii im Darm vor, und bei Säuglingen unter zwei Jahren wurden bisher noch nie Archaeen identifiziert. In einer Studie wurden Archaeen auch auf der Haut nachgewiesen, die zum Phylum Thaumarchaeota gehören.[66] Möglicherweise korreliert die Anzahl jener Archaeen mit der Häufigkeit des Schwitzens.

Methanogene der Arten Methanobrevibacter smithii und Methanosphaera stadtmanae leben vergesellschaftet mit syntrophen Bakterien im menschlichen Verdauungstrakt, sodass sie einen Einfluss auf die Verdauung ausüben.[67] Diese nutzen die beiden Produkte bakterieller Gärungen, Wasserstoff und Formiat, für die Methanogenese. Eine hohe Konzentration an Wasserstoff hemmt die ATP-Erzeugung anderer Bakterien. M. smithii baut unter Methanbildung auch Methanol ab, das für den Menschen toxisch ist. Daher haben die Methanogenen einen positiven Einfluss auf die menschliche Darmflora. Ob diese auch beeinflussen, wie viel Energie der Mensch aus der Nahrung aufnehmen kann, ist noch Gegenstand der Forschung.

Obwohl Archaeen in engem Kontakt zum Menschen stehen, gibt es keinen Hinweis auf humanpathogene Arten.[65][68] Es wurde aber eine Korrelation zwischen Erkrankung und Anzahl von methanogenen Archaeen nachgewiesen: Je mehr Archaeen beispielsweise im (entzündeten) Zahnfleisch vorhanden waren, desto stärker war eine entsprechende Parodontitis ausgeprägt. Hierbei treten insbesondere Archaeen der Art Methanobrevibacter oralis auf. Auch bei Patienten mit Darmkrebs bzw. Divertikulose war die Menge methanogener Archaeen in jenen Bereichen erhöht. Dennoch tragen diese Archaeen nur indirekt zur Erkrankung bei, indem sie das Wachstum echt pathogener Bakterien fördern – die Archaeen selbst sind es nicht. Wenn man Archaeen als „Kopathogene“ oder „Pathobionten[69] (Symbionten, die unter bestimmten Bedingungen pathologisch werden) betrachtet, dann könnte die Erkrankung mit Medikationen therapiert werden, die diese Archaeen zum Ziel haben. So inhibieren beispielsweise Statine das Wachstum der bei einer Parodontitis vergesellschafteten Methanobrevibacter oralis.[66]

Warum die bekannten Archaeen nicht humanpathogen sind, ist noch nicht eindeutig geklärt. Auch wenn unter den Archaeen keine menschlichen Parasiten bekannt sind, so gibt es in der DPANN-Gruppe zumindest einige kleine Vertreter, die als Epibionten (Parasiten?) auf größeren Archaeen leben (etwa Nanoarchaeum equitans). Das Fehlen vieler archaeenspezifischer Kofaktoren und Vitamine im Menschen ist nicht notwendigerweise die Ursache für das Nichtvorkommen humanpathogener Archaeen.[70][71] Selbst dass die durch pathogene Prozesse erzeugten Mikrohabitate besetzt werden, ist kein Alleinstellungsmerkmal der Archaeen – prinzipiell könnten auch Organismen mit ähnlichem (anaeroben, hydrogenotrophen) Stoffwechsel diese Habitate nutzen.[69]

Biotechnologisches Potential

Archaeelle Stoffwechselleistungen, Zellbestandteile oder Enzyme werden industriell angewendet. Vor allem die Extremophilen besitzen viele Eigenschaften, die sich biotechnologisch nutzen lassen. Einige Beispiele, die sich bereits in der Entwicklungsphase oder Anwendung befinden:

Literatur

Archaeen in Standardwerken

  • Georg Fuchs (Hrsg.): Allgemeine Mikrobiologie. (begr. von Hans G. Schlegel). 8. Auflage. Georg Thieme Verlag, Stuttgart/New York 2007, ISBN 978-3-13-444608-1.
  • Martin Dworkin, Stanley Falkow, Eugene Rosenberg, Karl-Heinz Schleifer, Erko Stackebrandt (Hrsg.) The Prokaryotes, A Handbook of the Biology of Bacteria. 7 Bände, 3. Auflage. Springer-Verlag, New York u. a., 2006, ISBN 0-387-30740-0.
  • Joseph W. Lengeler, Gerhart Drews, Hans G. Schlegel (Hrsg.) Biology of the Prokaryotes. Georg Thieme Verlag, Stuttgart 1999, ISBN 3-13-108411-1.
  • H. König: Archaea. In: Encyclopedia of Life Sciences. John Wiley & Sons, 2003, (doi:10.1038/npg.els.0000443)
  • Michael T. Madigan, John M. Martinko, Thomas Lazar (Übersetzer) und Freya Thomm-Reitz (Übersetzer): Brock Mikrobiologie. 11., aktualisierte Auflage. Pearson Studium, 2009, ISBN 978-3-8273-7358-8;

Beschreibungen in der wissenschaftlichen Literatur

Commons: Archaeen – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Wikispecies: Archaeen – Artenverzeichnis
Wiktionary: Archaeon – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

  1. Merriam-Webster Online Dictionary
  2. A. L. Hartman et al.: The Complete Genome Sequence of Haloferax volcanii DS2, a Model Archaeon. In: PLOS ONE. Band 5, Nr. 3, 2010, S. e9605, PMC 2841640 (freier Volltext) – (englisch).
  3. Christa Schleper et al.: A multicopy plasmid of the extremely thermophilic archaeon „Sulfolobus“ effects its transfer to recipients by mating. In: J. Bacteriol. Band 177, 1995, S. 4417–4426. PMID 7635827.
  4. A. Pearson et al.: Factors Controlling the Distribution of Archaeal Tetraethers in Terrestrial Hot Springs. In: Appl. Environ. Microbiol. Band 74, 2008, S. 3523–3532, als (PDF)
  5. E. Boyd et al.: The ro​le of tetraether lipid composition in the adaptation of thermophilic archaea to acidity. In: Front Microbiol. Band 4, Nr. 62, April 2013, doi:10.3389/fmicb.2013.00062, PMC 3615187 (freier Volltext) – (englisch).
  6. Bastian Herzog, Reinhard Wirth: Swimming Behavior of Selected Species of Archaea. In: Applied and Environmental Microbiology. Band 78, Nr. 6, 2012, S. 1670–1674, doi:10.1128/AEM.06723-11
    idw-online.de vom 28. Februar 2012: Archaeen sind die schnellsten Lebewesen der Welt – Mikroorganismen glänzen mit Weltrekord.
  7. T. Urich et al.: The sulphur oxygenase reductase from Acidianus ambivalens is a multimeric protein containing a low-potential mononuclear non-haem iron centre. In: Biochem J. Band 381, Teil 1, 2004, S. 137–146. doi:10.1042/BJ20040003
  8. a b Thorsten Allers, Moshe Mevarech: Archaeal genetics — the third way. In: Nature Reviews Genetics. Band 6, Nr. 1, Januar 2005, ISSN 1471-0064, S. 58–73, doi:10.1038/nrg1504 (nature.com [abgerufen am 4. Juni 2024]).
  9. Catherina Hildenbrand, Tilmann Stock, Christian Lange, Michael Rother, Jörg Soppa: Genome Copy Numbers and Gene Conversion in Methanogenic Archaea. In: Journal of Bacteriology. Band 193, Nr. 3, Februar 2011, ISSN 0021-9193, S. 734–743, doi:10.1128/JB.01016-10, PMID 21097629, PMC 3021236 (freier Volltext).
  10. James E. Galagan, Chad Nusbaum, Alice Roy, Matthew G. Endrizzi, Pendexter Macdonald, Will FitzHugh, Sarah Calvo, Reinhard Engels, Serge Smirnov, Deven Atnoor, Adam Brown, Nicole Allen, Jerome Naylor, Nicole Stange-Thomann, Kurt DeArellano, Robin Johnson, Lauren Linton, Paul McEwan, Kevin McKernan, Jessica Talamas, Andrea Tirrell, Wenjuan Ye, Andrew Zimmer, Robert D. Barber, Isaac Cann, David E. Graham, David A. Grahame, Adam M. Guss, Reiner Hedderich, Cheryl Ingram-Smith, H. Craig Kuettner, Joseph A. Krzycki, John A. Leigh, Weixi Li, Jinfeng Liu, Biswarup Mukhopadhyay, John N. Reeve, Kerry Smith, Timothy A. Springer, Lowell A. Umayam, Owen White, Robert H. White, Everly Conway de Macario, James G. Ferry, Ken F. Jarrell, Hua Jing, Alberto J. L. Macario, Ian Paulsen, Matthew Pritchett, Kevin R. Sowers, Ronald V. Swanson, Steven H. Zinder, Eric Lander, William W. Metcalf, Bruce Birren: The Genome of M. acetivorans Reveals Extensive Metabolic and Physiological Diversity. In: Genome Research. Band 12, Nr. 4, 1. April 2002, ISSN 1088-9051, S. 532–542, doi:10.1101/gr.223902, PMID 11932238 (cshlp.org [abgerufen am 4. Juni 2024]).
  11. Elizabeth Waters, Michael J. Hohn, Ivan Ahel, David E. Graham, Mark D. Adams, Mary Barnstead, Karen Y. Beeson, Lisa Bibbs, Randall Bolanos, Martin Keller, Keith Kretz, Xiaoying Lin, Eric Mathur, Jingwei Ni, Mircea Podar, Toby Richardson, Granger G. Sutton, Melvin Simon, Dieter Soll, Karl O. Stetter, Jay M. Short, Michiel Noordewier: The genome of Nanoarchaeum equitans: insights into early archaeal evolution and derived parasitism. In: Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America. Band 100, Nr. 22, 28. Oktober 2003, ISSN 0027-8424, S. 12984–12988, doi:10.1073/pnas.1735403100, PMID 14566062.
  12. C Schleper, I Holz, D Janekovic, J Murphy, W Zillig: A multicopy plasmid of the extremely thermophilic archaeon Sulfolobus effects its transfer to recipients by mating. In: Journal of Bacteriology. Band 177, Nr. 15, August 1995, ISSN 0021-9193, S. 4417–4426, doi:10.1128/jb.177.15.4417-4426.1995, PMID 7635827, PMC 177192 (freier Volltext).
  13. Sota M, Top EM: Plasmids: Current Research and Future Trends. Caister Academic Press, 2008, abgerufen am 4. Juni 2024 (englisch).
  14. David E. Graham, Ross Overbeek, Gary J. Olsen, Carl R. Woese: An archaeal genomic signature. In: Proceedings of the National Academy of Sciences. Band 97, Nr. 7, 28. März 2000, ISSN 0027-8424, S. 3304–3308, doi:10.1073/pnas.97.7.3304.
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