4. Thüringisches Infanterie-Regiment Nr. 72

Das 4. Thüringisches Infanterie-Regiment Nr. 72 war ein Infanterieverband der Preußischen Armee.

Geschichte

Der Verband geht auf das 32. Landwehr-Regiment der Preußischen Armee zurück. Im Zuge der Reorganisation der Armee ging daraus das 32. kombinierte Infanterie-Regiment hervor, dass durch A.O.K. vom 4. Juli 1860 den Namen 4. Thüringisches Infanterie-Regiment Nr. 72 erhielt. Die Garnison lag in Torgau. Das III. Bataillon war später in Eilenburg stationiert.

Erster Weltkrieg

Zu Beginn des Ersten Weltkriegs war das Regiment am 2. August 1914 mobil. Im Verbund mit der 16. Infanterie-Brigade rückte es in das neutrale Belgien ein und beteiligte sich an der Schlacht an der Gete.

Schlacht von Le Cateau

Bei der Schlacht von Le Cateau am 26. August 1914 nahm das Regiment, unter Befehl von Oberst Fritz von Zehmen, den Ort Le Cateau gegen eine englische Brigade ein. Die Besonderheit hieran war, „Von jeglicher Verbindung mit den eigenen Truppen abgeschnitten, hatte das Regiment nach den anstrengenden heißen Gefechts- und Marschtagen, die vorangegangen waren, am frühen Morgen das nach Angaben gefangener englischer Offiziere mit mehr als einer gemischten Brigade belegte Le Cateau gestürmt und es nicht nur gegen bedeutende Übermacht gehalten und Gelände gewonnen, sondern auch den Angriff unserer eigenen Truppen, die westlich des Ortes vorgetragen wurden, wesentlich unterstützt.“ Ferner ist es dem III. Halb-Bataillon unter Hauptmann Huber und dem II. Bataillon unter Hauptmann Rogge gelungen, die Höhen östlich von St. Benin zu erreichen. Man befand sich nun hinter der feindlichen Schlachtlinie. Zu diesen Erfolgen hatte wesentlich die 1. Batterie des Feldartillerie-Regiments Nr. 74 unter Führung des Hauptmanns Funke beigetragen.

Das Regiment marschierte am 25. August 1914 am Anfang des Gros der 8. Division und erreichte Valenciennes. Gegen Mittag erfolgte der Befehl vom Führer des Gros, Generalmajor Reichenau, nach Verchain abzubiegen, zusammen mit der 1. Batterie des Feldartillerie-Regiments Nr. 74. Weiter ging es nach Saulzoir, Montrécourt, Haussy, St. Python-Solesmes, weiter am 26. August 1914 nach Neuvilly und Montay, später nach Le Cateau und St. Benin. Während der Marschroute blieb die Lage des Detachements ungeklärt und unsicher. Über den Verbleib der 8. Division und des gesamten IV. Armee-Korps war nichts in Erfahrung zu bringen. Durch die überraschende Einnahme von Le Cateau wäre beinahe General John French, 1. Earl of Ypres gefangen genommen worden. Er konnte allerdings mit dem letzten Zug ein paar Minuten vorher die Kampfzone verlassen (Informationen von gefangenen Soldaten). Das II. Bataillon wurde gegen 9 Uhr von eigenen Truppen um Le Cateau beschossen. Dem Regimentsadjutanten Leutnant Rauch gelang es, mit einem erbeuteten gegnerischen Auto durch die gegnerischen Truppen die Verbindung zur 7. Division, dann mit der 8. Division und dem Generalkommando des IV. Armee-Korps herzustellen. Ein Generalstabsoffizier äußerte sich zur Lage des Regiments am 26. August 1914: „solch eine taktische Lage gibt es gar nicht wieder. Das Regiment hätte von Rechtswegen aus der Mausefalle nicht herauskommen dürfen.“ Laut Zehmen gilt den Hauptleuten, aber auch den anderen Offizieren und Mannschaften, ein großes Verdienst an dem Überstehen dieser schwierigen Situation, an deren Ende ein glänzender Sieg stand.

Dritte Flandernschlacht

Das Regiment war nach langer Bahnfahrt am 30. September 1917 aus der Champagne in Flandern eingetroffen, um an der dortigen Dritten Schlacht teilzunehmen. Der Gegner versuchte durch Trommelfeuer der Artillerie und Einsatz von Tanks die Stellungen zu überrennen und einen Durchbruch im Raum Ypern zu erzielen. Das Detachement „Gruson“, bestehend aus dem Infanterie-Regiment Nr. 72, einer Stoß-Batterie (5. Batterie/Feldartillerie-Regiment Nr. 72 und einige Husaren, wurde nördlich von Menin in die Ortschaften Kezelberg, Klephoek und Zuidhoek beordert. In Granatlöchern, Gräben, Mulden bauten sich die Leute ein und ertrugen den schweren Beschuss. Am 3. Oktober 1917 wurde das II. Bataillon unter Oberleutnant König, bestehend aus 5. Kompanie (Leutnant Lüer) und 8. Kompanie (Leutnant Lüderitz), zur Ablösung des braunschweigischen Reserve-Infanterie-Regiments Nr. 92 im Abschnitt des Schlosses Polderhoek eingesetzt, während die anderen beiden Bataillone (I., III.) bei Menin blieben. Gegen 5:00 Uhr früh setzte schwerstes Trommelfeuer ein. Trotz massiver Verluste konnte das Bataillon II. die Höhe bei Schloss Polderhoek halten. Gegen 5:00 Uhr nachmittags trafen die ersten Unterstützungen ein. Wichtig für diesen Erfolg war das Maschinengewehr MG 08/15, eine Variante des Maschinengewehrs MG 08 und dass die Tanks im Schlamm stecken blieben. Weiter gab es heftige Kämpfe für das I. Bataillon (Major Paulus) und das III. Bataillon (Hauptmann der Reserve Mühlenpfordt) zwischen Reutel, Zwaanhoek und Becelaere. In diesen Tagen büßten die beiden Bataillone zehn Offiziere und 538 Mann ein. An zwei entscheidenden Punkten konnte der Flandernoffensive des Gegners Einhalt geboten werden. Der Durchbruch gelang nicht und die Geländegewinne waren, wie an der Westfront üblich, sehr gering und wurden mit enormen Verlusten an Soldaten und Kriegsmaterial erkämpft. Deswegen steht die Flandernoffensive heute für die Brutalität und Sinnlosigkeit des Krieges.

Verbleib

Gefallenendenkmal für die Angehörige des Regiments in Torgau

Nach dem Waffenstillstand von Compiègne kehrten die Reste des Verbandes in die Heimat zurück. Ab 24. Dezember 1918 erfolgte in Torgau, das III. Bataillon in Eilenburg, die Demobilisierung, bis schließlich das Regiment am 30. März 1919 aufgelöst wurde. Teile traten bereits vor der Demobilisierung Anfang Dezember 1918 in Werne zum Freiwilligen-Detachement „Pavel“ über und kamen im Grenzschutz Ost zum Einsatz.

Die Tradition übernahm in der Reichswehr durch Erlass des Chefs der Heeresleitung General der Infanterie Hans von Seeckt vom 24. August 1921 die 8. Kompanie des 12. Infanterie-Regiments.

Regimentschef

Einziger Regimentschef war der bulgarische Zar Ferdinand I. vom 7. Juni 1912 bis zur Auflösung des Verbandes.

Kommandeure

Dienstgrad Name Datum[1]
Oberstleutnant/Oberst Ludwig von Januschowski 01. Juli 1860 bis 16. Oktober 1864
Oberst Bruno Neidhardt von Gneisenau 25. Dezember 1864 bis 21. März 1868
Oberst Karl von Helldorff 22. März 1868 bis 16. August 1870
Oberstleutnant/Oberst Adalbert Löwenberger von Schönholz 23. August bis 28. März 1871 (mit der Führung beauftragt)
Oberst Adalbert Löwenberger von Schönholz 29. März 1871 bis 10. Mai 1872
Oberstleutnant/Oberst Karl von Wienskowski 23. Mai 1872 bis 11. März 1878
Oberstleutnant/Oberst Maximilian von Eberstein 12. März 1878 bis 16. Oktober 1883
Oberstleutnant/Oberst Moritz von Kunowski 17. Oktober bis 5. Dezember 1883 (mit der Führung beauftragt)
Oberst Moritz von Kunowski 6. Dezember 1883 bis 9. Juni 1888
Oberstleutnant/Oberst Friedrich Gericke 18. Juli 1888 bis 18. November 1889
Oberst Egbert von Frankenberg und Proschlitz 19. November 1889 bis 26. Januar 1890
Oberstleutnant Richard Goebel 27. Januar bis 23. März 1890 (mit der Führung beauftragt)
Oberst Richard Goebel 24. März 1890 bis 19. Mai 1893
Oberst Max Giesche 20. Mai 1893 bis 15. Juni 1894
Oberstleutnant Heinrich von Bünau 16. Juni bis 11. September 1894 (mit der Führung beauftragt)
Oberst Heinrich von Bünau 12. September 1894 bis 18. März 1896
Oberst Ludwig Moeller 19. März 1896 bis 9. September 1897
Oberst Curt von Grawert 11. September 1897 bis 21. März 1900
Oberst Ferdinand von Ledebur 22. März bis 8. Juli 1900
Oberst Friedrich Bode 22. Juli 1900 bis 23. April 1904
Oberst Ernst Heinrich von der Becke 24. April 1904 bis 24. April 1908
Oberst Bruno Albert Lölhöffel von Löwensprung 25. April 1908 bis 29. Mai 1911
Oberst Gustav von Arnim 30. Mai 1911 bis 30. September 1913
Oberst Fritz von Zehmen 01. Oktober 1913 bis 24. November 1914
Oberstleutnant/Oberst Hermann von Doetinchem de Rande 25. November 1914 bis 29. März 1917
Major Ernst Gruson 30. März 1917 bis 9. Januar 1919

Literatur

  • Claus von Bredow, Ernst v. Wedel: Historische Rang- und Stammliste des Deutschen Heeres. Band 1,2. Biblio, Osnabrück 1972, ISBN 3-7648-0719-9.
  • Paul von Seebach: Geschichte des 4. Thüringischen Infanterie-Regiments Nr. 72. 1860–1910. Uhlandsche Buchdruckerei, Stuttgart 1910.
  • Paul von Seebach: Offizier-Stammliste des Königlich Preußischen 4. Thüringischen Infanterie-Regiments Nr. 72. 1860–1910. Uhlandsche Buchdruckerei, Stuttgart 1910.
  • Fritz von Zehmen: Le Cateau, Ein Ehrentag des Inf.-Regiments 72. Beiträge zur Regimentsgeschichte, Verein der Offiziere des ehemaligen Königl. 4. Thüring. Infanterie-Regiments Nr. 72 (e. V.), Torgau 1921.
  • Ernst Gruson: Das 4. Thüringische Infanterie-Regiment Nr. 72 in der Flandern-Schlacht. Oktober 1917. Beiträge zur Regimentsgeschichte, Verein der Offiziere des ehemaligen Königl. 4. Thüring. Infanterie-Regiments Nr. 72 (e. V.), Torgau 1922.
  • Jürgen Kraus: Handbuch der Verbände und Truppen des deutschen Heeres 1914–1918. Teil VI: Infanterie. Band 1: Infanterie-Regimenter. Verlag Militaria, Wien 2007, ISBN 978-3-902526-14-4, S. 131–132.
  • Fabricius: Geschichte des 4. Thüringischen Infanterie-Regiments Nr. 72 in den Jahren 1869 bis 1878, 1879.
  • Friedrich von Mülmann: Kleine Geschichte des 4. Thüringischen Infanterie-Regiments Nr. 72. Schultze, Torgau 1896.
  • Günther Voigt: Die Infanterie-, Füsilier- bzw. Grenadier-Regimenter 61–99 der preussischen Armee. In: Dermot Bradley, Hans Bleckwenn (Hrsg.): Deutschlands Heere bis 1918. Ursprung und Entwicklung der einzelnen Formationen. Band 3. Biblio-Verlag, Osnabrück 1982, ISBN 3-7648-1199-4.

Einzelnachweise

  1. Günter Wegmann (Hrsg.), Günter Wegner: Formationsgeschichte und Stellenbesetzung der deutschen Streitkräfte 1815–1990. Teil 1: Stellenbesetzung der deutschen Heere 1815–1939. Band 2: Die Stellenbesetzung der aktiven Infanterie-Regimenter sowie Jäger- und MG-Bataillone, Wehrbezirkskommandos und Ausbildungsleiter von der Stiftung bzw. Aufstellung bis 1939. Biblio Verlag. Osnabrück 1992. ISBN 3-7648-1782-8. S. 192f.