Abgeordnetenhaus (Tschechoslowakei)

Das Abgeordnetenhaus (Poslanecká sněmovna) war von 1920 bis 1939 das Unterhaus des Parlaments der Ersten Tschechoslowakischen Republik mit Sitz in Prag. Neben der Abgeordnetenkammer bestand im bikameralen Parlament noch der Senat als erste Kammer.

Vorgeschichte

Als Folge der Pariser Vorortverträge war 1918 die Tschechoslowakei aus Teilen von Österreich-Ungarn gebildet worden. Als vorläufiges Parlament hatte sich der Tschechoslowakische Nationalausschuss konstituiert, der am 29. Februar 1920 die Verfassung der Tschechoslowakischen Republik annahm.

Weitere Rechtsgrundlage der Wahl von Abgeordnetenhaus und Senat war das Gesetz vom 29. Februar 1920 mit einer Wahlordnung für das Abgeordnetenhaus.

Wahlen

Die Wahl, zu der Männer und Frauen ab 30 Jahren das passive Wahlrecht hatten, wurde in 22 Wahlkreisen durchgeführt.

Nr. Wahlkreis Nr. Wahlkreis Nr. Wahlkreis Nr. Wahlkreis
I. Prag II. Pardubice III. Hradec Králové IV. Mladá Boleslav
V. Česká Lípa VI. Louny VII. Karlsbad VIII. Plzeň
IX. České Budějovice X. Jihlava XI. Brno XII. Olomouc
XIII. Uherské Hradiště XIV. Ostrava XV. Trnava XVI. Neuhäusel (?)
XVII. Martin XVIII. Baňská Bystrica XIX. Liptov XX. Košice
XXI. Prešov XXII. Uschhorod

Es wurden 300 Abgeordnete gewählt. Darunter waren auch Vertreter der deutschen Minderheit, die landesweit 24,1 % der Bevölkerung ausmachte, der Ungarn, Ruthenen und Polen.

Wahltermin Legislaturperiode
18. April 1920 26. Mai 1920 bis 16. Oktober 1925
15. November 1925 17. Dezember 1925 bis 27. Juni 1929
27. August 1929 12. Dezember 1929 bis 12. April 1935
19. Mai 1935 18. Juni 1935 bis 16. März 1939

Gemäß dem Münchener Abkommen entfielen die Mandate der 67 Abgeordneten, die ihren Sitz in den an das Deutsche Reich abgetretenen Gebieten hatten, zum 30. Oktober 1938, sofern die Mandatsinhaber keine Tschechen, Slowaken oder Ruthenen waren. Am Ende bestand die Kammer noch aus 190 Abgeordneten.

Wahlergebnisse der deutschen und ungarischen Parteien

Tschechoslowakische Abgeordnetenkammer 1920–1935 – Deutsche und ungarische Parteien[1][2]

Partei Mandate 1920 Mandate 1925 Mandate 1929 Mandate 1935 Stimmen 1935
Sudetendeutsche Partei - - - 44 1.256.010
Deutsche Nationalpartei - 10 7 - -
Deutsche Nationalsozialistische Arbeiterpartei 15 17 8 - -
Deutsche sozialdemokratische Arbeiterpartei 31 17 21 11 300.406
Deutsche Christlich-Soziale Volkspartei 7 13 14 6 163.666
Bund der Landwirte 11 24 - 5 142.775
Ungarische Parteien

und sudetendeutscher Wahlblock

9 4 9 9 292.847
Vereinigte deutsche Parteien 6 - 16 - -
Total (aus 300 Mandate) 79 85 75 75
  • Ungarische Parteien und sudetendeutscher Wahlblock (1935)[1]: Deutsch-demokratische Freiheitspartei, Deutsche Gewerbepartei, Deutschnationale Partei, Sudetendeutsche Landbund, Deutsche Arbeiterpartei, Zipser deutsche Partei, Ungarische Christlichsoziale Partei, Ungarische Nationalpartei

Nachgeschichte

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde eine parlamentarische Republik und 1948 dann eine Volksrepublik gebildet. Hier bestand ein Einkammerparlament. In Tschechien wurde 1993 erneut ein Abgeordnetenhaus geschaffen.

Abgeordnete

In der Wikipedia vorhandene Personenartikel siehe Kategorie:Abgeordneter des Tschechoslowakischen Abgeordnetenhauses

Literatur

  • Mads Ole Balling: Von Reval bis Bukarest. Statistisch-Biographisches Handbuch der Parlamentarier der deutschen Minderheiten in Ostmittel und Südosteuropa 1919–1945. 2. Auflage. Band 1. Kopenhagen 1991, ISBN 87-983829-1-8, S. 245.

Einzelnachweise

  1. a b Michael Rademacher: „Prager Tagblatt“, Nr. 116 du 18 Mai 1935, Tschechoslowakische Parlamentswahl vom 19. Mai 1935. Online-Material zur Dissertation, Osnabrück 2006. In: eirenicon.com. Abgerufen am 21. Oktober 2023.
  2. Alena Mípiková und Dieter Segert, Republik unter Druck