Ötztal

Ötztal
Das Ötztal bei Längenfeld, Blick Richtung Norden

Das Ötztal bei Längenfeld, Blick Richtung Norden

Lage Tirol, Österreich
Gewässer Ötztaler Ache
Gebirge Stubaier Alpen, Ötztaler Alpen
Geographische Lage 47° 6′ N, 10° 57′ OKoordinaten: 47° 6′ N, 10° 57′ O
Ötztal (Tirol)
Ötztal (Tirol)
Gestein Granit, Gneis
Höhe 670 bis 1470 m ü. A.
Länge 65 km
Klima Inneralpiner Trockenbereich
Flora Alle Klimastufen vom Obstanbau bis zur Nivalen Stufe (Gletscher)
Wildspitze, höchster Berg Nordtirols 3768 m
Im hinteren Ötztal nach Schneefall im Herbst

Das Ötztal ist ein Seitental des Inntals im österreichischen Bundesland Tirol. In dem rund 65 Kilometer langen Tal liegen die fünf Gemeinden Sautens, Oetz, Umhausen, Längenfeld und Sölden. Das Ötztal ist vor allem durch seine Wintersportgebiete Sölden-Hochsölden, Obergurgl-Hochgurgl und Oetz international bekannt.

Geographie

Lage und Landschaft

Radaraufnahme des oberen Ötztals aus dem Weltraum (1994): ganz im NO, bereits außerhalb der Aufnahme, Zwieselstein, von wo das Venter Tal schräg in die Bildmitte zieht, nördlich davon die Wildspitze. Im O das oberste Gurgler Tal, im N Pitztal, im NW Kaunertal mit Gepatschspeicher, südlich davon die große Fläche des Gepatschferners, im W Melagtal (Langtaufers BZ)

Das Ötztal ist ein in Nord-Süd-Richtung verlaufendes, 65 Kilometer langes Alpental. Es ist der längste Seitenast des Inntals und das längste Quertal der Ostalpen. Das Tal trennt die Stubaier Alpen im Osten von den Ötztaler Alpen im Westen. Politisch gehört es zum Bezirk Imst. Der Name leitet sich vom Hauptort Oetz ab, der Gerichtsort war.

Etwa 45 Kilometer westlich von Innsbruck mündet die Ötztaler Ache in einer Bergsturzlandschaft des Tschirgant, zwischen Haiming und Roppen in etwa 670 Meter Seehöhe in den Inn. Der Ortsteil Ötztal-Bahnhof der Gemeinde Haiming entstand im Zuge des Baus der Arlbergbahn und bildet den Eingang zum Tal.

Die von den Gletschern gespeisten Zungen des eiszeitlichen Ötztalgletschers hobelten das Tal zu einem schmalen Trog aus, das durch mehrere Bergstürze in Stufen geteilt wurde. Die lange Talenge zwischen Längenfeld und Sölden teilt es in ein schneeärmeres Sommerfremdenverkehrsgebiet (Vordertal) und ein Wintersportgebiet im Hintertal.

Das Tal erstreckt sich über fünf klimatisch und landschaftlich markante Stufen von ausgedehnten Obstgärten und Getreidefeldern am Taleingang bis hin zu der ausgedehnten Gletscherregion. In den Talstufen, die durch Schluchten und Engen voneinander getrennt sind, breiten sich die Talbecken von Oetz, Umhausen, Längenfeld, Sölden und Zwieselstein aus. Bei Zwieselstein teilt („zwieselt“) sich das Haupttal in das Gurgler und das Venter Tal. In das Gurgler Tal mündet das Timmelstal mit dem Timmelsjoch, der Verbindung nach Meran in Südtirol. Die Talstufen entstanden im äußeren und mittleren Teil durch Bergstürze, deren Schuttmassen die Ötztaler Ache aufgestaut und flache Schwemmebenen aufgeschüttet haben.

Größere Seitentäler zweigen hauptsächlich nach Osten ab: Bei Oetz das Nedertal, von Längenfeld das Sulztal mit dem Ort Gries im Sulztal, von Umhausen das Horlachtal mit dem Ort Niederthai.

Nur etwa 5 % der Talfläche gelten als Siedlungsraum.

Die Gletscher (regional als Ferner bezeichnet) sind bedeutende Wasserspeicher. 115 km² (13 %) des Einzugsgebietes der Ötztaler Ache sind von Gletschern bedeckt.[1] Die größten sind der Gurgler Ferner, der Schalfferner, der Vernagtferner und der Hintereisferner. Klimaschwankungen führten immer wieder zu einem Anwachsen und Zurückschmelzen der Gletscher, seit Mitte des 19. Jahrhunderts wird jedoch ein Gletscherschwund festgestellt. So sind die Gletscherflächen im Ötztal seit 1850 um 95 km² zurückgegangen.[1]

In den Ötztaler und Stubaier Alpen befinden sich zahlreiche Bergseen, die zum Teil durch Aushobeln des Gletschers entstanden sind.

Gemeinden

Das Ötztal gliedert sich – von Nord nach Süd – in folgende Gemeinden:

Die fünf Gemeinden bilden zusammen mit den großteils im Inntal gelegenen Gemeinden Haiming und Roppen den Planungsverband Ötztal mit 22.387 Einwohnern (Stand 1. Jänner 2024)[2] und einer Fläche von 911,5 km², davon 4,7 % Dauersiedlungsraum.

Klima

Der Tschirgant schützt das Tal weitgehend vor kalten Nordwinden, und die Südwinde erwärmen sich beim Überqueren der Berghänge, sodass das Ötztal ein bemerkenswert mildes Klima aufweist. Die Höhenunterschiede der einzelnen Talstufen wirken sich auch auf das Klima und die Vegetation aus, in Sautens und Oetz gedeihen Weinreben und Edelkastanien. Durch die Lage im Regenschatten der Alpen ist das Tal eines der trockensten Gebiete des Alpenraums (mittlerer Jahresniederschlag in Umhausen: 692 mm).

Monatliche Durchschnittstemperaturen und -niederschläge für Umhausen (1041 m ü. A.)
Jan Feb Mär Apr Mai Jun Jul Aug Sep Okt Nov Dez
Mittl. Temperatur (°C) −2,6 −1,5 2,2 5,7 10,6 13,3 15,4 15,0 11,4 6,8 1,2 −1,7 6,4
Mittl. Tagesmax. (°C) 2,8 4,6 8,6 12,1 17,3 19,9 22,2 21,7 18,2 13,3 6,5 3,1 12,6
Mittl. Tagesmin. (°C) −6,1 −5,4 −2,1 1,0 5,3 8,2 10,4 10,2 7,0 2,9 −2,1 −5,0 2,1
Niederschlag (mm) 32,6 28,1 41,5 37,3 62,6 93,5 103,1 100,7 62,1 44,8 46,7 39,3 Σ 692,3
Sonnenstunden (h/d) 2,6 3,6 4,1 4,8 5,4 5,3 5,9 5,7 4,9 4,1 2,8 2,1 4,3
T
e
m
p
e
r
a
t
u
r
2,8
−6,1
4,6
−5,4
8,6
−2,1
12,1
1,0
17,3
5,3
19,9
8,2
22,2
10,4
21,7
10,2
18,2
7,0
13,3
2,9
6,5
−2,1
3,1
−5,0
Jan Feb Mär Apr Mai Jun Jul Aug Sep Okt Nov Dez
N
i
e
d
e
r
s
c
h
l
a
g
32,6
28,1
41,5
37,3
62,6
93,5
103,1
100,7
62,1
44,8
46,7
39,3
  Jan Feb Mär Apr Mai Jun Jul Aug Sep Okt Nov Dez

Naturgefahren

Das Tal ist immer wieder durch Muren, Berg- und Felsstürze, Lawinen und Hochwasser bedroht. Besonders schwere Verwüstungen im ganzen Tal bis hinaus ins Inntal gab es in der Vergangenheit bei den Ausbrüchen des Rofener und Gurgler Eissees sowie des Fischbachs.

Geologie

Bergsturz von Köfels
Gurgler Ferner mit Gurgler Eissee um 1860

Das Ötztal liegt komplett im kristallinen Bereich. Seine umgebenden Berge bestehen aus Paragneis und Granitgneisen, Hornblenden (südlich von Längenfeld), Glimmerschiefer (südliche Ötztaler Alpen) und hinter Obergurgl etwas Marmor. Die schieferigen Gesteine verwittern leichter und bilden die Grundlage für Vegetation und damit die höchstgelegene Dauersiedlung der Ostalpen.

Das Gestein ist arm an Erzen, und Mineralien finden sich nur über dem Sulztal und am Granatkogel. Der Block der Ötztaler Alpen entstand einst weiter im Süden und wurde durch den Druck der Alpenbildung verschoben. Ein Teil wurde bereits vor 450 Millionen Jahren umgeformt, ein anderer Teil vor etwa 300 Millionen Jahren.

Die spektakulärste Bergsturzlandschaft befindet sich am Eingang des Ötztals, wo der Abbruchschutt des Tschirgant bis weit in die Ötztalmündung reicht und nur trockenen Föhrenwald zulässt. Ein weiteres bedeutendes Bergsturzgebiet ist Köfels bei Umhausen: Der sonst im Ötztal nicht vorkommende Bimsstein stellte die Geologen lange vor ein Rätsel. Es wurde von den Bauern lange als Baumaterial oder zum Scheuern von Holzfässern verwendet. Hypothesen wurden aufgestellt, dass der Bimsstein bei einem Vulkanausbruch oder einen Meteoriteneinschlag entstanden sei. Neuere Untersuchungen gehen jedoch von einem massiven Bergsturz aus, der durch seine Reibungshitze den Gneis zu einem dem Bimsstein ähnlichen, heute als Köfelsit bekannten Gestein, umgewandelt haben soll. Das Ereignis wurde auf die Zeit vor etwa 8700 Jahren datiert. Über 3 Kubikkilometer Gestein mit einer Masse von rund 5 Milliarden Tonnen ergossen sich dabei über eine Fläche von 12 Quadratkilometer.

Geschichte

Umhausen um 1920
Sölden mit Berghof um 1920
Längenfeld im Jahr 1911
Hirte und Schafherde bei Sölden 1941
Festtracht im Ötztal (Aufnahme nach 1945)

Bereits vor 9000 Jahren wurde die Hochgebirgsregion des Innerötztals von steinzeitlichen Jägern durchstreift. Ein bedeutender Fund gelang 1991, als am Tisenjoch eine Gletschermumie aus der Jungsteinzeit (etwa 3300 v. Chr.) gefunden wurde (Ötzi genannt). Das Tal war damals schon Hochweidegebiet. Im übrigen Ötztal fehlen bisher Funde aus der Bronze- und Eisenzeit. Der erste bekannte Volksstamm, der im Inntal siedelte und wohl vereinzelt ins vordere Ötztal vordrang, sind die Räter. 15 vor Christus eroberten die Römer das Alpengebiet und das Ötztal kam zur Provinz Rätien.

Die entscheidende Besiedelung des Ötztals erfolgte von Norden her durch die Bajuwaren, die zwischen Alpen und Donau erstmals um 550 nachgewiesen sind. Sie vermischten sich mit den dort ansässigen Rätoromanen. Erste urkundliche Nachrichten über eine Besiedelung des Tals sind aus dem 12. Jahrhundert erhalten: Das Ötztal wird 1163 als Ezital und Sölden 1166/1167 als Seldon erwähnt.[3] Die ersten Urhöfe im Innerötztal werden zwischen 1288 (Tiroler landesfürstliches Urbar) und ca. 1370 ersturkundlich erwähnt. In der Gemeinde Sölden ist einer dieser Urhöfe der Berghof.[4]

Das hintere Ötztal (also das Ventertal) wird in der Kirchenchronik auch als Kurzlehnertal genannt.

Graf Meinhard II. von Tirol-Görz machte die Burg Petersberg bei Silz zum Gerichts- und Verwaltungssitz, unter anderem auch für das Ötztal (noch heute ist Silz der Sitz des Bezirksgerichts). Zu den mächtigsten Grundherren zählten damals neben dem jeweiligen Landesfürsten die Herren von Schwangau bei Füssen, die Herren von Starkenberg bei Tarrenz, die Herren von Montalban bei Meran sowie als geistliche Herren die Klöster und Stifte Frauenchiemsee und Stams. Die Feudalherren gründeten Schwaighöfe, in denen ausschließlich Viehwirtschaft betrieben wurde. Der Grundzins musste meist in Form von Käselaiben abgeliefert werden. Um die Mitte des 14. Jahrhunderts wurden viele Schwaighöfe wieder aufgelassen und zu Almhütten umgewandelt. Einige dieser Höfe konnten sich als ganzjährig bewirtschaftete Bergbauernhöfe bis heute erhalten, wie die Rofenhöfe bei Vent. Deren Sonderrechte (unter anderem Steuerfreiheit) wurden 1496 von Maximilian I. bestätigt und erst 1849 endgültig aufgehoben.

Flachs wurde im Tal, besonders in Umhausen, noch bis vor einigen Jahrzehnten angebaut und zu Leinen verarbeitet. 1320 wurde ein erster Saumweg über das Timmelsjoch angelegt.

Im 17. Jahrhundert kam es durch den Ausbruch des durch den Vernagtferner aufgestauten Rofener Eissees mehrmals zu einer Verwüstung des Ötztals und teilweise sogar des Inntals.

1830 wurde in Obergurgl der Beschluss gefasst, durch ein Heiratsverbot die Gründung weiterer Familien zu verhindern, weil der karge Boden eine Ernährung der Bevölkerung unmöglich machte. 1850 wurde es wieder aufgehoben. Trotz des einträglichen Flachsanbaus und der Viehzucht waren viele Bewohner zum Auswandern, etwa nach Amerika, gezwungen oder sich als Fremdarbeiter in Deutschland und der Schweiz zu verdingen. Viele Bergbauernkinder zogen als Schwabenkinder zu Fuß über den Arlberg zu den Kindermärkten in Schwaben.

Ötztaler Schützenkompanien hatten auch ihren Anteil an den Kriegsereignissen der Jahre 1809, 1848, 1859 sowie 1866, wo es zu einer erfreulichen Begegnung mit Clemens Franz Xaver Reichsgraf von Westphalen kam, der nach dem Kriegsende zahlreiche Aristokraten aus seinem Familien- und Bekanntenkreis als Sommerfrischler nach Oetz brachte und somit zu einem der ersten Fremdenverkehrspioniere wurde.

Mitte des 19. Jahrhunderts setzte auch der Alpinismus im Hochgebirge ein. Daran nicht unwesentlich mitbeteiligt war der „Gletscherpfarrer“ Franz Senn, der als eigentlicher Begründer des Tiroler Bergführerwesens angesehen werden kann. Es kam auch zum Bau zahlreicher Schutzhütten.

Eine wichtige Verkehrsverbindung wurde 1903 mit der Straße vom Bahnhof Ötztal nach Sölden fertiggestellt.

Mit dem 1919 geschlossenen Friedensvertrag von St. Germain gelangte Südtirol an Italien, der Alpenhauptkamm wurde Grenze. Der offizielle Grenzverkehr über das Timmelsjoch war unterbrochen.

1931 begann mit der Landung des Schweizer Wissenschaftlers Auguste Piccard mit seinem Stratosphärenballon auf dem Gurgler Ferner die touristische Erschließung von Obergurgl. Die Notlandung machte den Ort damals weitum bekannt.

Die von Adolf Hitler 1933 erlassene Tausend-Mark-Sperre sorgte durch das Ausbleiben eines Großteils der so wichtigen deutschen Feriengäste für einen wirtschaftlichen Rückschlag. Geschickte Propaganda und die wirtschaftliche Not sorgten im Ötztal für einen Zulauf der Nationalsozialisten; ihre kirchenfeindliche Haltung stieß jedoch in der Bevölkerung auf großen Widerstand.

In der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg änderten sich die Wirtschafts- und Lebensverhältnisse zunehmend. Der stetig anwachsende Tourismus führte zu einem Rückgang der oft unter härtesten Bedingungen betriebenen Berglandwirtschaft, und zu einer ausgeprägten Siedlungstätigkeit. Dies führte auch zu einer wachsenden Kritik an den Auswüchsen des Tourismus, der oftmals die Landschaft und Natur beeinträchtigt.

1968 konnte die Timmelsjoch-Hochalpenstraße für den Verkehr freigegeben werden.

Kultur und Sehenswürdigkeiten

Umhauser Larchzieh’n 2010

Das Kulturleben wird trotz gelegentlicher Vereinnahmung durch den Tourismus in Musikkapellen, Trachtenvereinen und Schützenkompanien (Traditionsvereine) gepflegt. In Umhausen findet alle fünf Jahre das traditionelle Larchzieh’n statt.

In Längenfeld ist der Freistaat Burgstein, ein Kunstforum als Sommeratelier eingerichtet. Der in Längenfeld geborene Volkskundler, Mundartdichter und Bergbauer Hans Haid (1938 – 2019) kritisierte in seinen Werken die Auswüchse des Massentourismus und war Begründer mehrerer Initiativen für die regionale Entwicklung.

Sehenswertes

Mühlen des Ötztaler Freilichtmuseums
  • Oetz: Piburger See, historische Gasthöfe, Heimatmuseum
  • Umhausen: Stuibenfall, Kapelle Maria Schnee, Farst, Ötzi-Dorf, Köfels-Bergsturz, St. Antonius-Kirche (in Niederthai)
  • Längenfeld: Ötztaler Freilichtmuseum
  • Sölden: 007 Museum[5]
  • Hochgurgl: Top Mountain Motorcycle Museum – Crosspoint[6]
  • Aussichtspunkte an der Timmelsjoch-Hochalpenstraße

Ötztaler Mundart

Das Ötztal gehört zum tirolisch-südbairischen Dialektgebiet, gilt aber auf Grund seiner relativ langen Konservierung durch die verkehrsmäßige und geografische Abgeschiedenheit laut Sprachwissenschaftler Eberhard Kranzmayer als eine der ältesten Sprachformen des Südbairischen. Das äußere Ötztal steht dabei noch unter dem Einfluss des Oberinntals, das innere unter dem des Passeier- und Schnalstals in Südtirol, während im mittleren Ötztal die sprachlichen Eigenheiten am ursprünglichsten konserviert sind, etwa der Vokal- und Silbenreichtum des Früh-Mittelhochdeutschen. Kranzmayer, dessen Ötztal-Forschungen allerdings eine deutliche deutschnationale Hintergrundgesinnung aufweisen, sah darin den Beweis einer durchgehend arischen Linie bis hinunter zu den deutschen Sprachinseln im Trentino. 2020 wurde eine Aufarbeitung angekündigt.[7] Bei dieser sollte auch „bei gleichzeitiger Wertschätzung anderer regionaler Identitäten das Prädikat ‚Ötztalerisch – die älteste Mundart Österreichs‘ kritisch hinterfragt werden, ohne dass es zu einer (neuerlichen) Wertung innerhalb vergleichbarer Dialekte komme.“[8] Dessen ungeachtet finden sich auch drei Jahre später immer noch Presseartikel mit Aussagen wie „Älteste Sprache Österreichs“ und dergleichen.[9]

Typisch für den Ötztaler Dialekt ist etwa der Erhalt der Vorsilbe ge- [wie in geweesn (gewesen), gekööfet (gekauft)], Bildung der palatalisierten Vokale /ø y/ aus /o u/ [höech (hoch), güet (gut)] sowie die Beibehaltung des alt-/mittelhochdeutschen Auslautes in ich/dich/mich (der im Süd- und Mittelbairischen ansonsten verloren gegangen ist). Alemannische Einflüsse zeigen sich in Löb (Laub statt bairisch Lab), numma (bairisch nimma) und nuicht (nicht); auch rätoromanisches Lehngut ist erhalten.

In ihrer spezifischen Ausprägung ist die Ötztaler Mundart einzigartig, mit etwa 8.000 bis 15.000 aktiven Sprechern lebendig,[10] und wurde mit 2010 in das Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes in Österreich aufgenommen.[11]

Wortbeispiele:

nuicht ‚nicht‘
wos ischt denn? ‚Was ist denn?‘ (‚Was ist los?‘)
RoanRain‘, ‚steiler Hang‘
reasche ‚rasch‘, ‚schnell‘
FarglaKraxe‘, ein Gerät, das früher zum Tragen des Heus verwendet wurde
Onewontar ‚kleiner Grüngürtel am Rande eines Feldes‘
StanggerStangen‘, ‚Dieme‘ (zum Trocknen des Heus verwendet)
Dila Diele, ‚Heuboden‘ oder ‚Dachboden
FriahaaFrühheu‘, ‚erster Schnitt der Mahd‘
GruamatGrummet‘, ‚zweiter Schnitt‘
Boufldritter Schnitt
Ebe ‚weibliches Schaf
Vurmenta/Kotza/Afflan/BärMurmeltier‘, ‚Katze/Affe/Bär‘ (weibliches/junges/männliches Murmeltier)
Zwui ‚wofür‘

Hörbeispiel: Gedicht gehüenooglt[12]

2020 wurde im Rahmen eines Projektes der Ötztaler Museen begonnen, ein Online-Dialektwörterbuch zu erstellen. Dieser digitale Wortschatz beruht in einem ersten Schritt auf den Sammlungen von Eugen Gabriel, Josef Öfner, Siegfried Neurauter, Markus Wilhelm, Hubert Brenn, Bernhard Stecher, Sabine Kapferer, Isidor Grießer, Ewald Schöpf, Josef Schmisl und Dr. Hans Haid. Darüber hinaus soll die Bevölkerung „Dialektwörter beitragen“. Diese können auch online eingereicht werden. Geplant ist auch, mittels „Audiofiles die korrekte Aussprache zu dokumentieren und nachvollziehbar zu machen“.[13] Die Schreibweise selbst orientiert sich an jener von Dr. Hans Haid.

Wirtschaft

Landwirtschaft

Nur mehr etwa vier Prozent der Bevölkerung sind alleine in der Landwirtschaft tätig. Flachsanbau und -verarbeitung spielen heute keine Rolle mehr.

In der ersten, klimatisch begünstigten Talstufe von Oetz und Sautens wird Getreide, Silo- und Körnermais angebaut, von wesentlicher Bedeutung ist auch der Obstbau mit verschiedenen Stein- und Kernobstarten, der auch zur Schnapsherstellung dient. In geschützten Lagen gedeihen Marillen, Pfirsiche, Wein und Edelkastanien. Das Ackerland beträgt fünf Prozent der landwirtschaftlich genutzten Fläche.

In den nächsten beiden Talstufen von Umhausen und Längenfeld werden nur mehr Kartoffel und Gerste angebaut. In den letzten Talstufen von Sölden, Gurgl und Vent gibt es überhaupt keinen Ackerbau mehr, 95 Prozent der landwirtschaftlich genutzten Fläche sind Almen oder Bergwiesen.

Almlandschaft im Ötztal, Albin Egger-Lienz, 1911

Die Rinderhaltung ging in den letzten Jahrzehnten zurück. An deren Stelle trat die Haltung von Schafen. Jedes Jahr werden Mitte Juni über 3000 Schafe vom Schnalstal in Südtirol in mehreren kleinen Gruppen zu ihren Sommerweiden bei Vent getrieben. Anfang bis Mitte September werden die Schafe dann wieder in zwei großen Gruppen, ausgehend von der Martin-Busch-Hütte und dem Hochjoch-Hospiz zurückgetrieben und in Vernagt mit einem Volksfest empfangen.[14]

Die Almwirtschaft wird saisonal als extensive Weidewirtschaft betrieben und hat neben einer Erholungsfunktion (Nutzung als Jausenstation) eine Schutzfunktion, da durch die Beweidung das Auftreten von Erosionen (Hangrutschungen) verhindert wird.

Mit der Direktvermarktung wird in der Landwirtschaft versucht, neue Wege zu gehen.

Der Tourismus profitiert direkt und indirekt von der Landwirtschaft, durch die erzeugten Produkte und die Erhaltung der Kulturlandschaft.

Die Jagdrechte wurden bis 1849 von den Landesfürsten verliehen und liegen heute beim Grundeigentümer. Die Gewässer (Ötztaler Ache mit Zuflüssen) sind in elf Fischereireviere eingeteilt und unterliegen der Aufsichtspflicht durch bestellte Fischereiaufsichtsorgane.

Tourismus

Logo des Tourismusverbandes
Wintersportort Hochsölden im Ötztal

Das Ötztal zählt mit rund 3,8 Millionen Übernachtungen (davon etwa 2,7 Millionen im Winter) (Stand: 2014)[15] zu den touristischen Ballungszentren Tirols. Die Orte im äußeren Ötztal sind eher zweisaisonal ausgerichtet, wogegen in Sölden mit seinen Ortsteilen der Wintertourismus dominant ist.

Seit dem Bau des ersten Sesselliftes Sölden im Jahr 1948 werden die Beförderungsanlagen laufend erweitert. In den 1960er Jahren wurde Hochgurgl und in den 1970er Jahren das Gletscherschigebiet am Rettenbach- und Tiefenbachferner erschlossen. Der Rettenbachferner ist auch Schauplatz von alpinen Ski-Weltcup-Wettbewerben. Im vorderen Ötztal nahm 1975 die Bergbahn zum Acherkogl in Ötz den Betrieb auf. Der Ende 2004 eröffnete Thermenbetrieb in Längenfeld verleiht vor allem dem vorderen Ötztal einen weiteren touristischen Impuls. Der Tourismus ist somit der wichtigste Arbeitgeber im Tal.

Heute existieren folgende Schigebiete im Tal:

In Summe gibt es 87 Liftanlagen (inklusive Kühtai) im Ötztal.

Gewerbe, Handwerk, Handel

Die Handwerks- und Gewerbebetriebe sind durch eine hohe Abhängigkeit von ihrem wichtigsten Auftraggeber, dem Tourismus, gekennzeichnet. Den Hauptanteil nimmt dabei die Bauwirtschaft und das Baunebengewerbe ein. Diese Unternehmen befinden sich im vorderen und mittlerem Ötztal, z. B. Auer aus Umhausen und Thurner aus Oetz. Die Unternehmen sind mit der Tourismusindustrie gewachsen und inzwischen überregional tätig.

Nahversorger wie Bäcker, Konditor und Metzger sind durch die Konkurrenz moderner Handelsvertriebsformen und Zustelldienste im Rückgang begriffen. Einzelhändler und Tourismusbetriebe werden hauptsächlich von auswärtigen Lieferanten versorgt, daneben ergänzen landwirtschaftliche Produkte den gastronomischen Bedarf.

Verkehr

Durch das Ötztal führt die Ötztalstraße (B 186) vom Oberinntal – mit einem Anschluss zur Inntalautobahn (A 12) – bis zur Grenze nach Südtirol (Italien). Der letzte Abschnitt von Hochgurgl bis zum Timmelsjoch bildet die Timmelsjoch-Hochalpenstraße und ist mautpflichtig. Das Timmelsjoch hat eine Wintersperre und ist außerdem nur tagsüber geöffnet. Vom Timmelsjoch besteht eine Verbindung über die italienische Staatsstraße 44 bis nach St. Leonhard in Passeier und weiter über die Staatsstraße 44 nach Meran. Im Zusammenhang mit dem um das Jahr 2020 kontrovers diskutierten Projekt einer Gletscherehe Ötztal-Pitztal flammte im verkehrsbelasteten Vorderötztal die Idee einer Ortsumfahrung von Oetz auf.[16]

Weiters besteht eine Straßenverbindung vom Sellraintal über den Kühtaisattel nach Oetz.

Das Ötztal ist über die Arlbergbahn (InnsbruckBludenz) mit dem Bahnhof Ötztal am Eingang des Tals an das Eisenbahnnetz angeschlossen. Die Ötztaler Verkehrsgesellschaft und der Postbus betreiben Autobuslinien von Innsbruck und Imst über Ötztal-Bahnhof nach Obergurgl, zum Timmelsjoch, zum Rettenbach- und Tiefenbachferner bei Sölden und in die Seitentäler. Im Winter wird ein Schibusverkehr angeboten.

Commons: Ötztal – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Wikivoyage: Ötztal – Reiseführer

Einzelnachweise

  1. a b Gernot Patzelt: Das Ötztal – Topographische Kennzeichnung. In: Eva Maria Koch, Brigitta Erschbamer (Hg.): Glaziale und periglaziale Lebensräume im Raum Obergurgl, Alpine Forschungsstelle Obergurgl – Band 1, Innsbruck University Press, Innsbruck 2010, ISBN 978-3-902719-50-8, S. 9–11 (PDF; 1,5 MB)
  2. Statistik Austria – Bevölkerung zu Jahresbeginn nach administrativen Gebietseinheiten (Bundesländer, NUTS-Regionen, Bezirke, Gemeinden) 2002 bis 2024 (Gebietsstand 1.1.2024) (ODS)
  3. Martin Bitschnau, Hannes Obermair: Tiroler Urkundenbuch, II. Abteilung: Die Urkunden zur Geschichte des Inn-, Eisack- und Pustertals. Band 2: 1140–1200. Universitätsverlag Wagner, Innsbruck 2012, ISBN 978-3-7030-0485-8, S. 184.
  4. Kurt Klein (Bearb.): Historisches Ortslexikon. Statistische Dokumentation zur Bevölkerungs- und Siedlungsgeschichte. Hrsg.: Vienna Institute of Demography (VID) d. Österreichische Akademie der Wissenschaften. Urhöfe in der Ortschaft Sölden, S. 37
  5. 007 museum sölden - Suche. Abgerufen am 1. Mai 2022.
  6. Liebkind & Friends: Top Mountain Crosspoint. Abgerufen am 27. Februar 2023 (deutsch).
  7. Edith Hessenberger: Die Ache. Band 22, November 2020.
  8. Ötztaler Dialekt Wörterbuch. Abgerufen am 12. Dezember 2020.
  9. Bernhard Stecher: völium zweane. 1. Auflage. www.bp10.at, Oetz 2023, ISBN 978-3-200-09103-0, S. 92.
  10. Tirol: Mundart im Ötztal (Memento vom 14. Dezember 2012 im Internet Archive), austria.info
  11. Ötztaler Mundart (Memento vom 1. September 2012 im Internet Archive), Nationalagentur für das Immaterielle Kulturerbe, Österreichische UNESCO-Kommission
  12. Gedicht gehüenooglt (Memento vom 2. September 2009 im Internet Archive) im MP3-Format
  13. Bezirksblätter (Hrsg.): Asö hoaßet dos ba ins hinnan in Tole. Imst 9. Dezember 2020, S. 16,17.
  14. Hans Haid: Wege der Schafe: die jahrtausendalte Hirtenkultur zwischen Südtirol und dem Ötztal, Tyrolia Verlag, Innsbruck/Wien 2008, ISBN 978-3-7022-2901-6 bzw. Verlagsanstalt Athesia, Bozen ISBN 978-88-8266-504-3
  15. Land Tirol: Regionsprofil Ötztal – Statistik 2015 (Memento vom 8. Dezember 2015 im Internet Archive) (PDF; 763 kB)
  16. Bernhard Stecher: völium zweane. 1. Auflage. www.bp10.at, Oetz 2023, ISBN 978-3-200-09103-0, S. 137.